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„Nicht alle jungen Rechten sind dumm“

Antisemitische Vorfälle an Schulen und gewalttätige rechte Cliquen: Viele haben die Jugendlichen im Osten bereits aufgegeben. Regisseur Mirko Borscht, 35, arbeitet mit ihnen. Warum er glaubt, dass sie sich nicht wirklich von dieser Gesellschaft entfernen wollen

INTERVIEW SUSANNE LANG

taz: Herr Borscht, sind die Jugendlichen in der rechten Szene Ostdeutschlands tatsächlich überzeugte rechte „Triebwähler“, wie es etwa die FAZ behauptet?

Mirko Borscht: Eine gewagte These, aber nach meiner Erfahrung trifft sie nicht zu. Selbstverständlich gibt es eine größere Offenheit für rechte Positionierungen bei jenen Jugendlichen, die aufgrund ihres schlechteren Bildungsgrades nicht abwandern können. Sie glauben, im Rechtsradikalismus die letzte Form des Widerstandes für sich entdeckt zu haben.

Es handelt sich bei ihnen aber nicht um überzeugte Ideologen?

Ein Großteil der Leute, mit denen ich gearbeitet habe, fühlte sich zwar der rechten Szene zugehörig, hatte aber keine dezidiert rechte politische Einstellung. Sie haben nach Orientierung gesucht. Und genau an dem Punkt kann man sie abholen.

Sie meinen, aus der rechten Szene holen?

Zumindest kann man sie wieder für diese Gesellschaft gewinnen. Das beste Beispiel war ja mein Film „Kombat Sechzehn“. Womit ich sehr schnell das Interesse der Jugendlichen gewonnen und sie letzten Endes auch zum Nachdenken gebracht habe, war meine eigene Begeisterung für das Projekt – und nicht etwa mein sozialpädagogischer Anspruch. Wenn man ihnen vermitteln kann, dass es etwas Erfüllendes im Leben gibt, abseits von Arbeit oder Hartz IV, dann steckt das an.

Das würde bedeuten, im Osten fehlen Vorbilder?

Ja, die wenigsten Jugendlichen finden Orientierung, weder im Elternhaus noch in der Schule. Ich persönlich habe das bei meinem Bruder erlebt, der Anfang der 90er phasenweise in der Fußball-Hooligan-Szene unterwegs war. Das Problem mit Rechtsradikalismus gab es ja schon lange vor der Wende, auch in der Punkszene, zu der ich mich eher zugehörig gefühlt habe.

Was fehlt den Jugendlichen mehr: Aufgehobenheit und eben so etwas wie Kameradschaft oder eine Berufsperspektive?

Ich glaube, das eine ersetzt nicht das andere. Selbstverständlich spielt eine große Rolle, dass viele keine wirkliche Perspektive haben. Aber in anderen Gebieten, etwa in Berlin, sehen die Chancen für viele Jugendliche nicht besser aus, sie haben trotzdem andere Möglichkeiten, ein nach ihren Maßstäben lebenswertes Leben zu führen. Dazu braucht man nicht unbedingt eine Menge Geld und ein riesiges Haus. Es ist eine Frage der Haltung: Es wählen ja nicht alle Hartz-IV-Empfänger automatisch rechts.

Warum tun sie es im Osten, nicht aber in der Hauptstadt?

Das liegt am Fehlen von Angeboten. Deshalb bin ich auch dafür, dass man die Mittel gegen rechts in langfristige Jugendprojekte steckt. Die NPD und die Kameradschaften nutzen die Lücke und kümmern sich im kleinen Rahmen um die Jugendlichen. Der Begriff der Kameradschaft an sich ist ja als Faktum nichts Schlechtes, Sportkameraden nennen sich zum Beispiel auch so. Aber die herrschende Paranoia gegenüber diesen Begriffen und Werten lässt den Rechten genau jenen Spielraum, der ihnen nicht zustehen dürfte.

Sie plädieren also dafür, sich die Hoheit auch über rechte Begriffe zurückzuerobern?

Na ja, in diesem Aspekt sind die Rechten ihrerseits ja sehr geschickt. Sie greifen einen demokratischen Wert wie die Freiheit der Andersdenkenden auf und gehen mit einem Plakat von Rosa Luxemburg demonstrieren. Dieses Prinzip muss man umdrehen, das macht im Moment aber keiner.

Ist es nicht heikel, so etwas wie Kameradschaft umzudeuten?

Doch, das ist es. Aber doch nur, weil es sofort ausschließlich als Provokation wahrgenommen wird, was es aber nicht sein muss.

Sie meinen, weil die Deutschland-Flaggen während der Fußballweltmeisterschaft auch nicht als Provokation gewertet wurden?

Ja, ich interessiere mich zwar nicht so für Fußball, aber das fand ich ein extrem gutes Phänomen. Am Anfang haben die Rechten zwar gelacht, am Ende aber hatten sie ein Problem. Ihre Flaggen gingen in der Masse unter, und die Reichskriegsflagge dürfen sie zum Glück wirklich nicht hissen.

In Ihrem Film „Kombat Sechzehn“ haben Sie versucht, die Kameradschaftsmoral der gewalttätigen Neonazis in ihr Gegenteil zu verkehren. Am Ende schlagen sich die Rechten untereinander. Wie waren die Reaktionen aus der Szene auf Ihren Film?

Ich erinnere mich an eine Schulvorführung, die eine der schlimmsten für mich war. Gut 80 Prozent der Schüler waren eindeutig rechts, sie dockten richtig an, sangen auch bis kurz vor Schluss mit. Erst als die brutale Schlägerei stattfindet, waren sie plötzlich still. Weil sich dieser ganze rechte Pathos genau in sein Gegenteil verkehrt hatte und sie gemerkt haben: Mist, wir sind ja weder Avantgarde noch Opfer dieser Gesellschaft, sondern wir machen uns selbst zu welchen. Eine Lehrerin meinte später, das habe bleibenden Eindruck hinterlassen, sie waren verunsichert in ihrer Dominanz.

Welche Schlussfolgerung kann jene Lehrerin denn daraus ziehen, in ihrem Schulalltag?

Vielleicht muss man eben vor diesem Pathos gar nicht weglaufen, es also negativ besetzen, sondern dem etwas entgegensetzen. Vielleicht ist es okay, in der Pause Rammstein aufzudrehen, auch wenn es nervt, aber da holt man die Rechten ab. Ich habe oft das Gefühl, dass man auch ihre Parolen relativ schnell ad absurdum führen kann, wenn man mit ihnen darüber redet.

Viele sind der Meinung, dass man mit ihnen gar nicht reden kann.

Das ist ein unglücklicher Automatismus. Ich habe oft Diskussionen erlebt, in denen die Mehrheit ganz klar gegen rechts war und nichts Besseres zu tun hatte, als die wenigen bekennenden Rechten als Idioten zu dissen. Da denke ich doch, Moment wie benehmt ihr euch gerade? Eigentlich behandelt ihr die Neonazis genauso, wie ihr ihnen vorwerft, dass sie sind: andere unterdrücken, ihre Meinungen nicht zulassen, ausgrenzen und als minderwertig abstempeln. Weil Nazis eben dumm sind. Das sind sie aber nicht.

Wollen die jungen Rechten denn überhaupt diskutieren?

Ein wichtiger Punkt gerät bei diesen Veranstaltungen oder Schulvorführungen doch völlig außer Acht: Sind sie wirklich politisch überzeugte Nazis, oder tragen sie das nur als Schutzschild vor sich her. Da gibt es eine Spanne, in der man gut ansetzen kann.

Warum geschieht es dann nicht?

Ich glaube, man hat Angst vor diesen martialischen Gebärden oder den radikalen, menschenverachtenden Formulierungen. Dabei tauchen die in anderen Subkulturen auch auf, aber sie stehen nicht in Verbindung mit faschistischem Gedankengut, deswegen geht man damit anders um – ob das nun Heavy Metal ist oder Hiphop. In vielen Regionen, zum Beispiel auch in Halle, sind das Problem gar nicht so sehr Nazis, sondern die Picaldis.

Wer bitte?

Es handelt sich um eine bestimmte Art von Hiphop-Cliquen, benannt nach der Klamottenmarke Picaldi, die einen oft sexistischen Gang-Slang pflegen. Die Prolligsten, die Underdogs innerhalb der Szene, wurden anfangs als Picaldis abgetan, weil sie die seltsamen Farben Hellrosa und Hellblau trugen oder die Hosen in Söckchen gestopft. Irgendwann haben sich alle mit dem Namen identifiziert. Viele aus dem rechten Umfeld haben in letzter Zeit dort angedockt, weil sie gemerkt haben, dass Nazis nicht mehr so sehr in Mode sind.

Auch ein Weg, aus der rechten Szene auszubrechen …

Na ja, ich würde sagen, vielmehr ein Beispiel dafür, dass sie auch zuvor nicht hinter den rechten Inhalten standen. Die haben nicht wirklich interessiert. Jetzt, in der Hiphopszene, saufen und kiffen sie genauso viel wie vorher, sie haben nur andere Parolen.

Ist das nun beruhigend?

Ich will nichts verharmlosen, aber man muss auch begreifen, dass ein ganz großer Teil jener Jugendlichen, die später sogar rechts wählen, das nicht wirklich als eine politische Alternative ansieht. Je mehr man den jungen Rechten aber das Gefühl gibt, sie nicht ernst zu nehmen, desto stärker nehmen sie eine Verteidigungshaltung ein und grenzen sich ab.

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