Der neue Mann

Besser wird’s nicht. Justin Timberlake, der angenehmste Superstar unserer Zeit, hat ein neues Album herausgebracht

Nun ist er also auch bei Justin Timberlake angelangt, der Trend zum gepflegten Unrasiertsein. Der Viertagebart, die männliche Entsprechung zu den High Heels: unbequem, sexy und aus komplizierten kulturbiologischen Gründen fetischisiert. Was will uns Timberlake mit dieser Gesichtsbehaarungswahl sagen? Signalisiert es Männlichkeit? Das wäre möglich, schließlich war Timberlake einmal Mitglied der Boyband N’Sync, davon kann man sich gar nicht genug emanzipieren, wenn man an über 20-jährige Menschen Platten verkaufen möchte. Signalisiert es Jungenhaftigkeit? Auch das kann es sein, sie macht schließlich Justin Timberlakes Charme aus. Oder ist es pophistorisches Zitat? Karrierestrategisch gibt es schließlich einige Parallelen zwischen Timberlake und George Michael, beides ehemalige Teenpop-Idole, die sich ausgerechnet die schwarze Musik als Feld ihres Emanzipationsdramas ausgesucht haben.

Justin Timberlake dürfte der angenehmste Superstar sein, den der Pop gegenwärtig zu bieten hat. Insbesondere im Vergleich mit Robbie Williams, dem anderen Ex-Boyband-Darsteller, der es zu großem Ruhm als Solokünstler gebracht hat und einen seit Jahr und Tag mit immer schlechter werdenden Platten und kontroversen Aussagen zu Sex und Fußball belästigt sowie einer visuellen Erscheinung, die immer stärker an einen aufgeschwemmten Geldsack erinnert. Justin Timberlake dagegen: Seine Interviews sind sturzlangweilig. Man muss sich schon über seinen Bart Gedanken machen, wenn man ihm als Figur irgendwie Bedeutung entlocken möchte. Das macht man aber gerne, denn er sieht immer prima aus, ohne dabei übermäßig brav zu sein. Und das Wichtigste: Er macht seine Arbeit. Kein Album eines der großen Superstars in diesem Jahr dürfte gleichzeitig aufregender, interessanter und durchdachter sein als „Futuresex/Lovesounds“ (Zomba/Sony BMG), Justin Timberlakes neue Platte.

Zunächst einmal und ganz grundsätzlich ist eine glückliche Kombination von Leidenschaft und Willen zur konzeptuellen Stimmigkeit hinter der Platte erkennbar. Timberlake hat den Produzenten Timbaland engagiert, der auch schon für gut die Hälfte von „Justified“ verantwortlich war, dem brillanten Timberlake-Debüt von 2002. „Cry Me A River“ hieß die begnadete Leadsingle damals, eine Verarbeitung des Scheiterns seiner Beziehung zu Britney Spears. „My Love“ heißt der Überhit nun: eine Liebeserklärung an Timberlakes aktuelle Freundin Cameron Diaz – mit Falsett gesungen über den dickpinselig hingeworfenen Synthie-Fanfaren, die das polyrhythmische Snaregeschnalze in Schach halten. Liebe erklärt sich im Pop immer schwieriger als Hass – Timberlake gelingt es. Fast genauso gut: die beiden wunderbaren Siebenminüter „LoveStoned“ und „What Goes Around Comes Around“, Timberlakes Versuch, Coldplay auf dem Feld des klaviergestützten Großgefühl-Epos in die Schranken zu weisen.

Ja, ein Stück wie „Losing My Way“, über die Gefahren des Drogenkonsums hätte er sich besser geschenkt. Weder die Pose des Warners noch die desjenigen, der das Leben gesehen hat, sind sonderlich überzeugend. Und wenn man davon ausgeht, dass Timberlake wohl gerne so deep wäre wie Marvin Gaye, so experimentell wie Prince und so erfolgreich wie Michael Jackson, dann muss man konstatieren: ist er nicht. Nichts davon. Dass aber einer der größten Superstars überhaupt dieses Bedürfnis hat, das ist schon eine ganze Menge. Die celebrity culture ist nach den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie organisiert und kommt ganz gut ohne genuin künstlerischen Ehrgeiz aus oder das Bedürfnis, ernst genommen werden zu wollen. TOBIAS RAPP