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Archiv-Artikel

Liebe im Hinterhof

Sextourismus und erotische Eskapade: Laurent Cantets Film „In den Süden“ handelt von US-Touristinnen in Haiti

Gegen ein paar Geschenke und andere Aufmerksamkeiten gibt es auf Haiti unkomplizierten Sex mit einheimischen Männern. Die persönlichen Motive der drei Amerikanerinnen, die in den Siebzigern wiederholt in die Karibik reisen, mögen durchaus unterschiedlich sein, gemeinsam ist ihnen der Wunsch nach körperlicher Nähe. Unumwunden drückt Ellen (Charlotte Rampling) ihr Begehren aus: Sie findet auf Haiti als 50-jährige Frau eine Bestätigung, die ihr zu Hause schon länger nicht mehr zuteilwird. Brenda (Karen Young), mit deren Ankunft der Film beginnt, hängt dagegen einem romantischen Konzept von Liebe nach. Sue (Louise Portal) schließlich glaubt, dass sie sich erst hier am Meer gänzlich verändern, zu einer offeneren Person würde. In gewisser Weise fallen alle drei Illusionen anheim.

Laurent Cantets neuer Film „In den Süden“ („Vers le Sud“) wertet seine Figuren nicht, sondern versucht ihre Motive auf diskrete Weise zu ergründen. In Interviewszenen, die den Fluss der Handlung unterbrechen, geben die Frauen Einblicke in ihr Inneres und Auskunft über ihre Frustrationen, die sie nach Haiti geführt haben. Was sich plakativ als Sextourismus bezeichnen ließe, wird so auch zum Mittel, von unerfüllten Sehnsüchten von Frauen in fortgeschrittenem Alter zu erzählen. Cantet interessiert sich dabei weniger für eine Ökonomie, an der das Gefälle zwischen Erster und Dritter Welt ablesbar wird, als für wechselseitige Projektionen. „Liegt es an der Nähe zur Natur, an der Sonne, dass die Männer hier so anders sind?“, fragt sich Brenda einmal. Solche postkolonialen Wahrnehmungsweisen übernimmt der Film ziemlich ungebrochen. Er desavouiert seine Figuren zwar nicht, setzt ihnen aber auch kaum ein anderes Bild entgegen.

Mit dem Ferienressort „Le Petit Anse“ breitet Cantet ein Milieu aus, das vom restlichen Land abgeschirmt ist. Ellen, Brenda und Sue sonnen sich am Strand, trinken Cocktails, wechseln zwischen Französisch und Englisch hin und her, und am Abend wird getanzt – Urlaub wie aus dem Prospekt, aber ergänzt um die Präsenz von jungen Männern, die nicht mit körperlichen Reizen geizen. Zwischen den Geschlechtern besteht ein unausgesprochener Vertrag. Intimitäten werden über Kapital geregelt, aber man ist vornehm genug, sich einzubilden, dass es anders wäre.

„In den Süden“ entwickelt sein Drama zuallererst über vielfältige Blickachsen. Wie nehmen Fremde ihr vermeintliches Paradies wahr? Wie betrachten sich Menschen unterschiedlicher Kulturen? Welche Dynamik herrscht zwischen den Geschlechtern? An Legba (Ménothy Cesar), dem jungen Haitianer, an dem sowohl Ellen wie Brenda Interesse haben, wird das besonders offensichtlich. Ellen fotografiert ihn nackt am Bett, besonders sein Hintern hat es ihr angetan. Auch Brenda betrachtet Legba zunächst als passives Objekt, wenn sie ihn nach ihrer Ankunft am Strand schlafend vorfindet. Die Blicke zwischen den Frauen verraten wiederum, dass ihn eine jede für sich allein beansprucht. Ellen wahrt mit Mühe Distanz, während sich Brenda ihrem Gigolo ganz hingeben will. Die Eifersucht treibt beide Frauen auseinander. Legbas Freiheit besteht nicht zuletzt darin, sich jedem Zugriff zu verweigern. Er will gar keinen Pass, um auswandern zu können.

Mit seinen vorangegangenen Filmen „Ressources humaines“ und „Auszeit“ („L'emploi du temps“) hat sich der Franzose Laurent Cantet als Chronist von Arbeitswelten einen Namen gemacht. Vincent, der Protagonist von „Auszeit“, wird arbeitslos, hält das aber vor seinem Umfeld geheim und wahrt den Schein der Beschäftigung. Sosehr sich „In den Süden“ thematisch in eine neue Richtung bewegt, erscheint Legba Vincent doch in einer Hinsicht verwandt. Auch er gibt nichts preis. Er bleibt die einzige wichtige Figur des Films ohne inneren Monolog und nicht zuletzt deshalb die geeignete Projektionsfläche der Frauen.

Legbas wahre Identität deckt Cantet erst spät im Film auf. Die politische Realität Haitis holt ihn schließlich ein – das Regime Jean-Claude Duvaliers und die berüchtigten Tontons Macoutes, die Todesschwadronen, werden dabei nicht ausdrücklich benannt. Der Ausbruch aus dem Ferien-Resort gelingt Cantet allerdings nur ungenügend. Die spärlichen Szenen in der Stadt bleiben auf stereotype Verdachtsmomente und Aktionsabläufe beschränkt und wirken mithin zu verknappt, zu demonstrativ, um als Korrektiv zur Welt der Touristinnen zu genügen. Anders als Legba verlieren die nur den Blick eines Gegenübers, der ihrem Selbstbewusstsein dienlich war. Anders als er können sie einfach weiterreisen.DOMINIK KAMALZADEH

„In den Süden“. Regie: Laurent Cantet. Mit Charlotte Rampling, Ménothy Cesar, Karen Young u. a. Frankreich/ Kanada 2005, 105 Min.