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Wenn die Angst regiert

STRESS Viele Studenten scheitern in Prüfungssituationen, weil es ihnen an Selbstvertrauen fehlt. Die psychologischen Beratungsstellen an den Hochschulen bieten Hilfe an. Doch sie wird nur von wenigen genutzt

Beratungsstellen im Norden

Jede Universität bietet ihren Studenten kostenlose psychologische Beratungsgespräche an. „Prüfungsangst“ ist bei allen eines der häufigsten Themen.

■ Uni Hamburg: ☎ 040 / 42 38 70 00 (Mo–Mi 9–15 Uhr, Do 10–18 Uhr, Fr 9–13 Uhr)

■ HAW Hamburg: ☎ 040 / 42 87 59 11 5 / –91 11

■ Uni Bremen: ☎ 0421 / 22 01 11 31 0 (Mo, Di, Do, Fr 9–13 Uhr, Mi 14–16 Uhr)

■ Uni Göttingen: ☎ 0551 / 39 45 96 (Mo–Mi 8–16 Uhr, Fr 8–14 Uhr)

■ Uni Kiel: ☎0431 / 88 16 13 5 (Mo, Mi 14–15 Uhr)

■ Leuphana Lüneburg: ☎ 04131/78 96 32 5 (Mo 16–17, Di 12–14 Uhr)

VON KATHARINA GIPP

Johanna hat gelernt, viel gelernt – und das über Wochen. Selbst die komplizierteste chemische Formel konnte sie im Schlaf herbeten, hat sie ihren Freunden gefühlte tausend Mal aufgesagt, fehlerfrei. Als sie schließlich die Prüfungsunterlagen vor sich liegen hat, ist von alldem nichts mehr da. Es ist weg, als hätte es nie existiert. Durch Johannas Kopf schwirren die buntesten Bilder, doch keines lässt sich greifen. Alle werden überlagert durch ein einziges Gefühl: Angst. Angst zu versagen, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden zu können, gegenüber ihren Freunden an der Uni schlecht abzuschneiden.

„Prüfungsangst“ sagen die Universitäts-Psychologen dazu und nicken wissend. Ein Grund, weshalb jedes Semester viele hilfesuchende Studenten zu ihnen in die Sprechstunde kommen. „Und es werden stetig mehr“, sagt Diplom-Psychologin Katrin Schumann, die den Studenten an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg psychologische Beratung anbietet. „In der heutigen Gesellschaft musst du einfach Leistungen erbringen, immer wirst du nur an deinen Leistungen gemessen“, sagt die Psychologin. Da sei es nur natürlich, dass viele Studenten Ängste vor Prüfungen aufbauen.

Prüfungsangst äußert sich in der Regel in Symptomen wie innerer Unruhe, schwitzigen Händen, Herzklopfen, Herzrasen und einer allgemeinen Unsicherheit. Während der Prüfung selbst kann sie dazu führen, dass der Student Konzentrationsstörungen, Denkblockaden oder auch einen kompletten Black-Out hat. „Natürlich können die Symptome unterschiedlich stark auftreten, aber ihre Ursache ist immer die Angst davor, zu versagen“, sagt Schumann. Dass die Ängste völlig absurd und irreal sind, würden die meisten betroffenen Studenten selbst wissen, aber oft hätten sich ihre Gedankengänge bereits selbstständig gemacht und seien nur schwer zu unterbrechen. „Wer sich immer selbst sagt: ‚Das ist zu viel, ich kann das nicht, ich bin schlecht‘, kann per se eigentlich schon keine gute Leistung erbringen.“ Das Gehirn könne nicht zwischen realer und eingebildeter Bedrohung unterscheiden. Wenn die negativen Angstgedanken zu stark werden, kann es schon mal mit einem Black-Out reagieren.

Bei vielen Betroffenen setzen die Ängste nicht erst kurz vor der Prüfung, sondern bereits in der Vorbereitungsphase ein – wenn der Lernstoff unendlich groß und kompliziert erscheint. Johanna weiß bereits bevor sie das erste Mal ihre Seminarunterlagen für die Vorbereitung in die Hand nimmt, dass die Zeit bis zu den Klausuren die schlimmste des Jahres werden wird. Aus der selbstsicheren jungen Frau wird innerhalb kürzester Zeit ein verunsichertes Häuflein Elend: „Wenn ich durch die Stadt gehe und Menschen in meiner Nähe lachen, denke ich, sie lachen mich aus.“ Johanna schläft schlecht, hat Herzrasen, ist am Ende ihrer Kräfte. Sie beschließt, sich helfen zu lassen. Auf Anraten ihrer Hausärztin holt sie sich als Studentin der HAW einen Termin bei Katrin Schumann.

Den Schritt zur psychologischen Beratung wagen nur wenige. „Für viele kostet dieses Eingeständnis, dass sie unter Prüfungsängsten leiden, schon eine enorme Überwindung“, sagt Schumann. „Einzugestehen, dass man nicht so perfekt ist, wie es die äußere Fassade vermuten lässt, hält viele zurück.“

Die Psychologin ist froh über jeden, der zu ihr in die Sprechstunde kommt. „Zuerst gebe ich den Studenten einige Entspannungstipps an die Hand“, sagt Schumann. Menschen mit Prüfungsangst hätten ein erhöhtes Erregungsniveau. „Man kann diese Entspannungsmethoden trainieren, so dass sie auch in Prüfungssituationen schnell eingesetzt werden können“, sagt die Psychologin. In einem zweiten Schritt gehe es darum, die negativen Denkmuster zu durchbrechen: „Den Studenten muss nur vor Augen gehalten werden, wie unrealistisch ihre Gedanken sind, und dass es nichts gibt, wovor sie sich wirklich fürchten müssen.“

Katrin Schumann bietet auch Seminare für Menschen mit Prüfungsängsten an. „Manchmal erkennen sie erst in den Erzählungen anderer, wie absurd eigentlich diese Ängste sind“, sagt sie. Johanna ist inzwischen zwei Mal zu einem Einzelgespräch gekommen. Sie ist froh, jemanden zu haben, mit dem sie offen reden kann. Doch sie ist auch froh, dass die nächsten Prüfungen noch in weiter Ferne liegen.

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