: Bonn gegen das gottlose Brandenburg
Der Streit um das Lehrfach „Lebensgestaltung – Ethik – Religionen“ geht weiter: Jetzt wollen die Fraktionen von CDU/CSU und FDP im Bundestag eine Änderung des Gesetzes ■ Von Karin Flothmann
Der offizielle Religionsunterricht an staatlichen Schulen ist längst „ein Fossil aus alten Zeiten“, meint Martin Kutscha. In einer Zeit, in der die Gesellschaft auseinanderdriftet, so der Berliner Juraprofessor unlängst, könne ein Schulfach, wie das in Brandenburg erprobte LER, Jugendlichen eher Orientierung vermitteln als ein konfessionell gebundenes Fach.
Brandenburgs SPD-Regierung sieht das genauso. In einem Land, in dem mehr als 80 Prozent der Bevölkerung keiner Religionsgemeinschaft angehören, sollte ein Schulfach kreiert werden, in dem Lebensorientierung, Toleranz und die Achtung vor anderen Religionen eingeübt werden können. Drei Jahre lang wurde das konfessionsfreie Unterrichtsfach „Lebensgestaltung – Ethik – Religionen“, kurz LER, an mehr als 40 Brandenburger Schulen getestet. Ab dem Schuljahr 1996/97 soll LER in Brandenburg nun als Pflichtfach für alle SchülerInnen der Klassen 5 bis 10 eingeführt werden.
Religionsunterricht, so sieht es der Entwurf des Brandenburger Schulgesetzes vor, soll nur freiwillig stattfinden und wäre somit kein ordentliches Schulfach. Ende März liegt das Gesetz dem Potsdamer Landtag zur Abstimmung vor; und die Chancen für LER stehen gut. Denn die SPD-Fraktion, die im Landtag die absolute Mehrheit hat, steht hinter dem Religionsersatz.
Je näher der Abstimmungstermin rückt, desto massiver werden allerdings auch die Proteste der LER-Gegner. Nachdem die evangelische Kirche schon im letzten Jahr mit einer Verfassungsklage drohte, wenn LER zum Pflichtfach wird, verkündete Anfang Januar auch die Bundestagsfraktion von CDU und CSU, sie werde in diesem Fall eine Normenkontrollklage in Karlsruhe einlegen. Heute werden sich nun sogar die Bundestagsabgeordneten mit dem gottlosen Brandenburg auseinandersetzen müssen. „Der deutsche Bundestag“, so heißt es in einem Antrag der drei Regierungsfraktionen, „betrachtet mit Sorge die Diskussion um den brandenburgischen Schulgesetzentwurf und sieht sich in seinem dem Föderalismus verbundenen länderfreundlichen Verhalten durch ein bundesunfreundliches Verhalten des Landes Brandenburg beeinträchtigt.“
Verstößt das Fach gegen das Grundgesetz?
Die Potsdamer Abgeordneten sollen außerdem dazu aufgefordert werden, den Gesetzentwurf nicht in der geplanten Version zu verabschieden oder ihn zumindest „dahingehend abzuändern, daß der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen als ordentliches Lehrfach angeboten wird“. Führt Brandenburg ein konfessionsfreies Fach wie LER ein und läßt die Kirchen außen vor, so die Argumentation, dann verstoße dies gegen das Grundgesetz. Denn im Artikel 7 Absatz 3 der Verfassung heißt es: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach.“ Zudem sei der Staat „aufgrund seiner Verpflichtung zur weltanschaulichen Neutralität in der Schule“ auf eine Kooperation mit den Kirchen angewiesen.
„Je unchristlicher die Politik der Regierung wird, umso mehr versucht sie mit staatlichen Zwangsmaßnahmen christliche Symbolik durchzusetzen“, kommentiert Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen, diesen Antrag der Regierungsfraktionen. Die Grünen wollen heute mit einem eigenen Antrag kontern. Sie fordern die Abgeordneten des Bundestags auf, den Verfassungsverstoß gegen das Land Brandenburg als „haltlos“ zurückzuweisen und LER als einen „wertvollen Beitrag zur Debatte um die Wertorientierung für Kinder und Jugendliche“ zu würdigen.
Ob Brandenburg mit der Einführung eines Pflichtfaches LER tatsächlich gegen die Verfassung verstoßen würde, steht dahin. Immerhin verfügt das Grundgesetz auch über den Artikel 141, die sogenannte Bremer Klausel. Danach findet Artikel 7 Absatz 3 der Verfassung keine Anwendung in einem Land, in dem am 1. Januar 1949 hinsichtlich des schulischen Religionsunterrichts eine andere Gesetzgebung galt. In Westberlin und Bremen war dies 1949 der Fall. Verfassungsrechtler vertreten allerdings unterschiedliche Auffassungen, wenn es darum geht, ob die „Bremer Klausel“ auch für die neuen Bundesländer gilt. Der Tübinger Jurist Martin Heckel etwa hält sie für „längst obsolet“. Bei einer Anhörung des Landtagsausschusses für Bildung erklärte er, es wäre „eine Sinnverstellung“, die Klausel heute als Absicherung und Fortsetzung „der religionsfeindlichen Maßnahmen des kommunistischen Systems“ zu benutzen. Der Verfassungsrechtler Gerhard Czermak hält das Schulgesetz hingegen für unbedenklich. LER ist seiner Meinung nach der erste ernsthafte Versuch, ethische Fragen neutral zu klären.
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