piwik no script img

33 jahre alte helden etc.Der Regisseur und der Radfahrer

Ein 33 Jahre junger Deutscher gewinnt mit seinem ersten Spielfilm einen der wichtigsten Filmpreise der Welt und steht damit am Beginn einer großen Karriere. Wenige Stunden später erklärt ein ebenfalls 33 Jahre alter Deutscher das unrühmliche Ende seiner Laufbahn, die er aufgrund massiver Betrugsvorwürfe nicht fortsetzen kann. Regisseur der eine, Profiradfahrer der andere, haben die beiden auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Unterschiedlicher könnten ihre Biografien nicht sein, und doch kreuzen sie sich in diesen Tagen an einem historischen Schnittpunkt. Abgelöst von ihren Branchen, kann man die Lebensläufe von Florian Henckel von Donnersmarck und Jan Ullrich vergleichend als Texte lesen, die Aufschluss über die Befindlichkeit der Gegenwart liefern: Das Leben von zwei Anderen.

„A man told me to beware of 33 / He said, ‚It was not an easy time for me‘“, singt Jarvis Cocker über das abendländisch-mythische Lebensalter von 33 Jahren, in dem man um eine Positionsbestimmung nicht mehr herumkommt. Einerseits ist noch alles möglich; andererseits kann alles schon vorbei sein. Überblendet man die Biografien dieser beiden deutschen Helden, erkennt man, wie individuell Lebenswege und Realitäten sind und wohin das Talent einen führt. Henckel von Donnersmarck wirkt wie 53, Ullrich wie 13. Von der rigiden DDR-Sportförderung nahtlos ins nicht minder strenge kapitalistische Radsportsystem befördert, war Ullrichs Karriere von Fremdbestimmung geprägt: Noch immer ist er gefangen vom mephistophelischen Pakt der Leistungssteigerung und spricht kein ehrliches Wort aus. Ganz anders das Orson-Welles-hafte Auftreten Henckel von Donnersmarcks: Nachdem sich dieser Eulenspiegel in seiner Jugend ausprobiert hat, ist er von den eigenen Streichen so überzeugt, dass er ein konstantes selbstsicheres Lachen nicht unterdrückt.

Erstaunlicherweise wirkt Ullrichs und Henckel von Donnersmarcks zeitgleiches Passieren biografischer Wendemarken wie der Kanon einer Erfolgsdramaturgie: Denn schließlich war auch Ullrich mal ein Henckel von Donnersmarck, und zwar vor zehn Jahren, als er die Tour de France gewann. Ohne diesen Sieg wäre er trotz aller Begabung heute nichts, ein Mensch ist nämlich für die Mediengesellschaft nur bedeutsam, wenn er auf Platz 1 steht. Henckel von Donnersmarcks Film wird durch den Oscar ja nicht nachträglich besser, hat aber ein offizielles Gütesiegel erhalten. Solche Ruhmes- und Niedergangsgeschichten sind symptomatisch für die vom Erfolg besessene Gesellschaft: Der Glanz, der Henckel von Donnersmarck nun strahlen lässt, ist derselbe, der Jan Ullrich ins Unglück lockte. CHRISTIAN KORTMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen