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Archiv-Artikel

Rettender Körper Frau

POCAHONTAS Was eine nordamerikanische Königstochter und die Gewalttätigkeit von Männern mit den Grundlagen unserer Kultur zu tun haben: Der Theoretiker Klaus Theweleit freestylt beim „Philosophischen Café“ im Literaturhaus

VON SONJA VOGEL

„Captain Smith and Pocahantas/ Had a very mad affair/When her daddy tried to kill him/She said ‚Daddy, o, don’t you dare/He gives me fever‘“ – „Fever“ ist einer der am häufigsten gecoverten Songs der Pop-Geschichte. Er erzählt von einer tragischen Liebe: die schöne Indianerin und der weiße Eroberer. Die Geschichte wurde tausendfach erzählt, von Walt Disney verfilmt und von Regisseur James Cameron für „Avatar“ adaptiert.

Doch die Geschichte von Pocahontas und Captain Smith ist eine Lüge, eine „Deck-Geschichte“, schreibt Klaus Theweleit in seinem Buch „Pocahontas II. Buch der Königstöchter“. Auf 700 Seiten setzt der Freiburger Kulturwissenschaftler darin fort, was er 1999 in den Bänden „Pocahontas in Wonderland“ und „You Give Me Fever. Arno Schmidt. Seelandschaft mit Pocahontas“ begonnen hatte.

Das Buch beginnt mit jenem amerikanischen Gründungsmythos: Der Legende nach rettete die Häuptlingstochter Pocahontas im frühen 16. Jahrhundert dem Briten John Smith das Leben und begründete so die Kolonie Jamestown mit. Ausgehend von dieser Geschichte verfolgt Theweleit, wie reale Landnahme über die Eroberung von Frauen legitimiert wird. Genauer: über die Körper indigener Frauen, die den Kolonisatoren das Überleben sicherten.

Die Collagetechnik, die Theweleit schon in seinem Standardwerk „Männerphantasien“ (1977) entwickelte, prägt bis heute sein Schreiben: In ausschweifenden Abhandlungen – assoziativ, üppig bebildert und mit einem gigantischen Anmerkungsapparat versehen – umkreist Theweleit sein Thema: die Gewalt von Männern gegen Frauen in Mythos, Popkultur und Realität.

Viele dieser Proto-Paare besiedeln die europäische Kulturgeschichte: ortsansässige Frauen, entbrannt für die Eindringlinge. Überliefert aber werden nur die Liebesgeschichten, nicht die von der Brutalität. Die Urversion der Überläuferin aus Liebe findet Theweleit in der antiken Mythologie: Medea, die dem Griechen Jason zum Goldenen Vlies verhilft – und verlassen wird. Von Ovid bis Christa Wolf zeigt Theweleit, wie sich diese Figur über 3.000 Jahre wandelte. Aus der Heldin wurde eine Verräterin, aus der Retterin eine Mörderin und schließlich Barbarin.

Aber Theweleit greift weiter zurück. Er liest die vorhomerischen griechischen Mythen konsequent kolonial: Die Einwanderung auf das griechische Festland wird von Erzählungen flankiert, die nicht einfach von Menschen handeln, sondern von Göttermännern – Zeus, Poseidon oder Apollon –, die die ortsansässigen Königstöchter schwängern. „Landstrich für Landstrich wird kodiert durch die Körper von Königstöchtern“, so Theweleit. Deren Söhne, die Heroen, besiedeln bald den Mittelmeerraum. So werden die Väter der Königstöchter um ihr Land gebracht.

Der Kulturwissenschaftler folgt den Göttern auf ihren Eroberungstouren, kartografiert ihre Wege, macht die mythologischen Besetzungen und die parallel verlaufenden Eroberung sichtbar. Neben diesen Landkarten führen Renaissance-Gemälde der gottmenschlichen Liebesakte durch das Buch: Leda, von Zeus in Gestalt des Schwans bestiegen, oder Danaë, die er als Goldregen heimsucht. Nur selten wird dieser Übergriff als Vergewaltigung gezeigt – und trotzdem sieht man die Ikonen der europäischen Kulturgeschichte noch während der Lektüre mit anderen Augen: Die Umarmungen sind ein hilfloser Versuch, den Gewaltakt zu verschleiern.

Nicht immer kann man Theweleits Assoziationswut folgen, aber darum geht es nicht. Er entwirft eine Geschichte in Fußnoten und überlässt es den LeserInnen, diese in die großen Erzählungen einzubauen.

Das Buch weist ins Hier und Jetzt: Man denke nur an die Schönrederei jener Sprache der männlichen Macht à la Brüderle. Oder an das erfolgreiche Kolonialmärchen „Avatar“: Auch im 21. Jahrhundert geht es nicht ohne die Eroberung der indigenen Frau. Obwohl sich Theweleit immer wieder in die Mythen der Vormoderne, in Bilderwelten und Randproduktionen der Popkultur eingräbt, lenken die Assoziationen den Blick auf etwas unter dem Lack der europäischen Kultur: eine Misogynie, die in den Wurzeln unserer Gesellschaft steckt.

■ Klaus Theweleit: „Pocahontas II. Buch der Königstöchter. Von Göttermännern und Menschenfrauen. Mythenbildung, vorhomerisch, amerikanisch“. Stroemfeld/Roter Stern 2013, 736 S., 38 Euro ■ Klaus Theweleit zu Gast im Philosophischen Café: Dienstag, 21. Januar, 19 Uhr, Literaturhaus