Die Irren-Offensive

Der 1980 gegründete Verein versteht sich als Menschenrechtsorganisation und strebt die Befreiung der „Geisteskranken“ von der Zwangspsychiatrie an

  Regelmäßige Treffen:

Die AktivistInnen der Irren-Offensive treffen sich jeden Mittwoch ab 19 Uhr im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4 (Aufgang A, Raum 1102)

■  Im Netz:

Die Irren-Offensive gibt in unregelmäßigen Abständen eine eigene Zeitschrift heraus, die unter anderem auf der Webseite des Vereins angeboten wird:

www.antipsychiatrie.de

■  Informationen zur Patientenverfügung finden sich auf der folgenden Webseite:

www.patverfue.de

„Die Irren-Offensive heißt so, weil sie offensiv gegen die Verleumdung von Menschen als ‚Geisteskranke‘ angeht“, erklärt Roman Breier. Roman ist einer von mehreren Aktiven, die sich regelmäßig im Haus der Demokratie und Menschenrechte treffen, um gegen die Zwangspsychiatrie anzugehen. Der Name des eingetragenen Vereins ruft auf den ersten Blick Verwunderung hervor. Die Irren gehen in die Offensive, das klingt schon irgendwie amüsant. Auf den zweiten Blick entpuppt sich die Arbeit des Vereins aber als fundiert und geradezu theoriegeladen.

Die Irren-Offensive hat ihren Ursprung in den Hausbesetzungen im Berlin der 80er Jahre. Im Zuge einer solchen Besetzung hatte sich zuerst eine „wilde Gruppe“ gegründet, die in ihrem Haus auch Flüchtlinge aus der Zwangspsychiatrie aufnahm. Zwei Jahre später wurde das Haus geräumt. „Durch die Räumung wurde eine Formalisierung unserer Gruppe geradezu erzwungen“, blickt Rene Talbot zurück. Rene ist schon sehr lange aktiv mit dabei und freut sich über die Ironie, die in der Entstehungsgeschichte der Irren-Offensive enthalten ist. Durch die Räumung sahen sich die AktivistInnen genötigt auf offiziellem Wege eine neue Bleibe für ihr Anliegen zu finden. Die Irren-Offensive gründete sich als eingetragener Verein. Ein Jahr später konnte der Verein Räume in einer vom Senat geförderten Wohnung beziehen.

„Seit 1994 sind wir aber wieder ‚autonom‘“, stellt Alice Halmi fest. Sprich der Verein kommt ohne staatliche Förderung aus. Die Unabhängigkeit scheint Alice und den anderen AktivistInnen wichtig zu sein, obwohl es ihre Arbeit nicht einfacher macht, da sich der Verein ausschließlich aus Spenden finanziert.

Die Zwangspsychiatrie, gegen die sich die Irren-Offensive wendet, kann alle ab 18 Jahren betreffen. Bei Minderjährigen sind die Eltern entscheidungsbefugt. Alice Halmi nennt das Ganze „staatlich legalisierte Zwangsmaßnahmen“. Es geht um Zwangsmedikation, die Fixierung von Menschen und die immer noch betriebene Anwendung von Elektroschocks, also die Verabreichung von Stromschlägen, um geschlossene Anstalten und Freiheitsberaubung, und auch die Entmündigung von Menschen ist hierbei ein wichtiges Thema. Die Palette möglicher Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie ist lang.

„Der Zwang besteht spätestens dann, wenn diese Maßnahmen gegen den Willen der Betroffenen durchgeführt werden“, argumentiert Alice. Nicht immer wird der Zwang aber direkt ausgeübt, ergänzt Roman: „Auf einer offenen Station oder im ‚betreuten Wohnen‘, steht für den Betroffenen immer auch die Drohung im Raum, dass er in eine geschlossene Abteilung gebracht wird, wenn er sich nicht ‚freiwillig‘ ‚behandeln‘ lässt.“ Die AktivistInnen von der Irren-Offensive sprechen auch grundsätzlich nicht von Medikamenten oder Psychopharmaka, sondern ausschließlich von Drogen – allerdings mit unerwünschten Wirkungen.

Den Aktiven der Irren-Offensive geht es nicht nur darum, den Missbrauch in der Zwangspsychiatrie zu beenden, sondern sie wollen die Zwangspsychiatrie grundsätzlich abschaffen. Im Kampf David gegen Goliath kommt nun mit der neuen Patientenverfügung unerwartet Hilfe vom Gesetzgeber. Hier setzt die Irren-Offensive an, denn Voraussetzung für eine Zwangsverfügung sei eine aktuelle Diagnose. „Diese Diagnose oder die entsprechende Untersuchung kann aber durch eine Patientenverfügung vorab verboten werden und gilt insbesondere für den Fall, dass der ‚Patient‘ zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr einwilligungsfähig ist“, erklärt Rene. Das klingt etwas kompliziert, besagt aber einfach, dass man im Vorhinein die Untersuchungen untersagen kann, die möglicherweise später als Grundlage für eine Zwangsmaßnahme dienen könnten.

Die Irren-Offensive hat nun mit Hilfe von Anwälten eine eigene Patientenverfügung formuliert, kurz PatVerfü, die genau dies zum Inhalt hat. So soll das System der Zwangspsychiatrie ausgehebelt werden. Das Anliegen der Irren-Offensive ist, dass möglichst viele Menschen eine eigene PatVerfü erstellen. Eine intensive rechtliche Auseinandersetzung hat die PatVerfü zwar noch vor sich, aber die Aktiven sind zuversichtlich, dass ihre PatVerfü Bestand hat, da sie lediglich das neue Gesetz nutze. Aktuell versucht die Irren-Offensive daher mit einer Kampagne auf die Möglichkeiten, die die PatVerfü bietet, aufmerksam zu machen. JAL