Nachhaltige Politik nur nach Kassenlage

Die 19 Berater der Bundesregierung werfen Kanzlerin Angela Merkel unglaubwürdiges Handeln vor

BERLIN taz ■ „Die Strategie der Nachhaltigkeit ist alternativlos.“ Die frühere Bundesumweltministerin und jetzige Kanzlerin Angela Merkel wusste, was die knapp 1.000 Teilnehmer beim Jahrestreffen des Rates für Nachhaltige Entwicklung hören wollten. Doch sie überzeugte nicht alle. Ratsmitglied und BUND-Vorsitzende Angelika Zahrnt monierte, die politische Führung reagiere mit „viel zu kleinen Schritten“. „Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist seit Rot-Grün nicht vorangekommen.“

19 „Personen des öffentlichen Lebens“, darunter Vertreter aus der Industrie, von Umweltschutzverbänden und Hochschulen, beraten seit fünf Jahren die Bundesregierung in Sachen Nachhaltigkeit. Seitdem versucht der Rat, das öffentliche Verständnis für neue Wege des Wirtschaftens und Lebens zu fördern, die nicht auf Kosten zukünftiger Generationen gehen. Zu den Projekten gehören fairer Handel mit Ökokaffee aus Peru, „der nachhaltige Warenkorb“ für den sozial und ökologisch verantwortlichen Einkauf von Konsumgütern und Informationskampagnen für Jugendliche.

Der herrschende Glaube an das Wirtschaftswachstum zerstöre mehr, als er nütze, sagte Zahrnt. „Es fehlt in der Politik die Bereitschaft, ein wirkliches Programm für die Zukunft zu machen.“ Zahrnt forderte ebenso wie der Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrates, Volker Hauff, dauerhaft angelegte Strategien beim Energie- und Ressourcenverbrauch, der Ökologie, Migration und Armutsbekämpfung in die großen Reformprojekte der Bundesregierung einzureihen. „Es ist falsch, Nachhaltigkeitspolitik nur von der Kassenlage abhängig zu machen“, sagte Hauff der taz.

Doch die Kanzlerin präsentiert ausgerechnet die Schimäre des Kürzungskurses der Bundesregierung und ihres Sozialabbaus als besonderen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Praktische ökonomische Chancen einer nachhaltigen Strategie sieht Merkel vor allem für die deutsche Wirtschaft. „Innovationen in Umwelttechnologien haben immer unsere Exportchancen verbessert“, so Merkel. Außerdem kündigte Merkel an, Deutschlands EU- und G-8-Präsidentschaft im nächsten Jahr zu nutzen, um mehr für international verbindliche Klimaziele und Energieeffizienz zu tun. „Ohne die USA und China werden wir hier keinen Erfolg erzielen“, sagte Merkel. Sie bekräftigte das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 30 Prozent zu senken. Außerdem kündigte Merkel an, sich für internationale Abkommen gegen die „Ausbeutung afrikanischer Länder“ einzusetzen.

Kritiker halten die Appelle im Rahmen des Nachhaltigkeitsrates jedoch für nicht mehr als Sonntagsreden. „Der Nachhaltigkeitsrat spielt keine Rolle“, meint zum Beispiel der ehemalige Geschäftsführer von Greenpeace Europa und heutige Leiter der Verbraucherorganisation Foodwatch, Thilo Bode: „Ich halte das Gremium für überflüssig.“ Der Rat übe zu wenig Kritik an der „nachhaltigen“ Politik der Regierung und betreibe konsensorientierte Politikberatung. „Der Rat traut sich nicht, das Wachstumsparadigma in Frage zu stellen“, so Bode. TARIK AHMIA