: „Man muss glauben, dass die Welt sich verändert“
BEDENKEN Helmut Jahn kennt sich mit der Angst vor Hochhäusern aus: Er hat den Messeturm in Frankfurt und das Sony-Center in Berlin gebaut. Hamburg legte seine Entwürfe auf Eis
■ 74, hat unter anderem das Sony-Center in Berlin und den Messeturm in Frankfurt gebaut.
■ Er studierte Architektur in München, bevor er 1966 nach Chicago ging und in das Architekturbüro C. F. Murphy Associates eintrat, das er 1983 übernahm. Seine Firma unterhält Büros in Chicago, Berlin und Shanghai.
■ 1978 wurde Jahn achtes Mitglied der „Chicago Seven“, einer Gruppe von Architekten, die sich um eine Loslösung vom strikten Modernismus amerikanischer Architektur bemüht.
■ Jahn hat Wohnungen in Berlin (im Sony-Center) und in New York, mit seiner Frau bewohnt er eine Pferdefarm eine Stunde außerhalb von Chicago.
INTERVIEW DANIEL WIESE
taz: Herr Jahn, was für Erfahrungen haben Sie damit gemacht, in Deutschland Hochhäuser zu bauen?
Helmut Jahn: Das erste Projekt, das wir in Deutschland gemacht haben, war der Messeturm.
In Frankfurt.
Der ist ja heute immer noch eines der höchsten Gebäude in Frankfurt und sogar in Europa. Ich habe aber immer gesagt, es spielt keine Rolle, wie hoch die Gebäude sind, sondern wie gut sie sind. Frankfurt ist wahrscheinlich eins der besten Beispiele: Als wir den Messeturm gebaut haben, war er das höchste Gebäude in der Stadt. Es hat nicht so viele Diskussionen über die Höhe gegeben, weil die Messe eben diesen Turm bauen wollte, und der damalige Oberbürgermeister Walter Wallmann war der Chef des Aufsichtsrates. Und was ist seitdem passiert? In Frankfurt wurden sehr viel mehr Hochhäuser gebaut, und sowohl das Stadtbild als auch die urbane Qualität haben dabei gewonnen.
Frankfurt ist wahrscheinlich die einzige Stadt in Deutschland, die eine Hochhaus-Skyline hat.
Ja, und um jetzt einen Sprung zu machen: Die Stadt, die sich jetzt am meisten verändert und von einer eigentlich ganz platten Stadt zu einer Stadt mit vielen Hochhäusern verwandelt, und bei der es wahrscheinlich noch erstaunlicher ist, dass es gelingt, weil sie so viele historische Monumente hat, ist London.
Ich habe den Artikel im Wallstreet Journal gelesen, den Sie mir geschickt haben. Sehr interessant, dass in den Londoner Hochhäusern nicht nur Büros drin sind, sondern 80 Prozent Luxuswohnungen.
Das hat wie so viele Dinge in Amerika angefangen: Der Grund, dass es in Städten wie Chicago, Miami, New York, L.A., San Francisco diese Hochhäuser gibt, ist ein starker Drang, in der Stadt zu wohnen.
Das wollen die Leute bei uns auch.
Das ist entgegensetzt zu dem Drang in den 50er- und 60er-Jahren, die Stadt zu verlassen. Es sind vor allem Young Professionals, die einfach nicht in diesen langweiligen Vorstädten leben wollen, die miteinander kommunizieren, die ein ganz anderes Leben führen, die soziale und kulturelle Anregungen suchen, die keine Lust auf diese Verkehrsprobleme haben. In San Francisco haben Apple und Google, hat das Silicon Valley Busse für diese Young Professionals eingesetzt. Sie arbeiten in den Bussen, haben dort Internet, sie haben kein Auto, und wenn sie in der Stadt sind, fahren sie mit dem Fahrrad.
Und deswegen braucht man Hochhäuser?
Das Hochhaus ist in diesem Fall die einzige Antwort. Es gibt natürlich Städte, in denen es ein bisschen mehr Raum gibt oder eben weniger. In New York bauen sie Wohnungshäuser, die sind 400, 500 Meter hoch. Der zweite Aspekt ist: In Städten wie in New York und London, und das wird auch eines Tages so in Berlin sein – denken Sie an das Projekt von Hines am Alexanderplatz –, in diesen Städten sind viele dieser Hochhäuser für Leute, die von außen kommen. Das sind Leute, die haben irgendeinen Grund, in Berlin, New York, London eine Wohnung zu haben, und sehen das als eine gute Investition. Das kurbelt natürlich die Wirtschaft an und verbessert das Standing einer Stadt.
Trotzdem sind die Vorbehalte in Deutschland groß.
In Deutschland wird das Hochhaus als ein fremder Bautyp gesehen. Da hat man unglücklicherweise immer noch den Drang, an die guten alten Zeiten zurückzudenken.
In Deutschland gibt es es den Grundsatz: Die Skyline, das sind die Kirchtürme.
Das war in Frankfurt auch so, da hieß es, der Messeturm verschandelt den Blick auf die Paulskirche. Das ist eben diese deutsche Haltung. So ist das in allen Städten, wo viel Geschichte ist: Da vergisst man, an die Zukunft zu denken. In Philadelphia haben wir ein Hochhaus gebaut, das das höchste war, es war höher als William Penn’s Hat am Rathaus. Heute gibt es zehn Hochhäuser, die höher sind. Die Welt bleibt einfach nicht stehen.
Die Gegner der Hochhäuser sind historisch auf verlorenem Posten?
Das Hochhaus ist nicht an sich gut, aber es ist ein Bautyp, der es durch die technologischen Möglichkeiten, die wir heute haben, erlaubt, in einer geballten Innenstadt effizient und wirtschaftlich zu bauen. Und wenn man sie im Gesamten betrachtet, sind die Hochhäuser wahrscheinlich nachhaltiger als diese niedrigen, ausgedehnten Städte, weil sie weniger Verkehr erzeugen, weil sie durch ihre Größe mehr Effizienz bei den technischen Anlagen innerhalb eines Gebäudes erzielen können. Hochhäuser sind der Bautyp, der die größte Zukunft hat, und da kann man einfach nicht mit einem weltanschaulichen Argument kommen, dass das irgendein Stadtbild zerstört.
Aber Sie sind doch auch in Deutschland aufgewachsen. Verstehen Sie die Ängste gar nicht?
Die Türme haben immer ein Stadtbild zerstört. Der Eiffelturm sollte nach einem Jahr eingerissen werden, der ist heute das Wahrzeichen von Paris. Das Washington Monument ist das Wahrzeichen von Washington. Wir hatten die gleiche Diskussion in München bei den Highlight Towers. Da war im Bebauungsplan die Höhe vorgeschrieben, und dann hat jemand herausgefunden, das man die Türme von der Ludwigsstraße aus sieht. Und dann war plötzlich alles falsch. Aber das Interessante ist, dass man sich an alle diese Dinge gewöhnt. Der Eiffelturm wird von allen Leuten geliebt. Das Washington Monument von allen geliebt. Die Leute werden mit der Zeit stolz darauf, dass sie so ein Gebäude haben.
In Hamburg haben Sie einmal mit anderen Architekten aus Chicago Entwürfe für ein Hochhaus-Ensemble gemacht, am Eingang der Hafencity, wo die Elbbrücken sind. Aber daraus ist nichts geworden.
Als Architekt sollte man nicht denken, dass man die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit oder in der Verwaltung wirklich beeinflussen kann. Es hat viele Plätze gegeben, für die ich ein Hochhaus entwerfen sollte, und ich habe diese Aufgabe oft nicht angenommen, weil ich, nachdem ich mich mit dem Grundstück und der städtebaulichen Situation auseinandergesetzt hatte, es so empfunden habe, dass man dort gar kein Hochhaus bauen muss. In Hamburg hat man natürlich damit gerechnet, dass wir durch unser Renommee die Stadtplaner überzeugen könnten, dass das Hochhaus genau das Richtige wäre. Damals war der Baudirektor von Hamburg, Jörn Walter, sehr interessiert an einer fortschrittlichen Vision für das östliche Ende der Hafencity.
Und warum ist es nichts geworden?
Das Problem war, dass man diese Gebäude in dieser Höhe und Größe in Hamburg nicht braucht. Heutzutage kann man Bürogebäude nur dann bauen, wenn man sie zum guten Teil vermietet hat. Aber dann muss man einfach warten. Wir hatten in London mal etwas geplant und nicht gebaut, in diesem Zentrum in Westminister, in der Bishopsgate Area, wo all die Banken sind. Unser Projekt ist damals gescheitert, weil es da einen Blick von der Fleet Street gegeben hat, da stand das Gebäude genau hinter der Kuppel der St. Paul’s Cathedral. Das war natürlich sehr fragwürdig, denn wenn man 50 Meter weiter vor oder zurück gegangen ist, war das nicht mehr so. Aber das ist damals von den Gegnern als Argument ins Feld geführt worden.
Es sind immer die Sichtachsen, oder? Natürlich stört ein Hochhaus immer irgendeine Sichtachse.
In London ist es dann aber gelungen, die Stadtpolitik so zu ändern, zuerst unter Bürgermeister Livingstone und dann unter dem neuen Bürgermeister Boris Johnson, dass das nicht mehr auf diese Art diskutiert wird. Vor ein paar Jahren hatten wir ja eine Ausstellung, und das Manifest dazu heißt „Die Zukunft irrt sich nie“, „The Future ist never wrong“. Das heißt nicht, dass alles in der Zukunft notwendigerweise gut ist, aber man muss eben glauben, dass die Welt sich verändert.
Glauben Sie, dass es in Berlin irgendwann vom Potsdamer Platz bis zum Alexanderplatz eine Hochhauskette gibt?
Ich sollte dazu eigentlich nicht ja und nicht nein sagen. Mit Berlin ist das Problem doch ein ganz anderes. London ist eine Weltstadt, Berlin auch, hat aber nicht dieselbe Aktivität. Berlin ist eine Regierungsstadt, und was früher oder später geschehen wird, aber heute nicht geschieht, ist, dass außer der Regierungspräsenz die private Industrie noch mehr präsent ist. Die haben dort eine Dependance, aber keine Zentrale. Aber wenn einmal die Notwendigkeit besteht, wenn dort ein Bedarf ist, dass Räumlichkeiten geschaffen werden, dann gibt’s nur die eine Antwort: dass man in die Höhe geht. Und dann muss man Orte finden, die ihre Nützlichkeit überschritten haben, dann muss man früher oder später abreißen. Da sind noch so viele dieser DDR-Bauten, ob das Wohnungen sind oder Büros, in 20, 30 Jahren will da niemand mehr sein.
Aber noch ist es nicht so weit?
Die Hauptfrage ist immer noch, ob Nachfrage besteht. Der Alexanderplatz ist das beste Beispiel, da lässt der Bebauungsplan viele Hochhäuser zu, aber der Bebauungsplan ist nicht so ausgeführt worden. Der ursprüngliche Bebauungsplan hat vorgesehen, dass die bestehenden Häuser eingerissen werden, aber beim früheren Forumhotel haben sie eine neue Fassade drangemacht und das innen ausgebaut, weil das wirtschaftlicher war, und jetzt muss man den Bebauungsplan eben anders denken. Es wird sich herausstellen, wie schnell das Projekt von Hines gebaut wird. Das ist genau ein Hochhaus der Kategorie, das wahrscheinlich nicht der typische Berliner kaufen wird. Das sind ein Hotel und Apartments, das zielt auf die Leute, die von außen kommen, die Russen, die Chinesen. Auf die Leute, die überall auf der Welt noch Geld ausgeben.
Wie hoch soll das werden?
Ich glaube, 150 Meter. Das Sony-Center hat 103 Meter. Wissen Sie, man darf das nicht emotional betrachten. Das Hochhaus erfordert ein gewisses Innovationsdenken, ich könnte Stunden darüber reden. Die Hochhäuser, die wir machen, passen genau da hin, wo sie sind. Aber das dauert wie immer in der Architektur eine lange Zeit, bis man das begreift.