: Folgen einer Stigmatisierung
SCHÖNHEITSIDEAL Schmale Augen wurden in Ostasien lange bewundernd als „Mandelaugen“ bezeichnet. Seit die westlich dominierte Werbung große Augen anpreist, legen sich viele Asiaten unters Skalpell
So ziemlich jeder Ostasiate dürfte in Deutschland schon mal so bezeichnet worden sein: als Schlitzauge, Bonsai, Gelbling – sei es von irgendwelchen Halbstarken auf der Straße, aus Spaß im Freundeskreis oder aus ehrlich gemeinter Böswilligkeit, in der dem Gegenüber in jenem Moment kein anderes Schimpfwort eingefallen ist.
Persönlich sind mir diese Bezeichnungen nicht allzu nahegegangen. Auch ich habe das eine oder andere Mal jemanden als „fettes Arschloch“ oder „dämliche Kuh“ bezeichnet. Das ist nicht weniger diskriminierend. Erst seitdem ich in Ostasien lebe, sind mir die verheerenden Auswirkungen dieser Stigmatisierung gegenüber Asiaten bewusst geworden.
Etwa 30 Prozent der Ostasiaten haben Augenlider, denen an ihren unteren Enden die bei Europäern übliche Falte fehlt. Die meisten Chinesen, Koreaner und Japaner haben zudem flachere Gesichtszüge, und ihre Nasenwurzel ist niedriger. In China und auch in Korea galten schmale und lange Augen lange Zeit als Schönheitsmerkmal. In der alten chinesischen Lyrik etwa wurden die Augen einer anmutigen Frau mit einer schmalen Mondsichel oder auch mit Mandeln verglichen, daher auch der wohlklingende Begriff „Mandelaugen“. Heute jedoch hat sich das Schönheitsideal in Ostasien radikal verändert. Schuld daran ist in erster Linie die westlich dominierte Werbeindustrie, die schlanke blonde Frauen mit großen blauen Augen anpreist. Inzwischen ist auch in China von „Schlitzauge“ die Rede bei Menschen, deren Augen vor noch nicht allzu langer Zeit als „mandelförmig“ bezeichnet wurden. Sie werden nun als Makel empfunden. Angesagt hingegen ist die „Doppelfalte“, die die Augen größer erscheinen lassen soll.
Was dieses veränderte Schönheitsideal so verheerend macht: Millionen ostasiatischer Frauen und zunehmend auch Männer legen sich unters Skalpell. Dabei handelt es sich um eine komplizierte Operation. Mithilfe eines Fadens bringen „Schönheits“-Chirurgen einige Nähte am oberen Augenlid an und versuchen so, eine Falte herzustellen. Oder sie schneiden mit dem Messer gleich eine Ritze in das Lid. In China kostet dieser Eingriff umgerechnet bis zu 2.000 Euro – und verursacht nicht selten bleibende Schäden. Immer wieder sind in Pekinger Cafés junge Frauen mit völlig vernarbten oder gar erblindeten Augen zu sehen. Auch Schönheitsoperationen von Nase, Kinn oder anderen Körperteilen sind weit verbreitet. Doch der mit Abstand häufigste operative Eingriff erfolgt am Augenlid.
In China haben sich inzwischen Initiativen gebildet, die vor den Gefahren dieser chirurgischen Eingriffe an den Augenlidern warnen. Der Slogan, mit dem sie auf sich aufmerksam machen: „Wider dem operativen Schlitz“. FELIX LEE, PEKING
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen