Selbstbestimmter Lebensraum

Kollektivierung von Wohnraum erscheint angesichts von Mietsteigerung und Verdrängung als sinnvoll, aber kompliziert – gut, dass es Menschen wie Elisabeth Voß gibt

Samstag, 5. Juli Tagesseminar „Rechtsformen und Finanzierung für Hausprojekte“ mit Referentin Elisabeth Voß. Teilnahmebeitrag: 30 bis 50 Euro nach Selbsteinschätzung, Information und Anmeldung: elisabeth.voss@netz-eg.de

Weiterführende Links: netz-bb.de syndikat.org stiftung-trias.de martinswerk-berlin.de selbstbau-eg.de

Julian I. hatte nie viel Geld. Aber er hat ein Haus und das mitten in der Stadt. Zusammen mit 29 Bekannten entschied er sich vor einem Jahr, ein Gebäude in Berlin-Tempelhof zu kaufen. Letztes Wochenende ist er eingezogen. „Eine ehemalige Kanalbetriebsstelle der Berliner Wasserbetriebe“, erklärt er. Da musste viel gemacht werden. Insgesamt 1,7 Millionen Euro soll das Haus am Ende kosten. „Wir befinden uns noch in der Sanierungsphase.“ Die Projektgruppe rechnet aber damit, noch dieses Jahr im gemeinsamen Hausprojekt Burge den Alltag zu leben.

In Deutschland sind Hausprojekte keine Seltenheit mehr. Der Bedarf nach sozialem und gemeinschaftlichem Wohnen ist groß. Luxuswohnungen werden nicht gebraucht. Diese Tendenz hat auch der diesjährige Wahlausgang zur Initiative 100% Tempelhofer Feld gezeigt: Berliner entscheiden lieber selbst über ihren Wohnraum und werden immer öfter aktiv. „Ein paar Freunde und ich haben vor zwei Jahren von einem anderen Hausprojekt in Berlin erfahren und wussten gleich: Das ist was für uns“, erinnert sich Julian.

Elisabeth Voß vermittelt Menschen mit kleiner Geldbörse in ihren Tagesseminaren grundlegendes Wissen für den Start des eigenen Hausprojekts. „Wer darüber nachdenkt, sollte sich zunächst mit den Möglichkeiten der Finanzierung und den verschiedenen Rechtsformen auseinandersetzen“, erklärt die Diplom-Betriebswirtin und Publizistin. Auch Julians Fall zeigt: Die Finanzierung muss gut durchdacht sein. Schließlich trage man Verantwortung gegenüber den Geldgebern. „Ja, ein Hausprojekt birgt gewisse Risiken“, räumt Elisabeth Voß ein. Aber wenn man sich kundig macht, gute Berater an der Seite hat und alle Dokumente korrekt abfasst, sei das Geld in gemeinschaftlichen Wohnprojekten gut angelegt.

Trotzdem sollte man nicht blauäugig an so ein Projekt gehen. Neben dem Kaufpreis für das Haus müssen Nebenkosten wie Notargebühren oder Grunderwerbsteuern einberechnet werden. „Bei gebrauchten Immobilien fallen oft auch Anfangsinvestitionen an“, gibt Voß zu bedenken.

Für ihre Teilnehmer mit wenig Geld sei das Mietshäuser Syndikat eine gute Option. „Das Syndikat beteiligt sich beim Häuserkauf als Gesellschafter mit dem Ziel, immer mehr Immobilien dem freien Immobilienmarkt zu entziehen und dauerhaft für die gemeinschaftliche Nutzung zu sichern“, sagt sie. In Berlin gibt es bis heute 15 Hausprojekte, die mit Hilfe des Syndikats entwickelt wurden. Das Prinzip: Ältere Hausprojekte unterstützen jüngere Projekte mit ihren Erfahrungen und in manchen Fällen auch mit Finanzhilfen, wenn sich das eigene Projekte bereits amortisiert hat.

Das Hausprojekt Burge wandte sich als Erstes an eine der Regionalstellen des Syndikats. Als sie den Zuschlag erhielten, wurden andere Syndikatsprojekte zur Unterstützung angefragt. „Zudem hat uns die DKB einen Kredit gewährt und ein kleiner Teil stammt von der Stiftung Nord-Süd-Brücken.“ Etwa 25 Prozent Eigenkapital müssen Kreditnehmer selbst aufbringen.

„Die anderen Mitglieder und ich hatten kaum Erspartes“, sagt Julian. Als Doktorand verdiene man nicht sonderlich viel. Daher mussten Direktkredite her. „Verwandte und Bekannte haben uns unterstützt.“ Durch Infoveranstaltungen konnten noch andere Interessierte überzeugt werden. „Manchmal haben die Kredite nur kurze Laufzeiten und müssen mit neuen Direktkrediten abgelöst werden.“ Daher suche die Gruppe immer nach Investoren.

Sind die konzeptionellen Fragen geklärt, könne man sich Gedanken um die Rechtsform machen, sagt Elisabeth Voß. Sie hat sich auf Genossenschaften spezialisiert. Beim Konzept des Miethäuser Syndikats nutzen die Hausprojekte jedoch die GmbH. Der Hausverein bildet einen Gesellschafter, das Syndikat den anderen. Durch den Gesellschaftervertrag hat das Syndikat nur bei wichtigen Prozessen wie dem Verkauf des Hauses Mitspracherecht.

„In meinem Seminar bekommen die Teilnehmer eine Ahnung davon, welche Rechtsform die richtige für sie ist“, erklärt Voß. Viel wichtiger sei aber, dass die Organisation in der Gruppe geklärt ist. Die Ziele des Hausprojekts müssen definiert sein. Das Hausprojekt Burge ist sich einig: Ziel sei das selbstverwaltete, freie Wohnen. „Wir wollen sozialen Wohnraum schaffen – zum Beispiel für Alleinerziehende“, sagt Julian. Man wolle sich gegenseitig unterstützen. Auch bei der Kinderbetreuung, denn ein Drittel von Julians künftigen Mitbewohnern sind Kinder. „Es geht eben um die Gemeinschaft und darum, über seinen Lebensraum selbst bestimmen zu können.“

ANNE DITTMANN