: Geschichte eines Schuldenbergs
Auch ein Bankenskandal macht noch keine 61 Milliarden Euro Miese: Die Ursachen für die schiefe Finanzlage liegen länger zurück. Es sind Fehlentscheidungen im Bund und das Erbe einer Teilung
VON RICHARD ROTHER
Die katastrophale Berliner Haushaltslage ist erst in den 90er-Jahren entstanden, hat aber historische Ursachen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dürfte dies bei seiner Entscheidung über die Berliner Haushaltsklage berücksichtigen
Wer sich ein wenig mit den Ursachen der aktuellen Haushaltsmisere befasst, findet interessante Details: So lag 1991 die Berliner Pro-Kopf-Verschuldung deutlich unter der des vergleichbaren Stadtstaates Hamburg. Innerhalb von nur 15 Jahren hat sich die Situation so dramatisch verschlechtert, dass nur der Gang vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Berlin vor dem Absturz in die Schuldenspirale retten kann. Mehr als 60 Milliarden Euro Schulden drücken derzeit die Hauptstadt, mit den nötigen Ausgaben für Zins und Zinseszins kann Berlin allein nicht mehr fertigwerden. Die Ursachen sind sowohl finanzpolitische Fehlentscheidungen vor allem des Bundes zu Beginn der 90er-Jahre als auch die wirtschaftliche und soziale Struktur der Stadt, wie sie sich in den 40 Jahren der Teilung herausgebildet hat.
In den Jahren der Teilung hatte sowohl West- als auch Ostberlin eine Sonderstellung. Zwar hatten wichtige Großunternehmen wie Siemens die Stadt aus Angst vor den Russen verlassen –wovon die heutigen Geberländer wie Bayern strukturell immer noch profitieren. Dennoch sollte Westberlin im Kampf der Systeme das reichbestückte Schaufenster des Westens bleiben. Dafür sorgte die Bundesrepublik: Die Wirtschaft bekam Extrahilfen, und im öffentlichen Dienst und bei den Verkehrsbetrieben wurden Stellen geschaffen. Auch Universitäten und Theater profitierten von der Aushängeschildfunktion Westberlins.
Ähnlich die Situation in Ostberlin: Wenn es irgendwo in der DDR etwas Besonderes zu kaufen gab, dann in Berlin. Auch hier wurden viele prestigeträchtige Neubauvorhaben verwirklicht, die allerdings nach der Wende – wie vieles aus der Ex-DDR – einen hohen Sanierungsaufwand verursachten, etwa der Palast der Republik oder das Sport- und Erholungszentrum SEZ an der Landsberger Allee. Zudem war der öffentliche Dienst – nach westlichen Maßstäben – hoffnungslos überbesetzt – wozu braucht man schon so viele Lehrer, Kindergärtnerinnen, Horterzieher, Bibliothekare und, nicht zu vergessen, Polizisten und andere staatliche Aufpasser?
Alle diese strukturellen Bedingungen verursachten in den Jahren nach der Wende hohe Kosten. Dennoch baute die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl die einst üppige Berlinhilfe, die 1991 rund 7,4 Milliarden Euro jährlich, rund ein Drittel des Gesamthaushalts, betrug, innerhalb weniger Jahre komplett ab. Auch die Hoffnung auf den Boom durch die Wiedervereinigung wurde enttäuscht. Keine blühenden Landschaften, stattdessen schrumpfte die Berliner Wirtschaft seit Mitte der 90er – und damit auch das eigene Steueraufkommen Berlins. Die Schere zwischen sinkenden Einnahmen und steigenden Ausgaben, etwa im öffentlichen Dienst, wo Ost- und Westgehälter angeglichen wurden, oder bei der Finanzierung der zunehmenden Arbeitslosigkeit, musste durch immer neue Schulden geschlossen werden. Innerhalb weniger Jahre verdreifachte sich der Schuldenstand auf 30 Milliarden Euro.
Auch der Verkauf von Landesvermögen, wie Bewag oder Wasserbetriebe, Ende der 90er-Jahre konnte den Sog in den Schuldenstrudel nicht stoppen. Die rot-grüne Steuerreform von 2001 verursachte zudem weitere Einnahmeausfälle in Ländern und Kommunen, worunter insbesondere Berlin litt. Dazu kamen die Kosten für den Bankenskandal. Allerdings machen die 1,7 Milliarden Euro, die Berlin 2001 zur Rettung des landeseigenen Bankkonzerns springen ließ, nur einen kleinen Teil der Berliner Gesamtverschuldung aus. Ursächlich für die Haushaltsnotlage ist der Bankenskandal nicht.
Insgesamt gesehen müssten die Akteure in Berlin „ihre Finanzpolitik unter Rahmenbedingungen betreiben, die sie nur in Grenzen selbst beeinflussen können“, heißt es in einem Schreiben der Finanzverwaltung an die Karlsruher Richter. „Besonders eng sind diese Grenzen für die Bundesländer, die die Einnahmeseite ihrer Haushalte, die im Wesentlichen auf gesamtdeutscher Wirtschaftsentwicklung und bundesgesetzlichem Steuerrecht beruht, nicht steuern können und auf der Ausgabenseite mit Verpflichtungen konfrontiert sind, die der gestaltenden Politik nur einen geringen Spielraum belassen.“
Wesentlich für den Berliner Schuldenstand sei der rasche Rückgang der Bundeshilfe in den Jahren 1992 bis 1994. Zudem zeigten sich die Probleme der Unterfinanzierung der deutschen Einheit in Berlin in einmaliger Schärfe. Das Land habe sich deshalb nicht anders verhalten können, als „bis an die Grenze der Zumutbarkeit zu gehen und für darüber hinausgehende Finanzierungsnotwendigkeiten einen Schuldenstand aufzubauen“.
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