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Ein Mann für halbe Sachen

Übermorgen wird Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner das Zepter in der Kultusministerkonferenz übernehmen. Zöllner wird als Heiland gefeiert, Wunderdinge aber braucht sich keiner zu erwarten. Dafür ist die KMK viel zu immobil und Zöllner viel zu geübt im Aushandeln fauler Kompromisse

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Ein Minister am Strand, das ist seit Friedrich Eberts berüchtigtem Badehosen-Foto anno 1919 stets ein Ereignis. Diesmal also der Herr Minister Zöllner, wie er bei der Sommerschule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft auf Sylt den FKK-Strand entlangschlendert. Da recken GewerkschafterInnen die Hälse, was sie jenseits der weißen Mähne des tollsten Bildungsministeres der Republik noch alles zu sehen bekommen.

Aber Prof. Dr. Jürgen Zöllner wahrt auch am Strand die Contenance. Mitnichten ist er unbekleidet, niemals. Auch die für Friedrich Ebert damals gewagten Badehosen trägt er nicht. Zöllner geht lediglich barfuß, die Hosen hochgekrempelt. Als er das Kind eines Sommerschulteilnehmers erblickt, steigt die Laune merklich. Er spielt, ach wie süß, mit dem Jungen.

Typisch Jürgen, würden die Genossen jetzt sagen. Ein echter Okay-Typ. Als Minister voll auf Augenhöhe mit den Mächtigen der Politik. Und als Mensch – einer wie du und ich. Sollte man nicht probieren, ihn unter den Tisch zu trinken. Wenn die Kultusbeamten bei KMK-Abenden zu später Stunde bereits am Ausplaudern und Lästern sind, da steht Zöllner immer noch wie eine Kerze. Am Freitag wird Zöllner Präsident der ständigen Konferenz der Kultusminister. Nebenfolge seiner Rochade auf den Sessel des Berliner Bildungs- und Wissenschaftssenators.

Die Sozen feiern ihn wie einen Heiland. Zöllner ist der Beste, den Wowereit kriegen konnte, sagen sie. Das ist gewiss nicht falsch, aber immer noch eine relative Einschätzung. Zöllner steht mit bestimmten Standpunkten fester als die meisten Genossen auf sozialdemokratischem Urgrund. So ist er ausdrücklich gegen Studiengebühren. Dafür hat er ein, vorsichtig formuliert, komplexes Modell von Studienkonten entworfen; sie setzen „Studiert schneller!“-Anreize, indem sie Bonuspunkte für später in Aussicht stellen. Um das Bezahlstudium zu verhindern, hat Zöllner zudem, oberflächlich betrachtet, das hochkomplexe Modell eines Nachteilsausgleichs entwickelt; es arbeitet erneut mit Anreizen, diesmal für das Gesamtsystem der Studierendenausbildung, indem es Bundesländer belohnt,die mehr Studierende ausbilden.

Wie nun haben die beiden schönen Zöllnermodelle die Wirklichkeit verändert? Die Studienkonten sind beschlossen und in Rheinland-Pfalz in Kraft. Den Nachteilsausgleich wird Zöllner nicht müde als verpasste Möglichkeit anzupreisen. Nur haben sie einen kleinen Fehler: Studiengebühren verhindert haben sie mitnichten. Das Bezahlstudium gibt es – selbst in Rheinland-Pfalz. Auch Kontenstudenten müssen zahlen, wenn sie trödeln. Und zur Abwehr der Gebührenflüchtlinge anderer Bundesländer hat Zöllner echte Studiengebühren eingeführt – für Nichtlandeskinder.

Nun ließe sich einwenden, das kleine Land und sein ehemaliger Minister Zöllner hätten das Beste aus der vertrackten Situation gemacht. Mainz komme nicht um Gebühren herum, wenn nebenan Stuttgart, Saarbrücken und Düsseldorf diese in ihren Ländern verlangten. Die Wahrheit ist freilich eine andere: Der fehlerhafte Kompromiss liegt nicht in der Natur der Sache – er liegt in der Natur Jürgen Zöllners.

Zöllner ist ein Sowohl-als-auch-Mann, ein wandelnder schelmischer Kompromiss, der gerne bedauert, mehr wäre nun wirklich nicht herauszuholen gewesen. Mancher Sozialdemokrat sagt das anders: ein arroganter Sack, der sozialdemokratische Prinzipien nicht etwa bewahrt, sondern besonders perfide verscherbelt. Oder anders: Zöllner ist ein Mann für halbe Sachen.

Jürgen Zöllners Markenzeichen, neben der Fliege und dem aschfahlen Wembleyrasen um sein Kinn, ist der polyvalente Schachtelsatz. An dessen Eingang platziert Zöllner eine ironische Wendung und an sein Ende häufig einen kämpferischen Ausbruch. Der ungeübte Zuhörer erfreut sich an der Witzigkeit des Zöllner’schen Beginns und setzt gedanklich erst wieder ein, wenn er als Schlusspointe gerade einen Aufbrauser setzt, dem man schwerlich widerstehen kann. Dass der gute Mann dazwischen in einem schwer verständlichen Herzstück alles Mögliche auf den Altar des politischen Kompromisses gelegt hat, merkt man erst später. Viel später.

Edelgard Bulmahn (SPD) hat diese Erfahrung gemacht. Zöllner hat die damalige Bildungsministerin beschworen, als die rot-grüne Bundesregierung versuchte, gegen die Länder ihr Ganztagsschulprogramm durchzusetzen. „Du musst die Ganztagsschule nur durchbringen, irgendwie“, hämmerte Zöllner ihr ein, „das reicht.“ Also hat Bulmahn schrittweise alle Prinzipien fahren lassen – und die Unions-Bildungsminister der Länder konnten aus dem 4-Milliarden-Euro-Vorhaben alles herausschneiden, was schlau war.

Bulmahn etwa wollte eine klare Kontrolle der Mittelverwendung durch den Bund – abgelehnt. Sie verlangte pädagogische Konzepte – aufgeweicht. Und sie wünschte sich eine kräftige Kofinanzierung durch die Länder für neue Lehrer – nicht verwirklicht. Die Folgen? Der Bundesrechnungshof schreit, die entstehenden Ganztagsschulen sind pädagogisch oft unterbelichtet und das Schlimmste: Die Länder geben kein Geld für zusätzliches Personal. Rund 30 Prozent mehr Lehrerstellen sind nötig, so wissen es die Experten, wenn man Unterricht, Projekt- und Freizeitphasen über den Tag klug verteilen will. Die ersten Ganztagsschulen ziehen frustriert ihre Anträge auf Umbauzuschüsse zurück. Auf seine Weise ist Jürgen Zöllner der Vater dieses Misserfolgs.

Jürgen Zöllner ist nämlich nicht allein ein famoser Politiker. Er ist zugleich ein Vertreter dieser stets taktisch operierenden Spezies, die in abgeschotteten politischen Arenen zur Blüte reift. Ihr Satzkonstrukte sind derart verschlüsselt, dass selbst eifrige Bürger kaum wirklich verstehen, um was es eigentlich geht. Genau betrachtet gilt für Zöllners virtuose Camouflagetechnik nicht selten: Taktische Operation gelungen – ursprüngliches politisches Ziel hirntot.

So ist es nicht nur bei der Ganztagsschule, die heute ein lächerlicher Abklatsch des Potenzials ist, das ihr Edelgard Bulmahn einst eingeschrieben hatte. Das gilt umso mehr für das ursprüngliche Ziel des Nachteilsausgleichs, das Zöllner zum Leben erwecken wollte, indem er bei der Exzellenzinitiative für Elite-Unis mitgedreht hat. Dass für den erwarteten Studentenansturm genügend Studienplätze entstehen würden, erwartet niemand mehr. Auch Zöllners Äußerungen zu den Vorzeigeprojekten seines Berliner Vorgängers Klaus Böger, wie etwa dem jahrgangsübergreifenden Lernen, lassen nichts Gutes ahnen.

Zöllner aber ist nicht etwa am Ende des Taktierens und Finassierens angelangt, er strebt dessen Höhepunkt erst zu. Im Berliner Senat des Politfuchses Klaus Wowereit und seiner linkischen Rot-Rot-Koalition. Und, vor allem, als Präsident der Kultusministerkonferenz. Da hat er seine erstes Bravourstück abgeliefert. Als Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) die Halbierung der Zahl der Schulabbrecher forderte, fiel ihm etwas besonders Originelles ein: Die Ministerin wisse genau, wer zuständig sei – der Bund jedenfalls nicht.

Und wie geht Zöllner sein neues Amt an? Er kokettiert: „Sie wissen, dass ich zu gern der König der Kultusministerkonferenz wäre, dass ich aber in Wahrheit nur ihr erster braver Mitarbeiter sein werde.“ Das klingt schön ironisch. Muss aber als ernst gemeintes Arbeitsprogramm verstanden werden.

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