Befriedigt trotz Ehemann

Immer noch sehr lesenswert, sobald es um Gruppensex geht: Gisela Elsners wiederveröffentlichter Roman „Das Berührungsverbot“

Als Gisela Elsners Roman „Das Berührungsverbot“ im Jahr 1970 erstmals erschien, lag das Buch gut im Trend. Die im Gefolge von 1968 postulierte sexuelle Revolution war in vollem Gange. Die prüden Sechzigerjahre lagen – zumindest im Zeitgefühl der 68er – ewig zurück, und von der Vermarktung der sexuellen Befreiung im Pornoboom der Siebziger war noch nicht viel zu spüren. In einer Mischung aus Angst und Neugier schielten Teile des Bürgertums auf das Treiben der jungen Linken; die Angst betraf das Politische, die Neugier galt den neuen Umgangsformen und dabei insbesondere dem Sex.

Die Literatur reagierte schnell darauf. John Updike schrieb bereits 1968 seinen Roman „Couples“ (dt.: Ehepaare). Er thematisierte damit genau dieses Interesse bürgerlicher Paare an einer Erweiterung des Sexlebens, genauer: am Partnertausch und am Gruppensex. Nur kurze Zeit später veröffentlichte Elsner „Das Berührungsverbot“, und bei ihr steht die Gruppensexerfahrung ansonsten recht biederer Paare im Zentrum des Romans.

Dieses nun wiederveröffentlichte Buch ist überall dort lesenswert, wo die Autorin sich den unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen der Beteiligten zuwendet, bzw. sehr lesenswert, wo sie die Folgen in den Blick nimmt. Wir erleben, wie brave Büroangestellte zu dauergeilen Kicherern mutieren, dasselbe aber ihren Ehefrauen nicht zugestehen wollen. Und wir lesen, wie unbefriedigte Hausfrauen die Lust am Sex neu entdecken, obwohl auch ihre Ehemänner anwesend sind. Da bei alledem immer das Licht ausbleibt, muss sich kein Moralhüter sorgen: Die Bibel ist pornografischer.

Allein, der Gruppensex und das ganze Bündel aus Motiven, Erfahrungen und Widersprüchen der Akteure und der Folgen für sie geht unter zwischen zahlreichen Milieu-, Charakter- und Karriereschilderungen. Die Bürogeburtstagsfeier eines der Protagonisten, Dittchen, nimmt so viel Raum ein wie die Gruppensexorgien selbst. Elsner wechselt oft die Erzählperspektive – zu oft, zu beliebig, zu unmotiviert. Sie will alles sagen und sagt dadurch am Ende nicht viel. Was übrigbleibt, wird auch noch durch Schachtelsätze gründlich versteckt.

Nichts gegen eine komplizierte Sprache samt Parenthesen und Doppelpunkt-Einschüben, nichts gegen gute, intakte Sätze, die über anderthalb Seiten gehen, aber zum teilweise hechelnden Tempo des Romans passt das nicht besonders gut. Was vermutlich als literarischer Kontrapunkt gedacht war, fragmentiert den Text unnötig und gibt ihm insgesamt den Charakter eines Pamphlets.

„Das Berührungsverbot“ ist deswegen sicher nicht Elsners bester Roman. An „Die Riesenzwerge“ oder das nur wenig schwächere Buch „Die Zähmung“ reicht er bei weitem nicht heran. Dennoch hat man nach der Lektüre den Eindruck, dass die für Elsner typische Mischung aus luziden Blicken auf das ganz Kleine der persönlichen Beziehungen und auf das ganz Große der gesellschaftlichen Verfasstheit, die diese Beziehungen prägt, manchmal immer noch aussagekräftig ist – ästhetisch wie inhaltlich. MAIK SÖHLER

Gisela Elsner: „Das Berührungsverbot“. Verbrecher Verlag, Berlin 2006, 224 Seiten, 13 Euro