Nie zu Ende gedacht

OPERN Nicolas Stemann erklärt in der Staatsoper mit dem Text „Rein Gold“ von Elfriede Jelinek und der Musik von Richard Wagner, worum es im „Ring des Nibelungen“ eigentlich geht. Die Staatskapelle assistiert

Denn auch im Original klingt Wagner plötzlich wie ein Text von Elfriede Jelinek

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Die Staatskapelle ist nur die Kulisse auf der Bühne. Sie muss sich komplett mit ihrem Dirigenten Markus Poschner nach vorne und nach hinten verschieben lassen. Und manchmal werden die Damen und Herren schlicht gebeten, den Raum zu verlassen, weil jetzt die Synthesizer kommen, und die Gongs.

Gegen Ende dieses Theaters wird sich der Schauspieler Sebastian Rudolf bei ihnen, dem „Orchester von Daniel Barenboim“ entschuldigen für all das, was ihnen da angetan wird. Im Stil eines Motz-Verkäufers in der U-Bahn bittet er aber auch uns und Richard Wagner, die Störung zu entschuldigen. Aber es gibt gar nichts zu entschuldigen. Was Nicolas Stemann auf der Bühne des Schiller Theaters aufführen lässt, ist bei Weitem besser und witziger als die tausend Wagneriaden, die wir letztes Jahr auf sämtlichen deutschen Bühnen ertragen mussten. Im Druck erschienen ist Elfriede Jelineks Text „Rein Gold“ tatsächlich 2013, zu Wagners 200. Geburtstag. Stemann hatte eine Urfassung schon 2012 im Prinzregententheater München mit einer Lesung vorgestellt. Auf der Bühne war dazu das Finale der Fußballeuropameisterschaft aus Kiew zu sehen.

Jetzt hat Stemann diesen Text noch einmal zur Hand genommen, ohne Fußballspiel, dafür mit Musik. Eifrig wie im dritten Semester ihres Studiums der Philosophie bemühen sich die Schauspieler Katharina Lorenz, Philipp Hauß und eben Sebastian Rudolf an der Rampe, die typisch Jelink’sche Sturmflut von Worten einfach nur zu lesen. Das ist schwierig genug, hilfreich ist daher schon, dass bald auch Rebecca Teem, Mezzosopran, und Jürgen Linn, Bassbariton, dazukommen. Sie singen ihnen etwas vor aus den Noten von Wagners Brünnhilde und Wotan.

Beide können das sehr gut, hinten spielt die Staatskapelle auf ihrem Weltniveau. So entsteht aus dem linkischen Buchstabieren von Jelinkes Worten und dem fragmentierten Klangrausch von Richard Wagner ein Dialog der Mittel, der nicht nur die im Übrigen nahezu leere Bühne mit Leben füllt, sondern auch noch zu überraschenden Einsichten führt.

Denn worum geht es in diesem ganzen Reden, Singen und Tönen? Um Brünhilde und Wotan, sagt Elfriede Jelinek. Die eine hat so ziemlich alles an feministischer und neomarxistischer Literatur der letzten Jahre gelesen, und rechnet ab mit ihrem Vater, der sie, in einen Feuerzauber eingesperrt, schlafen geschickt hat. Aber sie kann natürlich nicht schlafen und plappert in sich hinein wie wir alle, wenn wir nicht schlafen können: „Jetzt kann er den Kredit nicht zurückzahlen … Die dort unten, die Niegelungenen …“ Wotan schläft nicht, hat aber „Das Kapital“ im Original gelesen und haut seiner Tochter und den Finanzmärkten den Marx um die Ohren. Aber eigentlich möchte er nur „Das Ende“.

Das aber gibt es nicht. Beide reden sich bei Jelinek in eine ausweglose, immerwährende Wahnwelt hinein. In Stemanns Regie wird dieses Kreisen um ein paar wenige, nie zu Ende gedachte Gedanken zum strukturellen Muster für Wagners Art, ebenso ausweglose monomanische Mythen zu komponieren.

Markus Poschner hat gelegentlich in die Partitur eingegriffen, um dieses ziellose Auf-der-Stelle-Treten deutlicher zu machen. Auch der Einsatz von Synthesizern dient diesem Zweck. Sie reduzieren die Binnenstruktur des Wagner’schen Orchesters auf einen einheitlichen, stehenden Klang von erhabener Leere.

Beides wäre gar nicht nötig gewesen. Denn auch im Original klingt Wagner plötzlich wie ein Text von Elfriede Jelinek: ein endloser Fluss von Lauten, aus der einzelne, immer wiederkehrende Worte wie die Fanfaren der Leitmotive aufblitzen. Man versteht, wie gut und genau Elfriede Jelinek ihren Wagner gelesen hat.

Zusammen bilden sie bei Stemann ein völlig neues Theater, das deswegen so unterhaltsam ist, weil es ganz unprätentiös Distanz schafft zu diesem Raunen, das offenbar bis heute den nachhaltigen Erfolg von Richard Wagners Monsteropern erklärt. Zu sehen ist der seltsame Monolog einer Gesellschaft, die sich fortwährend nach einer erlösenden Revolution sehnt, die sie aber gar nicht wollen kann. Sie kann sie sich in Wirklichkeit nicht einmal vorstellen.

Bei Stemann geht der Aufstand der Massen so: Philipp Hauß macht den Conferencier. „Aufstehen bitte. Danke schön. Und jetzt wieder hinsetzen.“ Wir machen das in der Staatsoper tatsächlich. Danach liest jemand Rio Reiser vor: „Keine Macht für Niemand“. Wagner lebt.

■ Wieder am 12. und 15. März