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Die Zukunft ist unvergänglich

Mbuji-Mayi: Zaires boomende Diamantenmetropole kommt ganz ohne Staat aus. Hier scheint das bessere Leben zum Greifen nahe  ■ Aus Mbuji-Mayi François Misser

Mitten in der entlegenen Savanne von Zaires Provinz Ost-Kasai liegt eine kaum bekannte Millionenstadt: Mbuji-Mayi. Noch vor zehn Jahren zählte der Ort einige hunderttausend Menschen. Heute ist er mit 1,5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Zaires. An schattigen, zum Teil geteerten Alleen im Zentrum finden sich guterhaltene Häuser, in denen Strom- und Wasserversorgung funktionieren: Relikte aus der Zeit, in der dies ein kleiner Provinzort war. Als Metropole ist Mbuji-Mayi nun umgeben von immensen Ausdehnungen improvisierter Baracken und Häuser. Morgens kommen die Frauen aus den Slums mit leeren Wasserkanistern auf dem Kopf ins Stadtzentrum, um in den Gärten der komfortableren Häuser Wasser zu holen.

Mbuji-Mayi ist heute einer der wenigen sicheren Orte in Zaire: Vor einigen Monaten sammelten örtliche Händler junge Männer der Stadt in Milizen. Die stellten sich der Armee entgegen, die daraufhin ihre regelmäßigen nächtlichen Plünderungsfeldzüge einstellte.

Das Sagen hat in Mbuji-Mayi keine Provinzregierung, obwohl es eine gibt. Die Macht liegt vielmehr bei der örtlichen Minengesellschaft MIBA („Minière de Bakwanga“), deren Diamantenkonzessionen sich über 71.000 Quadratkilometer erstrecken – zwei Fünftel des Territoriums der Provinz Ost-Kasai. Die MIBA, die auf dem Papier zu 80 Prozent dem zairischen Staat gehört und zu 20 Prozent der belgischen Firma Sibeka, ist ein Staat im Staate. MIBA-Präsident Lonas Mukamba, wie die meisten Kasaier Angehöriger des Luba-Volkes, ist Herr über 5.000 Angestellte, die – anders als in Zaire üblich – regelmäßig bezahlt werden, und zwar sogar in bar. Dazu bekommen sie Mais, getrockneten Fisch und jede Menge Dienstleistungen wie z.B. Gesundheitsversorgung.

Mukamba blickt optimistisch in die Zukunft. Erstmals hat seine Firma 1995 die Fördermarke von fünf Millionen Karat Diamanten überschritten. Mbuji-Mayi ist das neue wirtschaftliche Herz Zaires. Ein Viertel aller Industriediamanten auf der Welt kommen von hier.

Jahrzehntelang war Zaire von den Kupferminen in der Südprovinz Shaba abhängig. Nun hat der Niedergang der staatlichen Kupfergesellschaft „Gecamines“ der Diamantenförderung einen ungeahnten Aufschwung verschafft. Förderlich war da die 1992 begonnene Politik des Gouverneurs von Shaba, Kyungu wa Kumwanza, alle Kasaier aus Shaba auszuweisen. Eine Million Menschen wurden insgesamt deportiert, Tausende gutausgebildete leitende Angestellte und Techniker verließen Shabas Kupferminen und gingen in ihre „heimatlichen“ Diamantengebiete um Mbuji- Mayi zurück. Im April 1995 wurde Kyungu zwar seines Amtes enthoben, die gegen Kasai verhängte Grenzblockade aufgehoben – aber es war zu spät. Nun sind die Kupferminen verfallen, der Diamantenabbau boomt.

Seine eigenen Wege ging Ost- Kasai bereits 1990, als Zaires politische Krise sich im Zuge der Abschaffung des Einparteiensystems vertiefte und die auswärtigen Geldgeber sich aus dem Land zurückzogen. Auf Initiative des MIBA-Chefs Mukamba bildete sich eine „Konferenz für die wirtschaftliche Entwicklung Ost-Kasais“ (Codekor), an deren erster Sitzung 700 Menschen teilnahmen. Daraus ging die Gründung der Universität von Mbuji-Mayi hervor. Die rein private Hochschule ist heute die einzige funktionierende Universität in ganz Zaire, mit 1.100 Studenten und Luxuseinrichtungen wie Bibliothek und Computer. Das Gelände stiftete Tharcisse Tshibangu, Bischof von Mbuji-Mayi. Die MIBA ist mittlerweile aktiver als jede staatliche Behörde. Sie repariert Straßen und ist Partner von regierungsunabhängigen Organisationen. 1992 kaufte die MIBA eine Boeing und gründete ein Agrarunternehmen, während andere örtliche Unternehmer die private Fluggesellschaft „Wetrafa“ ins Leben riefen, um die Blockade der Landgrenze nach Shaba zu umgehen.

Für diese Art von Dynamik haben die Luba, die den Großteil der Bevölkerung von Ost-Kasai stellen, zwei Erklärungen: Das Luba- Volk sei solidarisch, es folge dem Prinzip der dikelemba, also der Unterordnung des einzelnen unter die Interessen der Allgemeinheit. Zweitens sei in der Luba-Tradition der politische Pluralismus fest verankert. Es sei Brauch, daß auf den jeweiligen Machthaber der luaba folge, also der jeweilige Oppositionsführer. So würde hier mehr als anderswo in Zaire die Meinungsfreiheit respektiert.

MIBA-Chef Mukamba hat sein Amt seit 1986 inne, wurde von der Diktator Mobutu ernannt und ist bis heute Mitglied der einstigen Staatspartei MPR. Doch vor allem ist er Luba – und so nennt er sich sowohl „Freund“ Mobutus wie auch „Bruder“ des von Mobutu gehaßten Oppositionschefs Etienne Tshisekedi, der von hier stammt und in Mbuji-Mayi immense Popularität genießt. Mukamba, Tshisekedi und Bischof Tshibangu – sie haben Mbuji-Mayi gerettet und gelten heute als Helden, obwohl sie zu verschiedenen politischen „Familien“ gehören. „Es ist eine Strategie“, sagt ein kasaischer Intellektueller. „Es ist nicht gut, nur auf einen zu setzen.“

Die meisten ihrer Diamanten holt sich die MIBA aus einem etwa fünf Quadratkilometer großen Gelände unweit von Mbuji-Mayi. Wie gigantische Krater muten aus der Luft die fünf riesigen Gruben an, wo im Tagebau mit modernen Maschinen die Diamanten gefördert werden. Mitten in dem riesigen Gelände, „Polygon“ genannt, befindet sich das hermetisch abgesicherte Gebäude, wo die Diamanten geprüft, geschätzt und verkauft werden. Im Büro steht neben dem schwarzen Bewacher von der MIBA noch ein weißer Wachmann – Mitarbeiter einer privaten britischen Sicherheitsfirma. Verkauft werden die Diamanten von MIBA einzig und allein an die Firma „Britmond“, eine Filiale der südafrikanischen De Beers, die sie dann auf dem Weltmarkt veräußert.

Die Diamantenförderung geht nicht ohne Probleme ab. In den riesigen Kratern arbeiten nicht nur die MIBA-Maschinen, sondern auch zahlreiche illegale Schürfer. Sie gehen in Gruppen von etwa 20 Leuten vor, graben mit bloßen Händen und stellen einen Aufpasser ab. Sobald der ein MIBA-Fahrzeug sieht, pfeift er – dann rennen alle davon. Oft sind die Illegalen nicht schnell genug und werden von der „Minenbrigade“ verhaftet – eine Sonderkompanie des Militärs in ockerfarbenen Uniformen, deren Mitglieder formell zur zairischen Armee gehören, aber tatsächlich von der MIBA bezahlt und beauftragt sind. Den Verhafteten werden die Oberarme äußerst schmerzhaft hinter dem Rücken gefesselt, und dann werden sie weggefahren. Gegen Zahlung einer Geldbuße läßt man sie irgendwo laufen.

Viele „Illegale“, zumeist einfache Bewohner der Gegend, schürfen in anderen Gebieten außerhalb des MIBA-Polygons, wo sie weniger gestört werden. Sie verkaufen dann ihre Funde den libanesischen Händlern, die in den Straßen von Mbuji-Mayi ihre Büros haben. Diese Eigenförderung ist aus anderen Gründen risikoreich: Oft fallen die selbstgegrabenen Gruben in sich zusammen, wenn die Schürfer sich darin befinden.

Die Dollars, mit denen Britmond die Diamanten der MIBA bezahlt, werden in Mbuji-Mayi umgetauscht in eine Währung, die andernorts in Zaire gar nicht gültig ist: Der „alte Zaire“, den Mobutu 1993 als Teil seines Machtkampfes mit dem Oppositionsführer Tshisekedi aus dem Verkehr ziehen und durch einen eigenen, von ihm allein kontrollierten „neuen Zaire“ ersetzen ließ. Tshisekedi forderte damals zum Boykott des „neuen Zaire“ auf – Mbuji-Mayi folgte ihm. So gilt nach wie vor die frühere Landeswährung.

Das hat Vorteile. Seit 1993 sind hier die Lebensmittelpreise stabil, während der Rest Zaires aufgrund der Überschwemmung der Märkte mit dem Mobutu-Geld eine Hyperinflation erlitten hat. Zum Zeitpunkt des Währungswechsels war ein US-Dollar drei Millionen „alte Zaire“ wert. In Mbuji-Mayi ist seitdem der Wert der alten Landeswährung gestiegen – ein Dollar kostete Anfang 1996 „nur“ noch 1,7 Millionen Zaire. Die neue Mobutu-Währung dagegen hat allein in den letzten acht Monaten 80 Prozent ihres Wertes verloren. Es lohnt sich, in Ost-Kasai zu leben.

Mukamba und Tshibangu haben für ihre Provinz große Ambitionen. In einigen Jahrzehnten werden die Diamantenvorräte erschöpft sein – so suchen sie schon jetzt Kapital, um die Kapazitäten des örtlichen Wasserkraftwerkes LubilanjiII zu verdoppeln. Dann könnte nämlich Industrie angesiedelt werden. Einer deutschen Delegation in Kinshasa legte die Codekor kürzlich eine Projektliste vor: eine Geflügelfarm, ein Zement- und ein Ziegelwerk und der Bau einer „Codekor City“, um die Vertriebenen aus Shaba aufzunehmen. Die Codekor hat MIBA-Funktionäre, aus Katanga ausgewiesene Ingenieure und das bischöfliche Entwicklungsbüro zusammengebracht, um weitere Projekte zu überlegen. Im Vorgriff auf eine mögliche Föderalisierung Zaires sieht sich dieser Brain-Trust von Ost-Kasai bereits als Planungsministerium einer künftigen Regierung – eines fernen Tages, wenn es wieder lohnt, eine Regierung zu haben.

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