: Kommerz gegen den Mainstream
MUSIKVERMITTLUNG Das NDR-Sinfonieorchester hat für eine Hindemith-Einspielung unter Christoph Eschenbach den Grammy Award bekommen. Dessen Juroren setzen immer stärker auf Sperriges
Er ist schon ambivalent, dieser Hindemith: Einerseits gilt er als sperrig, war er doch in den 1920er Jahren einer, der radikal die Grenzen der Tonalität auslotete. Andererseits pflegte er stets pädagogische Ambitionen und schrieb zum Beispiel Sonaten und Etüden für Musikschüler aller Stufen und für interessierte Laien.
Paul Hindemith, der 1963 starb, wollte Musik nämlich auch demokratisieren und als „Gebrauchsmusik“ unters Volk bringen. Und er hat sich durch seine Vielgesichtigkeit nicht nur Freunde gemacht, er wetterte gegen Zwölftöner wie Arnold Schönberg, wurde aber später seinerseits von den Nazis als „verfemter Komponist“ ins US-amerikanische Exil getrieben.
Inzwischen wirken die Unterschiede zwischen Zwölf und Neutönern nicht mehr so groß. Aber auch heute steht Hindemith auf den Konzert-Agenden nicht ganz oben. Vielleicht, weil Schönberg interessanter scheint, vielleicht, weil der „Pädagoge“ Hindemith unter den Komponisten immer noch eher als Handwerker gilt.
Genau diese diffusen Vorbehalte haben Christoph Eschenbach gestört. Er war von 1998 bis 2004 Chefdirigent des in Hamburg ansässigen NDR-Sinfonieorchesters und kam 2013 als Gast zurück. Und da hat er – zum 50. Todestag des Komponisten – eine Hindemith-CD aufgenommen, mit den Sinfonikern und der Geigerin Midori. Die Sache hat sich gelohnt, denn für diese Einspielung hat das Orchester jetzt den Grammy Award 2014 bekommen. Als „Best Classical Compendium“ wurde die CD prämiert, und das stimmt aufs Wort: „Sinfonische Metamorphosen“, ein Violinkonzert sowie eine „Konzertmusik für Streicher und Blechbläser“ wurden darauf zu einem Zyklus verwoben, den Hindemith so zwar nie schuf, der aber wohl in seinem Sinne wäre.
Der Link lautet „Solistentum“, und ihn löst jedes der Stücke ein: In der Sinfonie wird jede Orchestergruppe solistisch behandelt, in der Konzertmusik sind es die Blechbläser und im Violinkonzert die Geige. Will sagen: Jeder steht reihum im Rampenlicht, und das entspricht Hindemiths demokratisch-bodenständiger Idee.
Die Grammy-Verleihung als solche wiederum – die erste an das NDR-Sinfonieorchester und die erste an ein deutsches Orchester seit 2011 – ist explizit als Verkaufsförderung gedacht und insofern kommerziell. Andererseits haben die Klassik-Grammy-Juroren in den letzten Jahren stets Nicht-Mainstreamiges belohnt. „Das ist kein Easy-Listening“, sagt Christian Kuhnt, Chef des Schleswig-Holstein Musikfestivals. Und natürlich, sagt er, „werden jetzt nicht die großen Massen Hindemith hören“. Aber es sei eine Ermutigung. Und so schließt sich der Kreis: Der Bratscher, Dirigent, Komponist Hindemith wird – mit einigen seiner anspruchsvollsten Werke – selbst zum Pädagogen. Beziehungsweise zum Musikvermittler, das klingt moderner. PETRA SCHELLEN
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