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Union der arbeitenden Kinder

Am Wochenende informieren gleich zwei Veranstaltungen über Kindergewerkschaften in Bolivien – über deren Forderungen wird in diesen Tagen entschieden

Diskussion und Workshop

„Kinderarbeiter*innen in Bolivien und das Recht zu arbeiten“■  Freitag, 27. Juni Diskussion mit Prof. Dr. Manfred Liebel, FU, und Peter Strack, terre des hommes, Bolivien. Ab 19 Uhr

  Samstag, 28. Juni Workshop, u. a. mit Skype-Gespräch mit der Kindergewerkschaft Unatsbo. Mit Elisabeth Weydt, Journalistin, und Peter Strack. Ab 13.30 Uhr. Beide Veranstaltungen finden im FDCL statt, Gneisenaustraße 2a. Anmeldung an: clay.johnson@asu.edu

Kinderarbeit ist schlecht. Das weiß jeder. Internationale Organisationen setzen sich für die Abschaffung ein. Es ist allgemeiner Konsens, dass Kinder in die Schule gehören und nicht an den Arbeitsplatz. Und doch sind es Kinder, die sich seit Jahren dafür einsetzen, als Mitglieder der Gesellschaft ernst genommen zu werden, das Recht auf Arbeit einfordern und eigene Organisationen gründen, um diese Forderungen durchzusetzen. Sogenannte Kindergewerkschaften.

„Viele Kinder empfinden das Verbot von Kinderarbeit als Zwang, obwohl es häufig in bester Absicht geschieht, um die Kinder zu schützen. De facto aber führt es dazu, dass Kinder rechtlos und auch schutzlos gemacht werden und dadurch in noch größere Schwierigkeiten kommen“, sagt Prof. Dr. Manfred Liebel von der Freien Universität Berlin. Er forscht zum Thema Kinderarbeit und nimmt am Freitag an der Diskussionsveranstaltung „KinderarbeiterInnen in Bolivien und das Recht zu arbeiten“ des Dokumentations- und Forschungszentrum Chile-Lateinamerika e. V. teil.

Kindergewerkschaften gibt es mit mehr oder weniger großem Erfolg etwa seit den 1990er Jahren in Afrika, Asien und in Lateinamerika. Bolivien, wo bis zu einem Drittel der Kinder arbeiten, hat sich in den letzten Jahren zum Sonderfall entwickelt. In dem südamerikanischen Land, dessen Präsident Evo Morales einst auch ein Kinderarbeiter war, haben es die Kinder der Organisation Unatsbo geschafft, an einem Entwurf für ein neues Kinder- und Jugendschutzgesetz mitzuarbeiten, über den in diesen Tagen entschieden wird.

Es wäre ein einzigartiger Erfolg für die Gewerkschaft, nachdem bereits vor ein paar Jahren der Passus über das Verbot der Kinderarbeit aus der Verfassung gestrichen wurde. Zwar war es in den 1990er Jahren in Peru gesetzlich erlaubt, dass Kinder ab zwölf Jahren arbeiten, doch die Regelung blieb vorübergehend.

In ihren Vorschlägen an die Parlamentarier fordern die Kinder etwa die Abschaffung des Mindestalters für Arbeit in der Familie und in kommunalen Gemeinschaften, selbstständige Arbeit ab zehn und Lohnarbeit ab zwölf Jahren. Es soll einen staatlichen Zensus über die Kinderarbeiter geben, um ihren Schutz vor ausbeuterischer Tätigkeit zu verbessern.

Ein großes Problem bei der Diskussion um Kinderarbeit liege in der Sprache, sagt Liebel. Es gibt nur dieses eine Wort und dies ist so negativ behaftet, dass es eine offene Diskussion über das Thema erschwert. Die englische Sprache etwa kennt hingegen den Unterschied zwischen „child labour“ und „child work“. Ersteres beschreibt das ausbeuterische Einsetzen von Kindern als billige Arbeitskraft. Letzteres hingegen beschreibt die freiwillige, dem Alter und der geistigen Reife angemessene Ausübung von Arbeit.

Auch kulturelle Unterschiede, etwa im Idealbild von dem, was Kindheit sein sollte, machen es schwer, das Konzept einer verantwortungsvollen und geschützten Kinderarbeit in westlichen Staaten zu vermitteln. Und das, obwohl Kinder, das zeigen Studien, die Arbeit an sich nicht als problematisch empfinden, sondern eher die schlechten Umstände, in denen sie ihr nachgehen. Kinder müssen nicht vor Arbeit geschützt werden, sondern vor Ausbeutung.

Eine Ideallösung für das komplexe Thema gibt es für Liebel nicht. „Wichtig ist, die Sichtweise und den Willen der Kinder zu respektieren. Auch im Sinne der Kinderrechtskonvention sollte man ihnen die Möglichkeit geben, bei allen Angelegenheiten mitzuwirken, die sie betreffen.“ Statt Kinderarbeit zu verbieten, solle dafür gesorgt werden, dass sie bei der Arbeit geschützt sind, so Liebel. „Auch dadurch, dass ihre Organisationen wie Gewerkschaften anerkannt werden.“

Als Konsument sei die Macht, etwas zu ändern, eher beschränkt. „Natürlich kann man darauf achten, woher etwas kommt und wie etwas produziert wurde. Wenn sich das aber darauf beschränkt, nur Produkte zu kaufen, die nicht von Kindern hergestellt wurden, heißt das noch lange nicht, dass die Kinder was davon haben.“

Kinderorganisationen wenden sich gegen solche Boykottmaßnahmen, da sie die Möglichkeiten zu arbeiten einschränken und die Arbeitsbedingungen verschlechtern.

Generell scheint es sinnvoll, das Thema offensiv anzugehen. „Was auch immer wieder diskutiert wird, gerade bei Fairtrade“, so Liebel, „ist, deutlich kenntlich zu machen, dass in den Kooperativen, in denen der Kaffee etwa produziert wird, auch Kinder arbeiten. Und zwar unter Bedingungen, die nicht schaden. Bisher würde das eher verschämt mit zur Kenntnis genommen.“

PATRICK SCHIRMER SASTRE

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