Der Verrückte aus Teheran

Vor einem Jahr wurde Mahmud Ahmadinedschad zum iranischen Präsidenten gewählt. Seitdem rätseln westliche Beobachter, welche Strategie der Mann eigentlich verfolgt

Ahmadinedschad ist gefangen in seiner eigenen Propaganda. Genau das macht ihn so gefährlichSeine Ausfälle gegen Israel sind für ihn nur Mittel zum Zweck: den Westen gegen sich aufzubringen

„Der Verrückte aus Teheran“, so nannte ihn eine deutsche Zeitung einmal. Seit er vor einem Jahr überraschend zum iranischen Staatspräsidenten gewählt wurde, ist Mahmud Ahmadinedschad für westliche Beobachter ein Rätsel geblieben. Doch ist der Mann, der sich über alle diplomatischen Gepflogenheiten hinwegsetzt, die USA zum Teufel wünscht, Israel von der Landkarte tilgen will und den Holocaust in Zweifel zieht, tatsächlich ein „Verrückter“?

So viel ist sicher: Ahmadinedschad gehört jener Generation an, die das Rückgrat der islamischen Revolution von 1979 bildete. In seinem Wahlkampf schlüpfte der hagere, aus der Provinz stammende Mann, der immer eine einfache Windjacke, eine abgewetzte Hose und abgetragene Schuhe trägt, in die Rolle eines Bettlerkönigs, eines Robin Hood, und sagte der korrupten Obrigkeit den Kampf an. Ahmadinedschad ist ein Populist. Er besitzt die Gabe, in der Bevölkerung verbreitete Meinungen und Gefühle in einfachen Parolen zu kleiden. Seine Sprache, seine Gestik, sein Lebensstil demonstrieren, dass er ein Mann des Volkes ist. Als er Präsident wurde, weigerte er sich, seine Dreizimmerwohnung zu verlassen und in den Präsidentenpalast zu ziehen. Die kostbaren Teppiche in seinem Amtssitz ließ er ins Museum bringen. Ausländische Gäste empfängt er ohne Zeremoniell, als wären sie Verwandte und Freunde, die zu einem kurzen Besuch vorbeigekommen sind. Fast jede Woche begibt er sich für ein paar Tage mit einem Teil seines Kabinetts in die Provinz, hält feurige Reden und genießt das Bad in der Menge.

Doch im Gegensatz zu den meisten Populisten ist Ahmadinedschad kein Demagoge. Er ist von dem, was er sagt, überzeugt: Das macht ihn noch gefährlicher. Er ist gefangen in einer Ideologie, die keinen Widerspruch duldet. Anders als Rafsandschani oder selbst Khomeini, die trotz fundamentalistischer Orientierung immer zu Kompromissen bereit waren, fehlt Ahmadinedschad die Bereitschaft, die Realitäten wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Das Lager des Islam werde umzingelt von dekadenten Westen, von Verrätern und Abtrünnigen, glaubt er. Selbst jene, die den Islam und den Gottesstaat reformieren wollen, zählt er dazu.

Was er anstrebt, ist ein lupenreiner islamischer Staat. Er möchte die von Khomeini geführte Revolution permanent fortsetzen, um zu diesem Ziel zu gelangen. Dazu fühlt er sich von höchster Stelle berufen, vom verborgenen Imam Mahdi, der nach der Überlieferung vollkommene Gerechtigkeit auf Erden walten lassen wird. Er sei zum Präsidenten gewählt worden, um dessen Rückkehr vorzubereiten, ist Ahmadinedschad überzeugt.

Ahmadinedschad verfügt über wenig Wissen und Erfahrung, weder innen- noch außenpolitisch. Daher hat er auch keinerlei Konzepte zur Lösung der akuten Probleme des Landes zu bieten. Putschartig unternahm er eine gründliche Säuberung in sämtlichen Ministerien, staatlichen Ämtern und Unternehmen und ließ erfahrene Spitzenfunktionäre des Staates durch Revolutionsgardisten und Mitglieder der Geheimdienste ersetzen. Allein im Teheraner Außenministerium wurden rund 300 leitende Stellen neu besetzt und 40 im Ausland tätigen Botschafter, die meisten von ihnen reformorientiert, abberufen. Sieben Direktoren staatlicher Banken wurde über Nacht auf die Straße gesetzt. Auch der Direktor der Teheraner Börse, die aufgrund der politischen Ereignisse brachlag, wurde gefeuert: Ein 26-Jähriger soll sie wieder in Schwung bringen. Diese Maßnahmen lösten im mittleren und höheren Management und wirtschaftlichen Interessenverbänden schnell Panik aus: Starke Kapitalflucht war die Folge.

Doch die Unfähigkeit des Präsidenten, die Probleme in den Griff zu bekommen, ließen bereits nach wenigen Monaten die Kritik so laut werden, dass der Eindruck entstehen konnte, ein Sturz der Regierung stehe unmittelbar bevor. Das von den Konservativen mit absoluter Mehrheit besetzte Parlament lehnte mehrere von Ahmadinedschad vorgeschlagene Minister ab; für das Ölministerium wurde erst sein vierter Vorschlag akzeptiert. Ahmadinedschad und seine islamistischen Kampfgefährten müssen den kalten Wind, der ihnen ins Gesicht blies, gespürt haben. Sie reagierten nach altbewährtem Muster, indem sie die Flucht nach vorn antraten.

Im Atomkonflikt ging die Regierung auf Konfrontationskurs. Damit nicht genug, forderte Ahmadinedschad auch noch völlig unvermittelt die Auslöschung Israels. Hätte man auf seine Attacken im Westen nicht so empört reagiert, sie wären wirkungslos geblieben, denn im Iran hört man solche Parolen allwöchentlich beim Freitagsgebet. Doch zu seinem Glück entfachte er damit vor allem im Westen einen Sturm der Entrüstung. Ermuntert legte er nach und zog auch noch den Holocaust in Zweifel.

Mit Antisemitismus haben diese Attacken wenig zu tun. Im Iran gäbe es dafür auch keine Basis, denn seit zweieinhalbtausend Jahren leben die iranischen Juden hier mit anderen Gläubigen zusammen; selbst im islamischen Gottesstaat sind sie als Glaubensgemeinschaft voll akzeptiert und im Parlament durch gewählte Abgeordnete vertreten.

Ahmadinedschad hat sich bisher auch noch nie gegen Juden als solche gewandt, sondern vor allem gegen die „zionistische Besatzungsmacht“ Israel. Sicher ist aber auch, dass man unter 70 Millionen Iranern keine tausend finden wird, die überhaupt wissen, was der Holocaust war und welch ungeheueres Verbrechen im Zweiten Weltkrieg gegen die Juden verübt wurden. Selbst Ahmadinedschad hat, wie man sieht, davon keine Ahnung: Seine Attacken sind für das westliche Ausland bestimmt. Je mehr er dort dämonisiert wird, desto mehr kann er bei den Massen in den islamischen Ländern punkten. Zu einem militärischen Angriff auf Israel wäre der Iran dagegen weder imstande, noch gibt es objektive Gründe, die einen solchen Angriff rechtfertigen würden.

Doch die Strategie ging auf, das Ablenkungsmanöver gelang dank der heftigen Reaktionen aus dem Westen vorzüglich. Der Brief an US-Präsident Bush, indem Ahmadinedschad in die Rolle einer religiösen Instanz schlüpfte, ist nichts anderes als die Forstsetzung dieser Strategie. Weitere Briefe an andere Staatsoberhäupter sind angekündigt.

Der Erfolg verleiht dem Präsident den Mut, seinen Großmachtambitionen nachzugehen. Er strebt die Gründung eines Blocks islamischer Staaten unter Führung Irans an und möchte einen gründlichen Kurwechsel – weg vom Westen, hin zum Osten. Aber die Barfüßigen und Habenichtse und die Millionen Arbeitslosen, die am Hungertuch nagen, wollen nun endlich Taten sehen. Und die mächtigen grauen Eminenzen im Lande sitzen auf der Lauer.

Irgendwann wird der Präsident merken, dass sich ein Volk von 70 Millionen nicht allein mit Parolen regieren lässt. Es sei denn, der Westen wird ihm durch Sanktionen oder gar militärische Maßnahmen gegen Iran die Gelegenheit geben, die Rolle eines Märtyrers zu spielen.

BAHMAN NIRUMAND