Wo Tiere die besseren Menschen sind

Paul McCartney isst kein Fleisch, Brigitte Bardot rettet Robbenbabys, Sophie Ellis-Baxtor verschmäht Pelze und die Ethos-Aktivisten der Organisation Peta retten libanesische Wellensittiche vor den Angriffen der israelischen Armee – Tierschutz liegt voll im Trend. Und ist sowieso moralisch einwandfrei. Oder?

VON SUSANNE STIEFEL

Es gibt Zeiten, da verstört Tierliebe. Auf Beirut prasseln Bomben. Südlibanesische Dörfer werden zerstört, in den Trümmern der Häuser sterben unschuldige Menschen. Die Libanesen flüchten in Scharen, nur weg von der israelischen Grenze, hoch in den Norden oder gleich ganz außer Landes. Ausländer werden hastig evakuiert. Die Welt hält den Atem an. Und Tierschützer Jason Baker eilt nach Beirut, um verlassene Wellensittiche und Hunde zu retten. „Um Menschen kümmern sich viele“, sagt Harald Ullmann mit sanfter Stimme, „wir kümmern uns eben um Tiere.“

„Wir“, das ist die Tierrechtsorganisation Peta (People for the Ethical Treatment of Animals), für die Jason Baker als Direktor und Harald Ullmann als Deutschlandchef arbeiten. Ullman kann nicht verstehen, was am Libanoneinsatz denn um Gottes willen falsch sein soll. „Alles Leben ist lebenswert“, betet er einen Peta-Grundsatz herunter und noch einen: „Menschen sind Tiere wie andere auch.“ Spätestens da möchte doch mancher widersprechen oder zumindest über Prioritäten diskutieren. Und das ist durchaus gewollt.

Denn die weltweit erfolgreichsten Tierschützer von Peta, der Organisation mit den meisten prominenten Fürsprechern, pflegen die Provokation. Stolz wird Buch geführt, wie oft man in den Medien erwähnt wird. Und das gelingt nun mal am besten mit spektakulären, oft umstrittenen Aktionen. Das haben die Aktivisten seit ihrer Gründung 1980 in den USA gelernt. „Wer etwas erreichen will, muss auf sich aufmerksam machen“, sagt Ullmann. Und dann zählt er auf, was erreicht werden soll: die engen Legebatterien abschaffen, Massentierhaltung verbieten, qualvolle Tiertransporte unterbinden. Zoos und Zirkus abschaffen, Gänsestopfleber verbieten, Tierversuche für Medikamente und Kosmetik unterbinden.

Grausame Vegetarier

Die Liste ist lang und durchaus nachdenkenswert. Doch manchmal schießen die Gutmenschen zum Wohl der Tiere auch übers Ziel hinaus. Manche der Kampagnen, Forderungen oder Klagen sind geschmacklos, andere moralisch fragwürdig. Da wird etwa bei dem Menschenpräparator Gunther von Hagens angefragt, ob er eine Leiche für öffentliches Grillen zur Verfügung stelle, damit man auf die Grausamkeit der menschlichen Fleischesser aufmerksam machen kann. Auch Veganer können grausam sein.

Doch am meisten Kritik hat den Tierrechtlern wohl ihre Holocaust-Kampagne vor drei Jahren eingebracht. Bilder von geschundenen KZ-Häftlingen wurden abgemagerte Kühe gegenübergestellt. Ermordete Juden gegen tote Schweine aufgerechnet. Der Holocaust auf Ihrem Teller – so die Botschaft.

Die Gleichsetzung von Mensch und Tier, der Vergleich von KZs mit Massentierhaltung, das Nebeneinanderstellen von Viehtransporten mit der Deportation der Juden löste Empörung aus. Da wurden selbst prominente Peta-Unterstützer wie die ZDF-Moderatorin Nina Ruge hellhörig und protestierten: „Ich kann doch nicht industriell gehaltene Schweine vergleichen mit dem Schicksal von Millionen Menschen, die industriell vergast worden sind“, sagte sie in einer „Panorama“-Sendung.

Der sanfte Harald Ullmann hat damit weniger Probleme: „Hier werden zwei Situationen miteinander verglichen, die unserer Meinung nach identisch sind.“ Er setzte in derselben „Panorama“-Sendung noch einen drauf, in dem er ungerührt zu Protokoll gab: „Die Welt wäre ein besserer Ort für die Tiere ohne Menschen. Die größte Plage auf dieser Welt sind die Menschen. Das klingt sicherlich hart. Für die Tiere ist es leider Realität.“ Das klingt nicht nur hart, sondern zynisch, wenn nicht menschenverachtend. Sind Tierschützer Menschenhasser, Herr Ullmann?

Mit heiliger Empörung

„Neinnein“, sagt er da wieder mit dieser sanften Predigerstimme und redet vom Tierschutz in Zeiten menschlichen Leids und dass Peta weder Menschen noch Tiere gerne als Opfer sehe, aber nun mal eine Tierschutzorganisation sei und andere sich um Menschen kümmerten. Die Argumente wiederholen sich. Und während er mit dieser hellen Stimme redet, merkt man, dass an diesem Mann alle Kritik abperlt. Seit 20 Jahren streitet der 49-Jährige nun für Peta, er hat alles schon gehört und immer wieder dieselben Argumente aufgefahren. Doch unter der Sanftheit lauert eine tiefe Empörung. Und die wirkt schon fast heilig.

Der Moraltheologe und Ethiker Dietmar Mieth kennt diese Quasireligiosität, die sich einstellt, wenn Menschen sich in einem Kreis einschließen und nur noch gegenseitig bestätigen. „Das Lebenselixier ist die gemeinsame Empörung“, so Mieth. Der Tübinger Professor kennt auch die Unversöhnlichkeit, mit der sich Tierschützer und ihre Gegner gegenüberstehen.

Bereits in den Achtzigerjahren hat er ein Symposium geleitet, bei dem Tierschützer mit Forschern über Tierexperimente diskutierten. Es ging so rund, dass kein Tagungsbericht erstellt werden konnte, weil beide Parteien nicht gemeinsam in einem Buch erscheinen wollten.

„Die Unterschiede zwischen Mensch und Tier werden zu Recht reduziert“, sagt Mieth, der sich auch als Tierschützer bezeichnet, „aber an erster Stelle muss der Mensch stehen.“ Und bei der Holocaust-Kampagne wurde für ihn klar eine moralische Grenze überschritten.

An diesem Sommertag in Heidelberg ist Peta kaum auf Provokation aus.

Gewissenhaft bemalt Tanja Breining den Körper einer Mitstreiterin, vor sich den Spickzettel, wo was stehen muss: „Haxe“ schreibt die junge Frau auf den wohlgeformten Unterschenkel, „Suppenknochen“ auf die Rippen. Stück für Stück zerteilt sie den weiblichen Körper in Lende, Schulter, Keule. Der Platz vor dem Feinkostladen in der Heidelberger Fußgängerzone ist bewusst gewählt. Die Menschen bleiben stehen, mehr, um die hübsche halbnackte Frau vor den Salamiwürsten zu bewundern, als sich über das Schild Gedanken zu machen, das sie vor den Busen hält: „Wir haben alle die gleichen Teile.“

Die Meeresbiologin Tanja Breining arbeitet seit einem Jahre bei Peta, mit der heutigen Aktion wirbt sie für fleischlose Ernährung. Viel diskutiert wird nicht an diesem Tag, „das ist eher die sexy Variante des Protests“, sagt Breining spöttisch. Nackte Körper sind heute keine Provokation mehr.

„Ich finde saftige Steaks geil“, schreit ein junger Mann im Vorübergehen und kommt noch einer halben Stunde noch einmal vorbei, um den Spruch, den er offensichtlich gut fand, noch einmal loszuwerden.

Tanja Breining verteilt Flugblätter zu vegetarischer Ernährung, ernsthaft und eifrig, als wäre es der Wachtturm. Der junge Mann, der am Geschäft gegenüber lehnt, fragt sich, ob Pflanzen keine Gefühle haben, doch er traut sich nicht, zu fragen. „Ich glaube, die redet mich sonst in Grund und Boden.“ Es ist diese missionarische Aura, diese satte Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen, die Tierschützer nicht immer sympathisch macht.

Peta spaltet. Ob es das Testament der Gründerin Ingrid Newkirk ist, die verfügt, dass ihr toter Körper öffentlich gegrillt werden soll. Oder ob es die Aktivisten sind, die vor einer Edelgaststätte in Fellbach gegen Gänsestopfleber protestieren, indem sie den Sternekoch (ein verkleideter Peta-Aktivist) von einer Gans (auch ein Aktivist) stopfen lassen. Oder ob es der Künstler ist, der 30 Stunden nackt in einem Käfig vor dem Bundestag sitzt, um Käfighaltung anzuprangern. Manches befremdet, vieles ruft Unbehagen hervor, einiges auch Zustimmung. Harald Ullmann bekommt begeisterte Mails, aber auch unangenehme Drohbriefe und beleidigende Anrufe. Anders als Peta-Chefin Newkirk kommt er aber noch ohne Bodyguards aus. Und anders als in den USA wurde auch noch kein totes Tier zum Deutschlandsitz der Tierschützer nach Gerlingen gesandt. Das liegt sicher auch an Harald Ullmann.

Der Mann wirkt zufrieden. Mit sich und der Welt im Reinen. Das mag nerven, aber es ruft keine Aggression hervor. Ullmanns quasireligiöse Begeisterung ist immun gegen Anfeindungen und Zweifel jeder Art. Seine persönliche Lieblingsaktion war übrigens der Versuch, „Fischen“ im Allgäu in „Wandern“ im Allgäu umzubenennen. Gewundert hat er sich nur, dass die Dorfbewohner das Augenzwinkern nicht bemerkt haben und sich über die Anmaßung empörten, ihnen den Namen wegnehmen zu wollen. „Die trauen uns wohl keinen Humor zu“, sagt der Tierrechtler erstaunt – und könnte Recht haben.