portrait
: Mitleidlos beobachtende Einwanderin

Es heißt, nur lässige Menschen seien fähig, den kühlen Blick des Melancholikers zu pflegen. Kiran Desai ist so ein Mensch. Sie lebt in Indien, in England und den USA. Wie viele ihrer indowestlichen Autorenkollegen schreibt sie in einem Englisch, das verschoben wirkt, als müsse sich darin ein Denken zurechtfinden, das einmal eine andere Sprache hatte. Eigentlich Grund genug also, sich hin- und hergerissen zu fühlen. Doch nicht so Kiran Desai. Anders als viele ihrer kosmopolitischen Kollegen betont die 35-Jährige, sie fühle sich nicht entfremdet. Kiran Desai hat keine Lust, die Gebrochene zu geben. Stattdessen lehnt sie sich zurück, beobachtet mitleidlos und legt allen Pessimismus in ihre Bücher – in Figuren, die weniger privilegiert sind als sie.

Für ihren zweiten Roman, „Erbin des verlorenen Landes“, hat Kiran Desai nun den Booker-Preis bekommen, den bedeutendsten englischsprachigen und einen der wichtigsten Literaturpreise weltweit. Nach Salman Rushdie, der 1981 für seinen Roman „Mitternachtskinder“ den Preis gewann, ist Desai die erste indowestliche Autorin, die ihn erhielt – und es ist kaum spekulativ, darin ein Zeichen zu sehen.

Fast schon ein Vierteljahrhundert ist es nämlich her, dass die Literatur der indischen Einwanderer und ihrer Kinder einen großen Boom erlebte. Es hieß, das Empire schreibe zurück. Eine neue Schublade tat sich auf, die Bücher verkauften sich prächtig. So kam es auch, dass in ihnen immer mehr bunte Klischees auftauchten. Indien verkam zum Märchenland, die postkolonialen Subjekte wurden zu Superhelden mit übernatürlichen Kräften. Man begann, sich nach einem Buch zu sehnen, das den Optimismus dieser Autoren aus der Ruhe bringt und den Multikulturalismus ihrer westlichen Leser. Jetzt hat Kiran Desai dieses Buch geschrieben. Sie vergiftet kaltblütig das Hybride, das Autoren wie Salman Rushdie einmal utopisch belegten.

Kiran Desai beschreibt die Abgehängten, die Verlierer der Globalisierung: Das sind die anglophilen Inder, die in einem schimmeligen Haus verrotten und sich täglich mit Käsetoast, BBC und der Erinnerung an bessere Zeiten trösten. Und das sind die Flüchtlinge, die kein Glück finden in der Neuen Welt, unter dem Himmel von Manhattan, der „schmutzig ist und voller Krempel“ und der sie zu exotischen Fremden macht.

In einem Interview sagte Kiran Desai, es gebe nur zwei Sorten von Einwanderern: solche, die die Finger in ihre Wunden legen, und solche, die die Ethnokarte ausspielen und sich genauso fremd geben, wie es von ihnen erwartet wird. Kiran Desai empfindet sich selbst nicht als Einwanderin. Das verschafft ihr genug Distanz, diese zu beschreiben. SUSANNE MESSMER