: Sex trotz Liebe
Liebesarchive, Liebesgeschichten, Affärenschlamassel: In den demnächst erscheinenden Romanen und Erzählungen geht es auffällig oft um Gefühle. Ein Überblick über die literarische Frühjahrssaison
VON DIRK KNIPPHALS
Endlich Schnee vorm Fenster, aber in den Verlagskatalogen ist natürlich längst schon Frühling – und wie! Nun gut, dass auch Hermann Hesse noch mit einem Band voller Liebesgeschichten präsentiert werden wird, ist wohl Zufall. Aber selbst das passt eben ins Bild. Der Suhrkamp Verlag hat 29 meist frühere Erzählungen unter dem Rubrum der Liebe zusammengefasst, Erscheinungstermin ist im März – und damit liegt der Verlag mal voll im Trend. Liebe, wohin man auch guckt in den Verlagsankündigungen. Und den programmatischen Romantitel bekommt man gleich mitgeliefert. „Von Liebe sprechen“ heißt das Romandebüt der in New York lebenden Französin Céline Curiol (Piper Verlag, 27. Februar). An diese Maxime scheint sich die ganze Buchbranche halten zu wollen.
Wer sich durch die Frühjahrskataloge der Verlage wühlt, wie das derzeit in allen größeren Literaturredaktionen getan wird, erhält einen ziemlich guten Eindruck davon, in wie vielen verschiedenen Sprechweisen die Liebe umspielt werden kann. „Sie tut scheinbar nichts, um zu verführen, und genau das ist es, dem auch er irgendwann nicht mehr widerstehen kann“, heißt es durchaus zart im Piper-Katalog über die Hauptfiguren in Céline Curiols Roman. Blättert man nur einmal um, wird man sogleich mit der Frage konfrontiert: „Gefällt einem Sex auch, wenn man dafür bezahlt?“ Der Berliner Schriftsteller Thomas Brussig hat höchstselbst im Prostitutionsmilieu recherchiert und legt seine literarischen Erkenntnisse unter dem Titel „Berliner Orgie“ am 16. März vor. Von zart bis hart reicht also die Spannbreite der Katalogsprache. Nur dass mindestens eines der Signalwörter „Hoffnung“, „Verlangen“, „Leidenschaft“ oder „Sehnsucht“ in dem jeweiligen Katalogtext enthalten ist, dessen darf man gewiss sein.
Nun gibt es Romane über die Liebe ja schon länger. Aber so massiert und so prominent präsentiert wie in diesem Frühjahr wohl kaum. Sigrid Behrens beschreibt „Diskrete Momente“ bei Hanser (3. Februar). Keto von Waberer beobachtet „Umarmungen“ im Berlin Verlag (23. Februar). Jonathem Lethem behauptet schon mal „Du liebst mich nicht“ im Tropen Verlag (Mai). Nicolas Fargues meint bei Rowohlt „Nicht so schlimm“, beschreibt dann aber doch ein ziemliches Affärenschlamassel. Arnold Stadlers neuer Roman „Komm, wir gehen“ trägt ausdrücklich den Untertitel „Eine Liebesgeschichte“ (Fischer Verlag, 25. Mai). „Unter Paaren“ heißt der als Beziehungsdrama angekündigte Spitzentitel von Thomas Lang im Beck-Verlag. Und auf dem Cover der Autorin Annette Mingels prangt unterm Titel „Romantiker“, als ob es nötig wäre, der Zweittitel „Geschichten von der Liebe“ (Dumont Verlag, 1. März).
Was ist da passiert? Wäre man gehässig, könnte man feststellen, dass sich der Buchmarkt derzeit alle Mühe gibt, mit dem Diskursstand der hochwertigen Frauenzeitschriften mitzuhalten. Liebesprobleme, Paarprobleme, Sexprobleme, Beziehungsprobleme, wohin man in diesen Hochglanzmagazinen auch schaut. Offenbar braucht das alltägliche Liebesleben ein ständiges Coaching und Selbsttherapieren vom Bereich der Medien aus – vom cleveren Seitensprung bis zur Frage, wie man guten Sex trotz langjähriger Liebe aufrechterhält. Der Buchmarkt scheint nun endgültig daran partizipieren zu wollen.
Etwas weniger gehässig kann man feststellen, dass gegenwärtig auch gesellschaftlich viel über Familie und Paarbeziehungen diskutiert wird. Dass Menschen sich verlieben: immer noch eine Selbstverständlichkeit. Aber schon in den Fragen, wie das geschieht und was daraus folgt, ist nichts mehr klar. Es hat sich ein weiter Bereich der Möglichkeiten aufgetan, der nun durch Geschichten und Romane ausgefüllt werden muss.
„Easter Parade“, der im Februar auf Deutsch erscheinende Roman des 1992 gestorbenen US-amerikanischen Erzählers Richard Yates, Spitzentitel bei DVA, misst dieses Feld der Möglichkeiten ganz aus. Erzählt wird die Geschichte zweier Schwestern. Die eine heiratet früh und wird Hausfrau und Mutter, die andere macht Karriere und stürzt sich in Affären. Glücklich werden sie beide nicht. Die Unruhe, dass man sich in Liebesdingen entscheiden muss und dabei grundfalsch entscheiden kann (und vielleicht nie ganz richtig), ist also in das Thema eingebaut. Im Alltag Quell vieler Selbstzweifel, ist das für Erzähler ein dankbarer Bereich.
Es gibt aber auch eine literarische Unruhe, die sich in den Verlagskatalogen abbildet. Sie besteht in der Frage, wie man neu, frisch, heutig über die Liebe schreiben kann, ohne in ausgetretene Pfade zu rutschen. Der hochgelobte junge Romancier Henning Ahrens versucht es in dem Roman „Tiertage“ (Fischer Verlag, 21. März) durch Tragikomik und Verfremdung. Eine Dorfgeschichte um Verführungen und Verfehlungen kontrastiert er mit sprechenden Tieren und rückt sie ganz bewusst in einen Märchenbereich „hinter die sieben Berge“ (Verlagskatalog). Maxim Biller versucht es auf andere Weise. Sein Shortstorys-Band „Liebe heute“ (Kiepenheuer & Witsch, auch 21. März) versucht ein Panorama heutiger Liebeleien in der Großstadt, ein lakonischer Reigen der Gefühle.
Interessant an diesem Bücherfrühling wird es sein zu verfolgen, wie sich klassische und neue Liebesdramaturgien mischen. Und manchmal darf es auch eine rein klassische Dramaturgie sein. Der Schweizer Autor Urs Faes etwa betreibt in seinem gerade bei Suhrkamp erscheinenden Roman „Das Liebesarchiv“ eine literarische Spurensuche: Die Zeugnisse einer sehr ernsthaften Affäre von vor 50 Jahren tauchen wieder auf und erzählen eine Geschichte – Briefe, Fotos, Liebeszeichen.
Ob die Bücher den literarischen Stand halten, den es in Sachen Ernsthaftigkeit und Unerschrockenheit schon einmal in der Beschreibung von Beziehungsproblemen gab, wird man sehen. John Updikes früher Roman „Ehepaare“ aus dem Jahr 1968 kann da als Maßstab gelten. Eine Updike-Biografie ist auch angekündigt, der Literaturkritiker Volker Hage sitzt daran für den Rowohlt-Verlag. Man entkommt dem Thema in diesem Frühjahr wirklich nicht.
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