: Kuratoren, die zu viel wollen
Verwirrspiele mit Identitäten, Lacan und der „productivity of our drive“: In der Ausstellung „zwischen zwei toden – between two deaths“ des ZKM Karlsruhe versucht die Theorie, die Kunst zu beherrschen
VON GEORG PATZER
Ein langer schmaler Gang führt die Treppe hinauf. Die Seitenwände aus weißen Holzlatten werden immer enger, immer schiefer neigen sie sich, bis man sich nur noch gebückt und verdreht nach oben schieben kann. Immer krummer windet sich der Körper, immer mehr verliert er die Orientierung, immer beengender, beängstigender wird es. Und die Töne, die durch den Tunnel schallen, scheinen ins Bodenlose zu fallen. Sie verstärken das beklemmende Gefühl, dass man gleichzeitig schwebt und stürzt.
Mit dieser faszinierenden Installation wirft uns die junge isländische Künstlerin Elín Hansdóttir aus unserer normalen Welt. Im Karlsruher ZKM schickt sie uns eine der normalerweise freistehenden Treppen nach oben, in eine Welt, in der sich die Wahrnehmung verschiebt, in der man als gerade empfindet, was schräg ist, in der man den Halt verliert, in der alles verrückt ist.
In der Ausstellung „zwischen zwei toden – between two deaths“ gibt es viele solche Verrückungen. Martin Dammann etwa hat private deutsche Kriegsfotos gesammelt, auf denen Soldaten zu sehen sind, die bei einer Feier als Travestiefrauen posieren oder miteinander tanzen und so in ihre Männerwelt ein Stück Normalität hineininszenieren. Und dabei für einen Augenblick einen Teil ihrer männlichen Identität aufgeben.
Um Identitäten soll es in der neuen Ausstellung im ZKM gehen, um den Verlust der inneren wie äußeren Heimat, um Stagnation, Regression, Furcht, Unsicherheit, Lethargie oder Nostalgie. Antworten werden nicht gegeben: allenfalls Arbeiten wie Hansdóttirs sinnlich-philosophisches Verwirrspiel werfen kleine Schlaglichter. Viele der ausgestellten Werke kommen allerdings über eine Illustration des Themas nicht hinaus oder sind ihm nur sehr lose verbunden. So zeigt Marlene McCarty in einer riesigen Zeichnung eine Familie beim Baden. Es ist ein Taufakt, wie ihn die Baptisten öffentlich vollziehen. Betende Kinder sind zu sehen, Erwachsene, die sie zu unterstützen scheinen. Schnell sieht man, dass die Kleidung durchsichtig ist, man bemerkt, dass die Geschlechter erigiert sind, dass die christliche Idylle zur Gewaltszene wird und die Familie nicht mehr intakt ist. Vollends in ihr Gegenteil wird die schöne Familienszene verkehrt, wenn man erfährt, dass sich McCarty seit einiger Zeit mit Jugendlichen auseinandersetzt, die ihre Eltern getötet haben.
Hier liegt auch der Schwachpunkt der Ausstellung: Man muss schon einige Informationen mehr haben, als aus der wandfüllenden Zeichnung von McCarthy sichtlich ist, um ihre Position richtig verstehen zu können. Als Kunstwerk ist es, nach der ersten Verblüffung und dem ersten Aha-Erlebnis, kaum mehr als ein Gag. Ebenso Ryan Trecartins Müllrecylcingskulpturen. Aus gesammeltem Material baut er Figuren von einer oft verblüffenden Lebendigkeit und zeigt ein Video, in dem grell geschminkte und verkleidete Personen in einem Haus herumrennen, sich anschreien, die Einrichtung demolieren, die Wildnis der Welt im eigenen Heim zelebrieren. Das Heim, so seine Botschaft, hat als Heimat, als sicheres Nest, längst ausgedient, Müll wird zur Kunst und die Kunst wieder zu Müll. Angst, übersteigerte Emotionen, Wut und Aggression beherrschen die Welt.
Gegen eine solche Theorielastigkeit des Ausstellungskonzepts kommt die Kunst nicht an. Vor allem, wie in Ellen Blumensteins Einführungsessay im Katalog deutlich wird, nicht gegen die Thesen des Psychoanalytikers Jacques Lacan. Aus seinen Schriften stammt auch der Titel der Ausstellung „Zwischen zwei Toden“. Dass der Katalog ausschließlich in englischer Sprache verfasst ist, hilft bei der sowieso schon ziemlich esoterischen Lacan-Lektüre ebenso wenig wie bei Slavoj Žižek, der über Humanismus und Terror nachdenkt und dabei von Mao zu Husserl kommt und vom deutschen Idealismus zu Schwarzenegger. Tatsächlich gibt es noch nicht einmal ein kleines, einfach und billig zu produzierendes Beiheft mit Übersetzungen. Im Internet sind nur die Einführungen der Kuratoren Blumenstein und Felix Ensslin übersetzt. Ein anderes Beiheft allerdings gibt es, in ihm werden die einzelnen Arbeiten in je zwölf Zeilen auf Deutsch und Englisch vorgestellt. Natürlich reichen sie oft nicht aus, komplexere Ideen und Hintergründe zu erläutern. Etwa dass der Titel von Marlene McCartys Zeichnung vielleicht sogar eine Anspielung auf Lizzie Borden ist, die 1892 des Elternmords verdächtigt wurde; oder dass Mark Titchners Wandarbeit „And Now What Do You Want“ an eine Aktion des Yippie-Aktivisten Abbie Hoffman Ende der Sechziger in New York erinnern soll, als Hoffman an der Wall Street Dollarscheine nach unten warf: Die Broker, die normalerweise in Millionenbeträgen rechnen, unterbrachen ihre Arbeit, um nach den Scheinen zu haschen.
Am Ende stellt sich in der Ausstellung vor allem ein Gefühl der Verunsicherung ein. Der emotionale oder intellektuelle Zugang, den man immer wieder zu einzelnen Kunstwerken hat, reicht nicht aus, um einen Zusammenhang der Werke untereinander oder auch zum Thema zu stiften. Das liegt zum Teil an den oft sehr unverbindlichen Arbeiten selbst, vor allem liegt es aber an der mangelnden Vermittlung des kuratorischen Konzepts und der mangelhaften Erläuterung der einzelnen Exponate.
Bis 19. August, Katalog (Verlag Hatje Cantz) 29,80 €
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