Im Raum voller Möglichkeiten

Strategische Profilierung und Karrieremanagement bietet das Künstlerinnen-Projekt Goldrausch. Die Jahresausstellung läuft jetzt im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien

Ein Mädchen liegt auf dem Boden und beobachtet etwas völlig gebannt. Wir werden neugierig mit ihr: Was sieht sie, und wie? Ihre Hingabe und Konzentration verleihen dem Mädchen etwas Kraftvolles und Freies. Die drückende, karge Umgebung – unter ihr sieht man nackte braune Erde und eine alte Gummimatte – verwandelt sich durch ihre Energie in einen poetischen Raum voller Möglichkeiten.

Das Foto von Astrid Busch in der 16. „Goldrausch“-Ausstellung lässt sich als Emblem dessen lesen, was das besondere Berliner Projekt auch in diesem Jahr wieder anstrebt: dem Blick und dem Ansehen von Künstlerinnen eine besondere Plattform zu bieten. Das einjährige Postgraduiertenprogramm, finanziert von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, hat sich zum Ziel gesetzt, die Präsenz von Frauen im Kulturbetrieb zu fördern. Noch immer gerieten diese gegenüber ihren männlichen Kollegen ins Hintertreffen, würden seltener zu renommierten Ausstellungen und Preiswettbewerben eingeladen, so die Projektleiterinnen Birgit Effinger und Hannah Kruse. Als weiterhin notwendiges „Korrektiv geschlechterkonservativer Strukturen“ leistet „Goldrausch“ Hilfe zur Selbsthilfe: Strategische Profilierung, Karrieremanagement und Vernetzungsstrategien gehören zum Weiterbildungsprogramm. In dieser Zeitung wurden die diesjährigen 15 Teilnehmerinnen in wöchentlichen Kurzporträts vorgestellt, jetzt sind ihre Arbeiten im Kunstraum Kreuzberg zu sehen.

Judith Karcheter erzählt mithilfe von Zeichnungen und Fotos von einer merkwürdigen Wohnung, in der Safarisouvenirs wie ein Ozelot und ein Krokodil sich fanden und in der man wunderbar Wildwest spielen konnte. „Eine Geschichte vom Rhein“ erscheint als Hommage an eine unschuldige Kindheit, in der man Afrika und Amerika, Palmen und Prärien noch zu einer unbekümmert exotischen Kulisse mischen konnte und in der die Rollenwahl „guter Cowboy“ versus „böser Indianer“ hieß.

Tere Recarens hat eine spektakulär zerbrechliche und erschütterbare Rauminstallation geschaffen. Auf einem wackeligen Bretterboden stehen dünne Metallregale und Tischchen voller Vasen, Tassen, Kannen, Öllampen, Bowle-Schalen, Apothekerflaschen, Nippesfiguren … Bei jedem Schritt schwanken die Regale; am Tag nach der Eröffnung sind sie schon gegen die Wände gesunken und balancieren ihre Last schräg über dem Boden; Scherbenhaufen überall. „Terremotto“ ist eine körperlich erfahrbare Erzählung über Vergänglichkeit ohne Melancholie. Spielerisch führt sie vor, wie sich hundertfach vorrätige Haushaltsgegenstände in eine einmalige sinnlich-ästhetische Erfahrung verwandeln lassen, wenn man sich nicht vom Gebrauchswert einschüchtern lässt.

Tania Bedriñana bedeckt Wände mit ausgeschnittenen Körperteilen: Arme, Beine, Rücken, Köpfe scheinen aus fast verwischten Fresken herauszuragen, eine Frau entsteigt der Rippe eines liegenden Torsos, eine andere wird von einem Hund mit Menschengesicht begattet. Nadja Schöllhammer schichtet zerrissenes, verkohltes Papier zu einem wuchernden Gebilde auf. Auf den ersten Blick eine ästhetische Hommage an Jackson Pollock, Anselm Kiefer und Walter Störer, findet man verstörende Details wie blutspuckende Kinder, Guerillakrieger und die dünn ausgeschnittene Silhouette eines Herzkranzgefäßes.

Christiane Wetzel erzeugt mit 3-D-Konstruktionsprogrammen im Computer hyperrealistische Szenarien. Ein schwarzer Plastikschalenkoffer ist ganz plastisch und haptisch wiedergegeben, umschwebt von Kamera und Scheinwerfern wird er zum Star des Bilds, der sich jedoch hartleibig verschließt und nichts von seinem Inneren preisgibt. Durch die schiere Sachlichkeit ihrer Bildsprache lässt Wetzel eine überbetonte Materialität in ihr Gegenteil umschlagen, setzt Begehren und Fantasien frei, mit denen wir Gegenstände und Orte unbewusst aufladen.

Von Katja Eydel stammen beiläufig wirkende Fotos aus dem Roten Rathaus, von Pressekonferenzen, Kabinettssitzungen und Demonstrationen. Eydel interessiert sich für die Sphäre des Politischen und Öffentlichen, wie sich Menschen alltäglich darin geben – egal ob Männer oder Frauen. Es sind Bilder, die im Kontext vieler anderen Ausstellungen bestehen würden. Aber das gilt zum Glück für die meisten gezeigten Arbeiten. Zwar klingt „typisch Weibliches“ an – im Gebrauch fragil-vergänglicher Materialien wie Papier und Glas, im wiederkehrenden Motiv von Häusern und Häuslichkeit, in der Behauptung des Rätselhaften gegenüber dem Rationalen –, doch darauf lässt sich die Ausstellung längst nicht reduzieren.

HENRIKE THOMSEN

„Magma – Goldrausch 2006“, bis 3. 12. im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, täglich 12–19 Uhr, weitere Infos unter www.kunstraumkreuzberg.de