ZWISCHEN DEN RILLEN
: Getrieben vom lauten Fiepen

Max Rieger „Kein Punkt wird mehr fixiert“ (Treibender Teppich/Cargo)

Der letzte Satz: „Ich rede lauter als zuvor, um es zu übertönen / das Fiepen in meinen Ohren“. Noch ein Knacken, dann wird die Gitarre ausgestöpselt. Doch bestimmt nicht für lange, schließlich muss Max Rieger weitermachen, um das Fiepen zu übertönen, mit dem Lauter-Reden und -Singen. Und Rieger ist nicht faul: Gerade erst ist das zweite Album mit seiner Band Die Nerven erschienen, jetzt legt er mit seinem Solodebüt „Kein Punkt wird mehr fixiert“ nach.

Unter dem aufmerksamkeitsheischenden Namen „All diese Gewalt!“ präsentiert er sechs Songs, exklusiv auf Vinyl. Eine halbe Stunde mehr Rieger, der seinen Weltschmerz, seine Wut klagt, begleitet von drängenden Arrangements mit Synthesizer, Gitarre und, wenn es gerade passt, auch Trompete. Dabei lässt er der Musik viel Platz. Bevor bedeutungsschwer gesungen wird, drängen ein stampfender Bass, düstere Electronica und vor allem eine mal verzerrt, mal melodiös klagende Gitarre nach vorne, um auch klanglich klar zu machen: „Everybody wants to be loved“ (Tag ohne Regen), aber irgendwie haut das nicht so richtig hin.

Das Duell Ich gegen Welt, das hier anklingt, ist ein altes Thema, das schon wesentlich mehr unbedeutende Alben hervorgebracht hat als bedeutende. Die Geschichte: Das postmoderne Subjekt sehnt sich nach Identität und Glaubwürdigkeit, oft vertont als künstlerische Verlängerung der Pubertät: Man will eben seinen Platz finden in dieser harschen Welt. Rieger bedient sich dafür – hallo Postmoderne! – kräftig bei Tocotronic, schafft dabei aber eine textliche Dichte, die den dräuenden Klängen entgegenkommt.

Das Album beginnt mit dem Stück „Endloses Band“ und schwerem Stampfen und Klopfen. Es ist ein Getrommel wie es der französische Künstler Woodkid für seinen Pathos-Pop nicht besser hingekriegt hätte. Eine Synthesizermelodie mischt sich in das schwere Schlagwerk, eine Variation dieser Melodie, eine zweite, eine dritte.

Das geht fast zwei Minuten so bis Riegers brüchige Stimme einsetzt. Sie steigert sich bis zum Geschrei, „Die Haut wirft Blasen / die Menge schreit nach mehr“, langsame Beruhigung, noch einmal Raum für Stampfen und Trommeln, Fade-out. Ähnlich, aber stets kunstvoll funktionieren auch die anderen vier Songs des Albums, dazu kommt das Instrumental „Good Night Wild Child“.

Das ist alles nicht brillant oder innovativ, aber mit viel Gefühl arrangiert und pointiert verpackt. Brauchen wir das? Muss das wirklich noch einmal jemand hören? Diese Klage über die Vereinzelung und die Unehrlichkeit der Welt? Haben wir nicht schon Mutter, Tocotronic, Blumfeld und all ihre Nacheiferer, zu deren interessanteren Vertretern Die Nerven, das Bandprojekt von Rieger zählen? Ja, haben wir.

All diese Gewalt! brauchen wir aber trotzdem. Rieger mag kein Jochen Distelmeyer sein und kein Dirk von Lowtzow, aber vielleicht ist er auf dem Weg dorthin, getrieben vom Fiepen in seinen Ohren. Nicht jeder muss das hören, aber schließlich hat jede Generation das Bedürfnis, einmal gesagt zu bekommen: „Auch wenn keiner uns versteht / Nur niemals stehen bleiben / Keineswegs“, wie es in „Das hier ist einfach“ heißt. So einfach ist das.

ELIAS KREUZMAIR