: „Nicht nur der Westen hat Angst“
Seit dem 11. 9. 2001 ist das Bedürfnis nach einem Dialog zwischen dem Westen und dem Islam sprunghaft gewachsen. Vertrauen aber schafft ein solcher Dialog nur, wenn er auf Augenhöhe geführt wird, meint Kurt-Jürgen Maaß
taz: Herr Maaß, ist der 11. 9. 2001 eine Chiffre für das Ende des Dialog zwischen der islamischen und der westlichen Welt?
Kurt-Jürgen Maaß: Nein. Seit dem 11. September 2001 sieht die Politik in viel stärkerem Maße, dass der Dialog geführt werden muss. Schon in den 90er-Jahren wurde deutlich, dass hier eine neue Bruchstelle zwischen den Gesellschaftssystemen entstanden ist, die immer größer wird. Samuel P. Huntingtons Buch „Clash of Civilizations“ erschien bereits 1993. Und wir haben frühzeitig mit unseren Dialog-Programmen reagiert.
Aber die Gewalt seit 9/11 hat zugenommen.
Gewalt hat es vorher schon gegeben. Deutschland hat im 20. Jahrhundert die ganze Welt mit Gewalt überzogen. Die Muslime, die das Attentat in den USA durchgeführt haben, haben die Gewalt ja nicht erfunden. Sie ist ein Teil der Geschichte von uns allen.
Aber die islamische Welt hat sich verändert …
Ja, was wir dort im Augenblick vorfinden, ist eine gefährliche Mischung aus Religion und Politik. Die Politik setzt Gewalt ein und rechtfertigt sie mit Religion.
Das ist die westliche Sichtweise. Wie sehen Menschen aus islamisch geprägten Ländern auf den Westen?
Sie sehen die Widersprüchlichkeit unserer Politik. Wir verlangen von islamischen Ländern, dass sie sich modernisieren und demokratisieren. Gleichzeitig unterstützen wir Regierungen wie die Saudi-Arabiens. Die Leute sind es leid, von Diktatoren regiert zu werden, die wir unterstützen.
Welche Rolle spielt das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen islamisch geprägten Ländern und dem Westen?
Unsere wirtschaftliche Übermacht hat indirekt auch zu einer Verarmung der islamisch geprägten Länder geführt, denn der Welthandel ist nach wie vor ungerecht und funktioniert einseitig zugunsten der Industrieländer. Die arabischen Länder sind die Verlierer der Modernisierung. Armut, fehlende Ausbildung und Perspektivlosigkeit haben dazu geführt, dass ein radikales Potenzial entstanden ist.
Gibt es nicht noch tiefere Ursachen dafür, dass die arabischen Länder Verlierer der Modernisierung sind?
Doch. In einem von Arabern verfassten UN-Report wird schonungslos analysiert, dass die arabischen Länder auch durch ihr eigenes Verschulden den Anschluss an die Entwicklung verpasst haben. In einigen Ländern sind die wirtschaftlichen Chancen, die die Bodenschätze bieten, nicht genutzt worden. Vor allem das Öl ist nur einer kleinen Schicht zugute gekommen.
Sie wollen den Anhängern der Modernisierung helfen. Und wie?
Wir organisieren regelmäßig Konferenzen. Unsere Adressaten sind vor allem Journalisten, weil eine freie Presse die Voraussetzung für eine Zivilgesellschaft ist. Weitere Zielgruppen sind NGOs, etwa Berufs-, Umwelt- und Frauenorganisationen. Das sind Bereiche der Zivilgesellschaft, die sich ganz vorsichtig bilden.
Im Idealfall läuft ein Dialog auf Augenhöhe. Arme Länder sehen sich oftmals als Opfer des reichen Westens. Wie kommt man auf gleiche Augenhöhe mit Menschen, die sich als Opfer sehen?
Indem wir lernen, ihnen zuzuhören. Und fragen: Worüber sollen wir reden?
Und was ist das?
Sie sagen sehr dringlich: Redet mit uns über Themen, die für unsere Entwicklung wichtig sind. Dazu gehört die Internationalisierung der arabischen Welt. Die Entwicklung einer freien Presse. Und der Menschen- und Freiheitsrechte. Sie fragen uns: Wie können wir diese Rechte durchsetzen, ohne dass uns etwas passiert? Dafür brauchen sie unsere Hilfe.
Wie stark sind diese Kräfte?
Vereinfacht gesagt. Es gibt es zwei Bewegungen, die das Machtvakuum in den Ländern füllen. Die eine ist der fundamentale Islamismus, die andere die Bewegung der Modernisierer. Für sie ist der Kulturdialog lebenswichtig – die einzige Alternative, um die Konflikte mit dem Westen in fruchtbare Bahnen zu lenken.
Wie sollte der Dialog geführt werden, damit er gelingt?
Mit Respekt. Diesen Respekt aber vermissen viele, weil der Islam vom Westen oft als Religion des Terrors abgewertet wird.
Der Westen und die islamischen Länder haben also beide Angst um ihre Werte.
Ja. Die islamische Welt hat Angst, dass der Westen praktisch in jedem Land einmarschieren könnte. Wir haben Angst vor der nichtstaatlichen Gewalt aus diesen Ländern – vor dem Terror. Dies kann nur durch einen Dialog aufgebrochen werden. Wir müssen Vertrauen aufbauen.
Gibt es Grenzen des Dialogs?
Ja. Etwa wenn bei einer unserer Konferenzen ein Diskutant aus dem Iran darüber sprechen wollte, ob man Israel zerstören solle. Darüber kann man mit uns nicht reden.
INTERVIEW: SUSANNE RYTINA
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