Der Beat der Schreibmaschine

EXPERIMENTALMUSIK Das Independent-Label Denovali Records kommt aus Bochum und feierte im Radialsystem V sein zweitägiges „Swingfest“ mit Konzerten von Origamibiro, Oneohtrix Point Never und Brandt Brauer Frick

Vom Freizeitprojekt zur gefeierten Institution: Die Geschichte des Labels Denovali Records zeigt, dass in der Musikindustrie anscheinend doch nicht alles kaputt ist. Und es sogar in Krisenzeiten Sinn haben kann, einfach mal was auszuprobieren. Im Jahr 2005 organisieren die Bochumer Studenten Timo Alterauge und Thomas Hack eher zufällig ein Konzert, ein Jahr später veröffentlichen sie die ersten selbst gebrannten CDs und Platten in Kleinstauflage. Inzwischen sind 200 Schallplatten bei Denovali erschienen, das Label eine renommierte Adresse für melancholisch-düstere Klänge aller Art. Das alljährliche Denovali Swingfest, in Essen begonnen, wird seit 2013 zusätzlich in London und Berlin abgehalten.

Passend zu dieser Erfolgsgeschichte war die Berliner Ausgabe des Swingfests im Radialsystem V am Wochenende ausverkauft. Neben Künstlern des Labels hatte man als Gäste unter anderem den mexikanischen Musiker Murcof geladen, der mit seinen donnergrollenden Ambient-Wolken bestens ins Programm passte, und den New Yorker Elektronik-Manipulator Oneohtrix Point Never, der Schnipsel aus Werbejingles und andere vorgefertigte Klänge in ihre Bestandteile zerhackte und zu amorphen Gebilden fügte.

Von zähflüssigem Doom Metal bis zu leichtfüßiger Klaviermusik reicht das Spektrum des Labels, da die Betreiber ausschließlich danach entscheiden, was ihnen gefällt. Ein wenig spiegelte sich das im Publikum wider: Statt flüchtig interessierten Hipstern sah man vornehmlich Musiknerds, die tatsächlich zum andächtigen Hören gekommen waren.

Versucht man, die Musiker von Denovali auf eine generelle Linie zu bringen, dann ist es am ehesten die Vorliebe für Zwischentöne, Ambivalenzen und Grauschattierungen. Das Duo Piano Interrupted etwa kombinierte romantisches Klavierspiel mit spröden elektronischen Störgeräuschen, oft wurden die Töne des Instruments in Echtzeit bearbeitet, dann wieder mit einem Beat unterlegt oder sich selbst überlassen. Eine Verbindung, die zwar nicht immer aufging, aber Entdeckergeist und Freude am Unbekannten erkennen ließ. Eine andere Art der Erkundung betreibt das britische Trio Origamibiro, mit denen das Festival eröffnete. Das Trio besteht aus zwei Musikern, die Gitarre, Ukulele, Kontrabass und allerlei Objekte benutzten, um mutierende Loops zu erzeugen, und einem Videokünstler, der das Geschehen auf der Bühne in Echtzeit bearbeitete. Auf der Leinwand konnte man dann mitverfolgen, wie auf einer mechanischen Schreibmaschine mit Tastengeklapper und dem Schnarren des Wagens ein kompakter Beat entstand, über dem sich die Töne der Instrumente wie von selbst fortspannen – ein früher Höhepunkt des Festivals.

Klänge akustischen Ursprungs verwendet auch das Berliner Club-Projekt Brandt Brauer Frick, das am Samstag das Konzert beschloss. Statt sich jedoch von ihrem klassisch besetzten Ensemble begleiten zu lassen, beschränkten sich die drei Musiker Brandt Brauer Frickhier auf Elektronik und Schlagzeug. Trotz allen Körpereinsatzes: So ganz überspringen wollte der Funke bei dieser elektroakustischen Form der Tanzmusik nicht.

TIM CASPAR BOEHME