Malen für den Eros-Shop

Trashkunst in altehrwürdigen Räumen. Colnaghi zeigt Picabias plakative Akte

AUS LONDON JUDITH LUIG

Die Frau blickt weg. Sie schaut ein wenig zur Seite, wobei sich die Augen in ihrem stark geschminkten Gesicht an etwas Fernem festkrallen. Allerdings scheint sie dieses Undefinierte nur zu fixieren, um ihr Gegenüber nicht ansehen zu müssen. Das drückt zumindest ihre Mimik aus: Ihre Lippen sind eine Mischung aus spöttischem Spitzen und angestrengtem Aufeinanderpressen, ihre Hand greift fest in einen aufdringlichen, schweren Vorhang, den sie sich energisch vom Leib hält.

Vor dieser Frau steht eine zweite, die der ersten sehr ähnlich sieht. Dieselbe Körperstarre, dieselben angespannten Lippen in Signalrot, nur ihr Blick ist anders. Er ist frontal auf das Gegenüber gerichtet. Routiniert sucht er nach etwas, woran er sich festhalten könnte. Er gleitet über die Hand mit den langen Fingern, streift das aufwändig frisierte Haar, das einen merkwürdigen Kontrast zum nackten Körper bildet, und geht von der entblößt präsentierten Brust zum Bauch, dessen zarte Andeutung so gar nicht zu den stark markierten Gesichtskonturen passen will. Irgendwann reicht es der zweiten Frau. „Ich weiß nicht“, sagt sie und geht weiter zum nächsten Bild.

Die ehrwürdige Kunsthandlung Colnaghi in der Old Bond Street, London, gegründet 1760 und bisher Meistern Alter Kunst vorbehalten, stellt Werke aus dem Giftschrank des 20. Jahrhunderts aus – Francis Picabias Eros-Shop-Phase. Mitten zwischen Mulberry, Ermenegildo Zegna, Louis Vuitton und anderen stilsicheren Ikonen der Bekleidungsindustrie haben die Kunsthändler Iwan Wirth und Greogor Muir von der Galerie Hauser & Wirth dreizehn nackte, konventionelle Geschmacklosigkeiten in Öl auf die tiefroten Samttapeten mit Blumenkelchmuster der Altmeistergalerie gehängt. Oder sind es Akte?

„Nackt ist man“, so erklärt es Kenneth Clark in seiner Studie über Aktmalerei, „wenn man seiner Kleider beraubt wurde. In dem Wort steckt die Scham, die wir fühlen, wenn wir in diesem Zustand sind.“ Beim Akt jedoch, sei das etwas generell anderes. „Hier gibt es keine unangenehmen Zwischentöne.“ Das Wort Akt wecke in uns nicht die Vorstellung eines wehrlosen, sondern viel eher die eines wohlgeformten, wohlgediehenen und sich selbst bejahenden Körpers. „The body re-formed.“

„La Blonde“, der reichlich plakativ gemalte Torso mit dem Vorhang und der Galeristinnenpose, passt in keine der Kategorien – weder Scham noch ästhetische Selbstpräsentation spricht aus der Haltung der Figur. Es sieht eher so aus, als posiere eine gelangweilte Gattin bei einem mittäglichen Besuch ihres künstlerisch ambitionierten Liebhabers. Und auch der Vorhang erscheint bei näherer Betrachtung nicht als scheu-kokette Verschleierung. Er könnte vielmehr dem Umstand geschuldet sein, dass ohne den verhüllenden Stoff die Beine aus dem Rahmen baumeln müssten, um überhaupt noch perspektivisch untergebracht zu werden. Das Bild entstand zur Zeit der deutschen Besetzung in Frankreich. Ist die Nackte in Öl ein Hinweis auf eine finanzielle Notlage Picabias?

Nein. Die Vitrine weiß es besser. Neben einem vergleichsweise harmlosen Pornoheftchen, das „Paris Paris Paris – Sex Appeal“ jubiliert, liegt aufgeschlagen Picabias Inspiration, die aus seinem Nachlass stammt. Die Aufnahme einer entschieden jüngeren Blondine mit rehäugigem Blick, die hinter einem Hauch von Spitze auftaucht. Ah! Es geht hier also um erotische Massenproduktion. Kitsch! Trash! Travestie! Kein peinlicher Ausrutscher des Künstlers, keine softe Erotikmalerei, sondern ein Konzept, und noch dazu ein kritisches. Die eben noch vom stümperhaften Akt so beunruhigte Galeriebesucherin atmet auf.

Picabias Nackte sind nicht schlecht gemalt, sie sind „badly painted“ und extrem gefragt. Diese künstlerische Wiederentdeckung und Aufwertung von Picabias Werke aus den 30er- und 40er-Jahren hat in jüngster Zeit eine Hochphase erlebt. Der erotische Kitsch nach Vorlage von Entspannungshilfe-Fotos mit der Empfehlung „pour lire à deux“ gab 2002/3 sogar den Anlass zu einer Ausstellung von Centre Pompidou, Schirn und der Kunsthalle Wien. 17 Künstler sind dem Beispiel Picabias gefolgt und haben sich unter dem Titel „Lieber Künstler, male mir“ am neofigurativen Realismus geübt.

In der Masse jedoch sind die Bilder auf die Dauer etwas anstrengend. „Entweder wir gehen jetzt in einen anderen Raum“, verlangt ein potenzieller Käufer mit Blick auf den vorbeigetragenen Perrier-Jouët-Champagner, „oder wir betrinken uns hier.“

Picabias Kunst der faschistischen Jahre ist eine Negation der Kunst. „Hinter der Verweigerung, zu wissen, wie man malt, steckt eine Philosophie“, hat Luca Beatrice erklärt. „Eine Negation von Geschmack und Ernsthaftigkeit.“ Picabia sei der erste Künstler, der auf Popkulturvorlagen zurückgegriffen habe, um sich der Vorbelastung durch Inhalt zu entziehen. Intellektuelle Kunst lehne er ab, deshalb habe er auf die akademische Malweise verzichtet, die ein Modell, einen Maler und ein Atelier fordere. Zumindest sieht Beatrice das so.

Doch Kunst hat immer auch etwas mit Kontext zu tun. Bei einer Ausstellung 1983 in der Züricher Kunsthalle klang die Beschreibung von Picabias Akten noch ganz anders. Picabias „konventionell-kitschige Blumenstücke“ sowie die Akte der 40er-Jahre wurden hier von dem Dadaisten Schuldt eher als ein notwendiges Übel interpretiert, eine Verdienstmöglichkeit in einem, so wie es dargestellt wird, weniger anspruchsvollen Markt. „Von beider Sorte lieferte er mehr oder minder regelmäßig Bilder an Käufer in Nordafrika. Diese (nach damaligen Begriffen) pornografischen Bilder“, so schreibt Schuldt im Ausstellungskatalog, „Picabias Darstellungen der Lust“, „sind eine künstlerische Schreckreaktion auf die Gewalt jener Jahre.“ Und ein wenig gönnerhaft fügt er hinzu. „Man mag darüber streiten, ob der Schreck ein Ausbleiben und Erstarren der künstlerischen Fähigkeiten verursacht.“ Doch für Schuldt kann die Antikunst auch ein Nachempfinden der Nazi-Zeit sein. „Ermöglichten diese es ihm nicht, auf ganz reale Weise, als Mittäter, den magischen trüben Quellen nahezukommen?“

Bei Colnaghi wiederum hat man auf die Wirkung Picabias als Agent provocateur gesetzt. „Geile Heftchen, massenproduzierte Erotika, kitschige Postkarten und trashige Foto-Lovestorys“ seien die Quelle, verspricht die Presseankündigung. Von den Bildern selbst steht eher wenig geschrieben. Picabia wird als Künstler gepriesen, der problemlos zwischen Dada, Realismus und abstrakter Kunst wechsele. Sein Interesse an der subversiven Macht des Erotischen kulminiere in den späten Akten.

Doch alle Ankündigungen neuer ästhetischer Richtungen eines wilden Ikonoklasten können das Eröffnungspublikum angesichts der Bilder nicht so recht überzeugen. In London ist gerade Frieze, die Kunstmesse, an der über 150 Galerien teilnehmen, und man hat sich ein bisschen mehr erwartet. „Expliziter vielleicht“, versucht eine Besucherin ihre Enttäuschung zu erklären. Einige bemühen sich redlich, etwas in die Abbildungen hereinzulesen. „Das ist, glaube ich, seine Frau“, erklärt ein junger Franzose seiner Freundin. Die interessiert sich aber eher dafür, warum die Farbe an der einen Stelle des Oberschenkels so rissig ist.

Doch was die Laufkundschaft denkt, dürfte ohnehin nicht interessant sein. In diesem Jahr sollen die Zahlen von 47.000 Besuchern und 33 Millionen Pfund Umsatz auf der Frieze noch getoppt werden. Da könnte auch etwas für die Old Bond Street abfallen. Mit der Ausstellung beginnen Colnaghi und Hauser & Wirth eine Kooperation, die für beide Seiten lukrativ sein soll. Die Galerie für Neuere Kunst ist in London bereits mit zwei weiteren Standorten präsent und entert jetzt, mit Colnaghi, den Markt für neue Käufer, die bislang eher für ältere Meister in den Tresor griffen.

Und so konkurrieren die dreizehn nackten Frauen an den Wänden mit den extrem betuchten Männern im Raum. Man tuschelt, wer so alles da sei. „Ist das da nicht dieser Kunstsammler mit dem Nazi-Hintergrund?“, raunt mir eine englische Journalistin vertrauensvoll zu. Die Anwesenheit von finanziellen Größen wie Friedrich Christian Flick ist Garant für den Erfolg von Hauser & Wirth. Er ist gekommen, um sich anzuschauen, wie seine Picabias sich so in anderer Umgebung machen. Er scheint zufrieden zu sein.

JUDITH LUIG, 31, ist Redakteurin des taz.mag