Die Preise des Herrn Hübotter

Annäherung an ein Phänomen: Dass ein Nicht-Architekt die erstmals vergebene „Auszeichnung für Bremer Baukultur“ bekommt, ist an sich schon ein aufschlussreicher Vorgang. Noch spannender ist der Prämierte selbst: Ein Bauunternehmer, wie er in keinem Buche steht – außer in seinem eigenen

von Henning Bleyl

Klaus Hübotter gehört zu den Menschen, für die man gerne Preise erfindet. taz-Ehrenabonnent ist er schon – was ihn dazu bewog, um eine kostenpflichtige Belieferung zu ersuchen –, heute bekommt er die „Bremer Auszeichnung für Baukultur“. Die Laudatio hält der Regierungschef persönlich, und wie sehr diese Prämierung auf den eigenwilligen Bauunternehmer zugeschnitten ist, zeigt schon die Regelung der weiteren Vergabe: Sie soll „in nicht festgelegten Zeitabständen“ erfolgen. Anders ausgedrückt: Jemand wie Hübotter findet sich so schnell nicht wieder.

Vorsicht ist also geboten, zumal der erste Versuch der Bremer Obrigkeit, Hübotter einen Preis zu überreichen, mit einem Desaster endete. Im Spiegel vom 4. September 1963 ist die Geschichte nachzulesen: Hübotter hatte für seine Doktorarbeit über „Rechts- und Organisationsfragen beim Bau neuer Gemeinden in der Bundesrepublik“ den Preis des Deutschen Städtetages erhalten. Überreichen sollte diesen Bremens legendärer Nachkriegs-Landesvater Wilhelm Kaisen. Doch am Tag vor der Zeremonie im Rathaus, wurde der Jung-Jurist ausgeladen. Die Bremer Kriminalpolizei habe interveniert, schreibt der Spiegel, weil gegen Hübotter wegen Verdachts auf Vergehen wider die Paragraphen 184 (Verbreitung unzüchtiger Schriften) und 185 (Beleidigung) ermittelt wurde. Das Corpus delicti: Ein privat gedruckter Gedichtband, in dem allerlei Zeitgenossen von „Brandt, Willy“ bis „Wehner, Herbert“ ihr Fett weg kriegen. Schlimmer noch: Hübotter war als „Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen Vereinigung“ verurteilt, wie der entsetzte Kaisen aus einem Polizei-Dossier erfuhr.

In der Tat war Hübotter seit 1950 Mitglied der Kommunistischen Partei und Funktionär ihrer Nachwuchsorganisation „Freie Deutsche Jugend“. Ein Jahr später kam das Verbot, in der Illegalität organisierte Hübotter den Kontakt zu anderen linken Gruppen. Zwei Jahre funktionierte das, „dann haben sie mich geschnappt“, so Hübotter. Einzelhaft bedeutete in der Adenauer-Zeit: Alle vier Wochen durfte ein Brief geschrieben werden, eine DIN A 4-Seite. Hübotter übte sich in Kleinstbuchstaben. Und freut sich noch heute über die viereinhalb Druckseiten, die er so einem Stück Papier abtrotzte.

Apropos Trotz: Hübotter kämpfte um seinen Preis – und bekam ihn nach längerem Hin und Her erneut zugesprochen, wenn auch ohne offizielle Überreichung. Der Spiegel zitiert den 33-Jährigen: „Zu meiner Weltanschauung stehe ich immer noch. Vom Abschwören halte ich nichts.“ 44 Jahre später sagt Hübotter einen ähnlichen Satz. Noch immer gilt für ihn: „Keiner hat seine Utopie so gut begründet wie Marx und Engels.“ Nur, dass er von Utopien nicht mehr so viel hält. „Ich bin Skeptiker geworden und ideologisch wieder bei Goethe angelangt.“ Ein Vers gefällig? „Wie einer ist, so ist sein Goethe, mal mit mehr Schwarz, mal mit mehr Röte.“

Hübotter ist sein eigener Eckermann. Was ihm einfällt, wird aufgeschrieben, mittlerweile kann er sich aus über 40 Werken selbst zitieren – wovon der 76-Jährige gerne Gebrauch macht. Nicht jeder Vers kann Goethes geistige Patenschaft für sich beanspruchen, zum Glück ist auch nicht alles gereimt. Als Hübotter zum Beispiel mit Freunden Goethes italienischen Reiserouten folgte, da schrieb er über die angetroffenen Veränderungen, insbesondere die Umweltzerstörungen. Ein anderes Buch handelt von Erfahrungen in Südafrika während der Apartheid. In Bremen wohl bekannt sind Hübotters in mehreren Bänden verewigte Aphorismen zum Thema Baukunst, ein zentraler lautet: „Architektur hat viel mit Geld zu tun, aber wenig mit viel Geld.“ Diesem bauwirtschaftlichen Credo verdankt die Stadt de facto den Erhalt beziehungsweise Umbau einer langen Reihe von wichtigen Gebäuden.

Hübotter ist ein ebenso kreativer wie genau kalkulierender Bauherr. Sein bislang größtes Werk ist 400 Meter lang und steht am zugeschütteten Bremer Überseebecken: ein früherer Baumwollspeicher mit 30.000 Quadratmeter Lagerfläche, der lange als unrentables Hafenrelikt galt. Er rottete so lange vor sich hin, bis Hübotter den genialen Plan entwickelte, das Backsteinmonument als Sitz der Hochschule für Künste umzubauen, deren innerstädtisches Quartier aus allen Nähten platzte. Jetzt fungiert der Speicher als Entwicklungs-Nukleus des brach liegenden Hafenareals.

Derzeit baut Hübotter das „Bamberger“, ein ehemaliges jüdisches Kaufhaus, das abgerissen werden sollte, als künftigen Sitz der Volkshochschule um. Unmittelbar zuvor hat er Bremen ein „Haus der Wissenschaft“ beschert, in dem er fünf uralte, hinter dem Dom gelegene Häuschen durch geschickte Binnenstrukturierung zusammenfasste. Bei der feierlichen Einweihung kam es zu einem dieser kleinen Zwischenfälle, wie sie wahrscheinlich nur im Soziotop Bremen passieren können, wo jeder jeden kennt und Charaktere wie Henning Scherf Bürgermeister werden. Dieser also dankt dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft und erinnert an die bewegte Geschichte der Häuser, in denen in den 20er und 30er Jahren etliche Sozialdemokraten als Referenten eines Arbeiterbildungsvereins wirkten. „Aber die wurden dann ja“, wendet sich Scherf an Hübotter, „von deinen Freunden in Moskau umgebracht.“

Solche Anwürfe lassen Hübotter einigermaßen kalt. Ärgerlicher war, als ein großer katholischer Bauträger plötzlich die Zusammenarbeit aufkündigte, nachdem dort Hübotters politische Vita bekannt wurde. „Aber das ist ein absoluter Einzelfall“, relativiert der Unternehmer. Er arbeite hervorragend mit CDU-Bürgermeistern zusammen, „da gibt es keine Probleme“.

Zum System Hübotter gehört der wirtschaftliche Erfolg: Gerade hat er in Lettlands Hauptstadt Riga viel Geld bei der Altstadtsanierung verdient – „nebenbei“ auch den nationalen Denkmalpreis –, in Bremen selbst gehört seine Firma zu den drei ältesten privaten Wohnungsbaugesellschaften. Seine Firma hat ihren Sitz direkt hinter dem prächtigen Goetheplatz-Theater. Die benachbarte Theaterdirektorenvilla hat Hübotter vor fast 30 Jahren gekauft und mustergültig renoviert. Seither sind hier Gruppen wie „amnesty international“, die „Volkssolidarität“ oder das Literaturkontor untergebracht, aber auch ein teurer Italiener – mit geschickter Mischkalkulation ist vieles möglich.

Weitere gute Taten? Hübotter betreibt das Hafenmuseum, ist Initiator des Bremer Friedens- und Kulturpreises – und baut aus Prinzip keine Mietshäuser. Um Missverständnisse zu vermeiden: Hübotter agiert nicht als Wohltäter, sondern als Kaufmann – nur, dass er neben dem Profit noch ein paar Parameter mehr im Kopf hat. Was er deswegen heute erhält, ist eine Art Lebenswerk-Auszeichnung, man könnte auch von einer verkappten Ehrenbürgerschaft sprechen. Das Interessante an der Preisbegründung durch das Bremer Zentrum für Baukultur (b.zb) ist nun, dass Hübotter weniger wegen seiner spektakulären Großprojekte gewürdigt wird, sondern für seine Verdienste im „qualitätvollen Wohnungsbau“. In der Tat hat Hübotter bewiesen, dass auch in größeren Einheiten ansprechende Verhältnisse herrschen können.

Was muss noch erzählt werden? Dass Hübotter Konkret gegründet hat: 1955 brachte er das berüchtigte Polit-Magazin an der Universität Hamburg als Studentenkurier auf den Markt, unterstützt durch eine vom damaligen FDJ-Vorsitzenden Honecker persönlich abgesegnete Geldspritze. Da gegen Hübotter ermittelt wurde, blieb er bei der Redaktionsarbeit incognito: „Ich brauchte ein paar Strohköpfe, die auch schreiben konnten.“ Das waren dann Peter Rühmkorf und Klaus Rainer Röhl. Während Hübotter in U-Haft saß, wurde er von Röhl ausgebootet – 20 Jahre später aber übernahm Hübotter den Konkurs gegangenen Konkret-Verlag wieder und hält bis heute die Namensrechte. Dass er mit Hermann L. Gremliza, dem heutigen Herausgeber, schwer über Kreuz liegt, ist wiederum bezeichnend: Gremliza hat sich für die US-Intervention im Irak stark gemacht – eine für Hübotter völlig inakzeptable Position. Sie trennt ihn auch von seinem alten Freund Wolf Biermann – mit den anderen „kommunistischen Sängerknaben“, so Hübotter über Degenhardt und Wada, ist der Kontakt hingegen eng. Deren weibliches Gegenstück, Gisela May, will dem schillernden Goetheverehrer nun einen Kulturpreis vermachen. Der Mann zieht so was unwiderstehlich an.