: Die schleimige Pest
Ein Buch von Stefan Maelck beweist: Pop ist eine Erfindung der DDR-Staatssicherheit
„Pop ist Sheriff“ hieß eine CD, auf der die „Late Lounge“-Redaktion des Hessischen Rundfunks die Musik einiger ihrer Gäste kompiliert hatte. „Pop ist Sheriff“ klingt kindercool und lustig, stimmt aber leider nicht. Pop ist im Gegenteil eins dieser Wörter geworden, die von der Kulturindustrie auf alles geklebt wird, das exakten Kriterien nicht genügt, aber als irgendwie-jung-und-geil auf den Markt gekloppt beziehungsweise eben gepopt werden muss.
Auf dem Ticket des Pop geht alles: Patriotismus ist Pop – ein paar windige Feuilletonisten rufen einen Trend aus, um anschließend in ihren eigenen Blättern über ihn zu berichten, als sei er eine Tatsache von öffentlichem Interesse und nicht ihre eigene, öde Erfindung. Das Kurzzeitgedächtnis des Publikums ist beschaffen wie das eines Dauerkiffers, und deshalb kann die Thesenjournalismus sich nennende Windbeutelei Produkte aus dem Althutcontainer jeden Tag als neue Sache verhökern.
Konservativ sein bedeutet, Resistenz und notfalls Renitenz zu zeigen gegen modischen Firlefanz und Quark. Es gilt also: Lieber Dada als Da Da Da, lieber Popo als Pop. Und schon hält man sie in Händen, die guten, alten Werte, nach denen immerzu geschrien wird.
Das Konservative ist eine Verteidigungswaffe, ein Filter, der ausschließlich passieren lässt, was später Klassik werden kann oder wird, nicht aber das hochgeschriebene Zeug, dem bereits am Tag seines In-die-Welt-gesetzt-Werdens der ranzige Geruch anhaftet, den jede abgelegte Mode – und also a priori jede Mode – verströmt. Pop dagegen ist eine Angriffswaffe, um genau diesen Filter zu zerstören. Pop setzt auf Masse, auf Totfüttern, auf die Methode Steter-Tropfen-höhlt-den-Stein, die dazu führt, dass kulturindustriell erzeugte Wühltischartikel wie Tokio Hotel oder Blumfeld feuilletonistisch zum „Phänomen“ (auch so ein Plastik- und Nullwort) geheißluftet werden.
Die schöne Idee, dass Popmusik aber auch eine richtig gefährliche politische Waffe sein könnte, vertritt der Radiojournalist Stefan Maelck. Nach seinem im Jahr 2003 erschienenen Debut „Ost Highway“ hat Maelck jetzt sein zweites Buch vorgelegt: „Pop essen Mauer auf. Wie der Kommunismus den Pop erfand und sich damit selbst abschaffte.“ Das Buch ist eine Dokumentarfiktion: Der Musikjournalist Ludger Bauer vertritt die These, Pop sei in der DDR erfunden und ins westliche Ausland exportiert worden, um dort gesellschaftliche Erosions- und Dekadenztendenzen anzufachen oder zu beschleunigen.
Beweisen will Bauer seine Theorie mit der Hartholz-Akte, einem verschollenen Geheimdokument, von dessen Existenz er überzeugt ist. Er findet die Akte und stöbert den Mann auf, der alles, womit Menschen seit den Fünfzigerjahren akustisch gequält wurden, erfunden und auf dem Kerbholz hat. Oder zumindest fast alles: Duttweiler, so heißt der DDR-Musikklassenkämpfer, gibt viele Sünden zu. Für die schlimmste von allen aber ist er nicht verantwortlich: „Mit Phil Collins habe ich nichts zu tun.“ Darauf legt Duttweiler größten Wert.
Die Infiltration des Westens mit populärer Musik durch die DDR hatte das Ziel, schädlichen Einfluss auf das Denken und Handeln von Jugendlichen zu nehmen. Die Operation beginnt im Jahr 1950: Eine Spionin namens Elvira Prassler wird in die USA geschleust, umgerüstet und zum Star gemacht – zu Elvis Presley. Und Andrew Eldritch, Sänger der Band Sisters of Mercy, hieß in Wahrheit Andreas Ältrich und war NVA-Offizier, bevor er von Duttweiler als Waffe gegen den Westen aufgebaut wurde.
Das klingt abenteuerlich, aber die Grundthese ist schön, und Maelck weiß zu formulieren. „Wind of Change“ von den Scorpions nennt er „ein Lied wie eine Mischung aus Gammelfleisch und Vogelgrippe“. Über Wolf Biermann, „dieses Kompositum aus Arsch und Geige“, heißt es: „Margot [Honecker] legte ihn flach, und das blieb er zeitlebens.“
Nebenher erfährt man eine Menge über die musikalische Sozialisation des 1963 in Wismar geborenen Autors, der mit Liedern von Reinhard „Lacky“ Lakomy, Herbert „Karat“ Dreilich, Jürgen Kerth, Hansi Biebl und Berluc aufwuchs, jener Band, deren Name aus Berlin und Luckenwalde zusammengesetzt ist und die mit „No Bomb!“ ein Friedenskitschlied zusammenrührte, das den Werken des Westduos Bastian & Kelly ebenbürtig war. Später lernte Maelck die Künste von Kinky Friedman, Howe Gelb, Joe Strummer und Warren Zevon kennen und wertschätzen – keiner von ihnen klingt, als hätte die Staatssicherheit die Finger im Spiel.
Aber weiß man’s wirklich? Wenn Maelcks These stimmt, ist niemand und nichts mehr sicher. Die Pop-Art und die Popliteratur sind mit Sicherheit Kreationen der Stasi oder ihrer Nachfolgetruppen – geschaffen einzig, um den menschlichen Kopf mit Dünnpfiff zu füllen. Wer aber wissen will, wer das Übelste von allem, wer Phil Collins erschuf, die schleimige Pest des Äthers, muss Maelcks Buch bis zum bitteren Ende lesen.
WIGLAF DROSTE
Stefan Maelck: „Pop essen Mauer auf“. Wie der Kommunismus den Pop erfand und sich damit selbst abschaffte. Rowohlt Berlin 2006, 158 Seiten, 10,90 €
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