: Ein Blick über den Tellerrand
FLEISCH Tote Tiere sind immer für einen Lebensmittelskandal gut. Es ginge besser
VON OLE SCHULZ
„Fleisch“ hat das Zeug zum Unwort des Jahres 2011 zu werden: Viele packt mittlerweile der Ekel, wenn sie nur über den Verzehr toter Tiere und die damit verbundenen Implikationen nachdenken. In zwei Büchern lässt sich diese Haltung gut nachvollziehen: Sowohl der Amerikaner Jonathan Safran Foer („Tiere essen“) als auch die deutsche Schriftstellerkollegin Karen Duve („Anständig essen“) schildern, wie überzeugte Fleischesser allmählich vom Glauben abfallen, je mehr sie sich mit dem Thema beschäftigen.
Neben ethischen Fragen wie der Massentierhaltung und industriellen Schlachtungsmethoden kommt dabei auch der Klimaschutz ins Spiel: Rinder, Schafe und Ziegen produzieren bei ihrer Verdauung etwa das gefährliche Klimagas Methan. Noch schlimmer ist der Anbau von Futtermitteln, für die Kunstdünger genutzt wird, wodurch sich auf den Feldern Lachgas bildet, dessen Klimaschädlichkeit weit höher liegt als die von Methan.
Neben solchen akademischen Argumenten sind es aber vor allem moralische Gründe, die von den Fleischberächtern ins Feld geführt werden. Nach einer repräsentativen Umfrage der Uni Jena gaben 2007 zwei Drittel der befragten Vegetarier an, sie wollen nicht, dass für ihr Essen Tiere sterben müssen.
Diese Entwicklung ist insofern interessant, als es noch nicht lange her ist, dass das Töten von Tieren und der Fleischverzehr im christlichen Kulturkreis nicht nur als fast gottgegeben, sondern auch als notwendig für eine gesunde, ausgewogene Ernährung betrachtet wurde.
Spätestens mit den nicht enden wollenden Fleischskandalen – von BSE über „Gammelfleisch“ bis zu den aktuellen Dioxinrückständen im Schweinefleisch – hat sich das nun aber geändert. Laut Vegetarierbund Deutschland (Vebu) haben inzwischen sechs Millionen Deutsche dem Fleisch abgeschworen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam 2009 die Nestlé-Studie zu den Ess- und Trinkgewohnheiten der Deutschen. Demnach sind 8 Prozent der Bevölkerung Vegetarier.
Viele, die kein Fleisch mehr verzehren, aber zugleich seinen deftigen Geschmack nicht missen wollen, steigen auf pflanzliche Ersatzprodukte um – auf Sojawürstchen oder auf Tofuhackbällchen zum Beispiel. Allerdings ist auch dieser Fleischersatz nicht immer koscher: Als „Öko-Test“ vor kurzem 20 entsprechende Produkte untersuchen ließ, erhielt ein Viertel von ihnen die Note ungenügend, weshalb „Öko-Test“ von ihrem Verzehr abriet.
Andere verzichten inzwischen zumindest auf die Billigfleischangebote aus dem Supermarkt und lassen allein noch Ökofleisch auf den Tisch kommen – aus artgerechter Haltung und ohne Giftfutter. Angesichts des Dioxinskandals werden Bioeier und -fleisch zurzeit derart nachgefragt, dass Lieferanten kaum noch hinterherkommen.
Dennoch seien die Ökobetriebe keine „kurzfristigen Skandalgewinner“, betont Gerald Wehde, Sprecher des größten Ökolandwirtschaftsverbandes Bioland. Weiterhin stamme insgesamt nur etwa 1 Prozent des Fleischs in Deutschland aus Biobetrieben. Die gelieferten Mengen könnten angesichts strenger Auflagen an die bäuerlich-ökologische Tierhaltung gar nicht so schnell erhöht werden.
Im Handel werde bisher kein breites Sortiment an Ökofleisch angeboten, und der Ökolandbau erhalte zudem keine ausreichende staatliche Förderung, kritisiert Wehde. Um den Konsum von Biofleisch zu fördern, bedarf es laut Wehde eines „gesellschaftlichen Umdenkens“.
Die derzeitigen Debatten sieht der Bioland-Sprecher daher als durchaus positiv an. Auch beim Thema Fleisch gehe es in erster Linie um „mehr Qualität statt Quantität“, wo wir ohnehin zu viele Proteine zu uns nehmen. Wenn die Deutschen weniger Fleisch essen würden, so Wehde, stünden auch mehr Agrarflächen zur Verfügung, um dem Ökolandbau „flächenmäßig zum Durchbruch zu verhelfen“.
Ob wir am Anfang eines nachhaltigen Biobooms stehen, muss sich aber erst noch zeigen: Noch im ersten Halbjahr des Vorjahres war der Umsatz von Ökofleisch eingebrochen – nicht zuletzt wegen der Rezession. Denn Biofleisch kostet oft mindestens die Hälfte mehr als konventionelle Ware. Besonders in Krisenzeiten sparen Verbraucher bei solchen Ausgaben.
Doch außer Frage steht, dass es eine freie Entscheidung eines jeden Einzelnen ist, wie häufig ihm überhaupt Wurstwaren oder ein Steak auf den Teller kommen. Und es gibt zweifelsohne gute Gründe dafür, sich beim Fleischverzehr zurückzuhalten. Manche besinnen sich daher auf die Tradition des „Sonntagsbratens“ und bereiten ganz bewusst nur mehr einmal wöchentlich ein Fleischgericht zu.
Dass es auch gesundheitlich gut sei, weniger Fleisch zu konsumieren, scheint aber bei der großen Mehrheit noch nicht angekommen zu sein: Laut Bundesernährungsministerium verspeisten die Deutschen 2009 pro Kopf rund 82 Kilogramm Fleisch, fast doppelt so viel wie vor 100 Jahren. Auch die Weltsicht der Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) zeigt, dass sich hierzulande beim Thema immer noch zwei Lager gegenüberstehen, deren Positionen kaum miteinander vereinbar sind: Im taz-Interview erklärte Aigner – auf den Hinweis, die UN sage, der Planet sei nur zu retten, wenn wir weniger Fleisch essen (taz vom 21. Januar 2011) –, dass es im katholischen Oberbayern, woher sie komme, „seit eh und je den fleischlosen Freitag“ gibt. Wie bitte? Während die Deutsche Gesellschaft für Ernährung vorrechnet, die Deutschen äßen im Schnitt doppelt so viel Fleisch wie gesundheitlich empfehlenswert, spricht Aigner von einem fleischfreien Tag in der Woche.
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