Biograf am Zeichentisch

Draw the line: Reinhard Kleist hat einen Comic über das Leben von Johnny Cash gezeichnet. Kunstvoll wechselt er in dem Buch die Ebenen zwischen biografischen Details, Songs und Zeitgeschehen

VON CHRISTOPH BANNAT

Der Mythos bleibt einem noch lange erhalten. Jetzt ist die erste Cash-Biografie als Comic erschienen, gezeichnet und getextet von dem Berliner Reinhard Kleist. Kommen demnächst auch Cash-Klingeltonmelodien und eine „Man in Black“-Fashionline? Spätestens seit den ersten American-Recordings, die 1994 von Rick Rubin produziert wurden, ist Cash jedermanns Liebling – vom Countryfan mit der obligatorischen Südstaatenflagge bis zum Intellektuellen.

Nun ist über das Leben von Cash, der 1932 geboren wurde und 2003 starb, eigentlich alles gesagt worden: über seine Drogensucht, über die Gerichtsverfahren oder die Ehe mit June Carter. Auch als Ikone hat Cash längst einen festen Platz im kollektiven Bildarchiv. Trotzdem ist Kleists Comic geradezu notwendig – schon weil er ungewöhnlich schön und kunstvoll erzählt ist. Besser jedenfalls als James Mangolds gradlinig und mit allen Hollywood-Zutaten versehener Film „Walk the line“.

Dabei liegt der Reiz gar nicht so sehr in den einzelnen Zeichnungen. Mit großem Geschick bringt Kleist ganz klassisch realistisch seine Figuren zu Papier, wechselt Perspektiven und Szenerien. Viel mehr besteht seine Kunst jedoch darin, unterschiedliche Erzählstränge mit enormer Leichtigkeit ineinander zu verweben. Fast wie ein Autorenfilmer: Fließend wechselt er die Ebenen von illustrierten Cash-Songs zu biografischen Details oder Zeitgeschehen.

Mit reduzierten, genau konturierten Panels arbeitet Kleist die Facetten von Cashs Persönlichkeit heraus, fügt sie in einem Erzählstrom zusammen. Gleichwohl lässt er Raum für die Ambivalenzen, wenn er etwa die unentschiedene Haltung Cashs zum Vietnamkrieg thematisiert. Zum Beispiel, indem er dessen Protestsong „Ballade of Ira Hayes“ illustriert: Es ist die Geschichte von einem Pima-Indianer, der berühmt wurde, weil er auf dem legendären Foto von Joe Rosenthal in einer Gruppe mit anderen GIs die US-Flagge auf dem Berg Suribachi als Zeichen der Eroberung der Insel gehisst hatte. Zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs starb er 1955 – alkoholisiert und erfroren. Leider verzichtet Kleist umgekehrt auf Cash-Songs wie „Okie from Muskogee“ oder „Fightin’ side of me“ von 1969, die mitten im Vietnamkrieg eine Steilvorlage für Nixon und dessen Politik waren (Cash wurde 1972 sogar ins Weiße Haus eingeladen).

Ähnlich wie Cash sich Ira Hayes annähert, interessiert sich auch Kleist weniger für die mediale Erscheinung des Sängers, sondern für den Menschen und dessen Geschichte, die ins Zeitgeschehen eingebunden ist. Deshalb zieht er eine Verbindung zwischen Bob Dylan und Cash, die unterschiedliche Gesellschaftsschichten und Herkunft verkörpern. Kleist lässt sie aufeinandertreffen, diskutieren und im Spiel sich versöhnen. Es ist die wohl beste Bildstrecke des Comics und man will sofort mehr. Schön, wenn diese Biografie auch einen amerikanischen Verleger finden würde.

Reinhard Kleist: „Cash – I see a darkness“. Verlag Carlsen, 14 €