Im Griff der Viererbande

KONZERT Die Zeit der Dorfmusik ist in China längst vorbei – beim „China Drifting“-Festival gab es reichlich Postpunk-Anschub

Bekanntermaßen hat man in China alles Wesentliche erfunden für die Welt, das Papier, Schwarzpulver, die Nudeln, Ketchup und den Konfuzianismus … nur den Rock ’n’ Roll, den nicht. Da kamen sie irgendwie nicht dazu: Statt den Beatles hatten sie in China die Kulturrevolution, und statt mit den Fab Four ist man im Land doch eher noch mit der Gang of Four vertraut, also der Viererbande natürlich, die Mitte der siebziger Jahre dem siechen Mao die Macht aus den Händen nehmen wollte.

Und hier im Westen sollte man jetzt wenigstens als Namen Cui Jian kennen. Der gilt nämlich als der Vater des chinesischen Rocks mit seiner Pionierarbeit seit Mitte der achtziger Jahre. Und wer zum Beispiel mal – hier sei eine unbedingte Plattenempfehlung gestattet – in das Ende 2009 auch beim Berliner Fly-Fast-Label erschienene Album „You can listen, you can talk“ reinhorcht mit einer grandiosen und überhaupt nicht epigonalen Velvet-Underground-Verarbeitung der Pekinger Band Carsick Cars, wird feststellen, dass auch in China die Zeit der Dorfmusik jetzt doch seit Längerem vorbei ist. Was beim „China Drifting“-Festival am Freitag im Globus im Tresor mit einem Schwung neuerer Bands nur noch einmal recht eindrucksvoll bekräftigt wurde.

Referenzmodell Achtziger

Dabei hat man sich derzeit in Schanghai und Peking beim Rock-Underground wohl auf die 80er mit ihren aus dem Punk herausgewachsenen Schroffheiten als Referenzmodell geeinigt– die lassen sich aus einer westlichen Perspektive eben auch prima als Ablehnung des manchmal recht ornamental angelegten Cantopops (ganz vereinfacht, dem chinesischen Schlager) hören. Wenn solche musikalischen Distinktionsspiele in China überhaupt gespielt werden.

Jedenfalls hörte man bei dem kleinen China-Festival gleich mit Duck Fight Goose aus Schanghai allerlei Versatzstücke aus einer besseren Achtziger-Disco in einer irgendwie schockgefrosteten Version: Die minimalistischen Schübe des Postpunk, das Pathos des romantisch gefärbten Synthiepop dieser Zeit – alles da, aber mit vertrackten Synkopen gespickt, mit kaugummizähen Melodien, mit Verschleppungen und Stauchungen. Eine sehr eigene, klamm klaustrophobische Musik, die sich geschickt selbst im Weg herumstand.

Gegen solche Widerstände war es natürlich ein wenig schwerer anzutanzen als bei der nächsten Band, Rebuilding The Rights of Statues (oder kurz Re-TROS) – einem Trio aus Peking, dem die etwa 150 Interessierten im Globus williger folgten. Auf alles Stauchen und Knautschen wurde hier verzichtet bei einem straff an der Kandare der Monotonie geführten Postpunk, den man sich bestens als Vorprogramm etwa zu The Cure vorstellen könnte oder, grimmiger, zu Mark E. Smith mit The Fall.

Wie das Trio über die Repetition dabei zwischendurch geschickt in die Logik der elektronischen Musik hinüberwechselte, ließ auch hören, dass man hier jetzt nicht in einem Remake einfach historische Musikmodelle nachstellen will, sondern dass diese nun eben in einem spielerischen Umgang benutzt und aufgeführt werden.

Mit Pet Conspiracy gab es dann noch eine fast schon hysterische Portion Elektropop, agitiert von den beiden Sängerinnen des Quartetts. Was überhaupt auffiel an diesem Abend bei dem „China Drifting“-Festival: dass da Rock gespielt wurde und es dennoch keine Männermusik war. Schon auszählbar: die zwei Sängerinnen bei Pet Conspiracy, bei Re-TROS und bei Duck Fight Goose spielte jeweils eine Frau am Bass. Kann ja auch ein Vorteil sein, nicht gleich bei der Erfindung mit beteiligt gewesen zu sein. Jedenfalls scheint man sich bei Chinas Rockunderground nicht mehr wirklich groß um solche Kinderkrankheiten des Rock ’n’ Roll wie dem Fetisch stumpfer Virilität kümmern zu müssen. THOMAS MAUCH