: Drei Frauenleben
Großmutter, Schwiegertochter, Enkelin: Drei Generationen Frauen zwischen heimlichem und offenem Widerstand. Und vor der Frage: Was bleibt noch zu tun für die Sache der Frauen?
VON FRIEDERIKE GRÄFF
Sie haben sich in dem alten Kapitänshaus von Helga Schittek in Oevelgönne getroffen. Drei Frauen, drei Generationen: Helga Schittek, die Großmutter, ist 89, ihre Schwiegertochter Gudrun Schittek ist 50 und Marie, die Enkelin – und Nichte von Gudrun – ist 27 Jahre alt. Es ist schwer zu sagen, ob es eine gerade Entwicklungslinie von Helga über Gudrun zu Marie Schittek gibt. Von Inseln der Selbständigkeit über den Feminismus der 70er Jahre hin zur Selbstvergewisserung, wie viel von dem nun gesellschaftlich Möglichen man im eigenen Leben eigentlich umsetzen möchte. Man endet dann bei der Frage, was noch immer nicht möglich ist. Es gibt diese Linie und zugleich gibt es ein sowohl als auch, an dessen Ende Helga Schittek zu ihrer Enkelin sagt: „Solange Frauen und Männer nicht gleich bezahlt werden, kann man gar nicht von echter Emanzipation sprechen“.
Helga Schitteks Mutter ist früh gestorben, deshalb wuchs sie bei ihrem Vater und einer Empfangsdame in Hamburg auf. Der Vater war Besitzer von sieben Hutgeschäften, ein „Alleinherrscher“, so nennt ihn seine Tochter. Ein übervorsichtiger und strenger Vater, der das einzige Kind weder Rad fahren noch schwimmen und kaum einmal mit zu Schulausflügen lässt. Er hält nichts von ihrem Wunsch, auf die Kunstschule zu gehen, schließlich soll sie in das Hutgeschäft einsteigen. Doch dank der Fürsprache der Hausdame und der Zeichenlehrerin darf Helga Schittek zehn Semester die Kunstschule besuchen. Sie kennt keine Frau, die berufstätig ist und sie geht nicht so weit, anzunehmen, sie könne aus der Kunst einen Beruf machen. Als der Vater sie anschließend zur Lehre nach Leipzig und Berlin schickt, wehrt sie sich nicht. Die Hausdame kommt mit. „Leider“, sagt Helga Schittek.
Aber sie fügt sich nicht immer. Das Radfahren lernt sie heimlich auf dem Schulweg und als sie in einer Anzeige liest, dass eine Firma Fliesenmalerinnen sucht, beginnt sie ebenso heimlich zu arbeiten. Nicht wegen des Geldes, davon gibt es genug im Haus ihres Vaters, sondern weil die Firma sie dafür lobt, dass sie statt der ewigen Blumen Figuren auf die Fliesen malt.
Auf der Kunstschule hat sie einen jungen Maler kennengelernt, der kaum den Vorstellungen ihres Vaters entspricht: „Ein Künstler, entsetzlich, blass und er hielt sich schlecht“. Aber der Künstler ist beharrlich und der Vater erlaubt der Tochter, ihn bis zehn Uhr zu besuchen. Kehrt sie später zurück, bekommt sie eine Ohrfeige. „Auch mit 22 Jahren“. Aber sie setzt die Ehe durch. Helga Schittek bekommt drei Söhne, fürs Malen hat sie kaum noch Zeit. Im Haushalt tut ihr Ehemann nichts, das ist nicht üblich, und er schätzt es nicht, wenn er sie nicht zu Hause vorfindet.
Die Kunstschule erweist sich noch einmal als Quelle der Unabhängigkeit: Eine ehemalige Mitschülerin fragt Helga Schittek, ob sie Töpferkurse im „Haus der Jugend“ in St. Georg geben wolle. Helga Schittek will und wird mit 50 Jahren berufstätig. Ihr Mann sieht es nicht gern, aber er ist damit beschäftigt, sich selbständig zu machen, so dass er es hinnimmt. Helga Schittek macht ihre Sache so gut, dass man sie bittet, als Erzieherin zu arbeiten. Sie, die Tochter aus wohlhabendem Hause, trifft in St. Georg erstmals Menschen aus ganz anderen Verhältnissen, auf Prostituierte und Ausländer und auf Kinder, denen so etwas wie Töpfern völlig fremd ist. „Man selbst vergaß möglichst, woher man kam“, sagt sie und es klingt, als sei es eine angenehme Abwechslung gewesen.
Ihre Schwiegertochter, Gudrun Schittek, hat nicht gewartet. Sie ist früh weg gegangen aus einem Elternhaus, in dem sie Puppen und ihr Bruder Autos bekam, obwohl sie Puppen nicht mag. Ihr Vater, ein Musiker, ist technisch begabt und erklärt beiden Kindern, wie man Fahrräder repariert und das kommt ihr zupass, als sie sich ein Motorrad und dann ein Auto kauft, um unabhängig zu sein. Gudrun Schittek will nicht, dass ihr Mann später einmal ihr Gehalt einen Zusatzverdienst nennen wird, für das er mit seinen Steuern aufkommen müsse, so wie es ihr Vater tut. Die feministischen Autorinnen, die sie liest, fordern eine gerechtere Welt für Frauen und Gudrun Schittek glaubt, als Frauenärztin daran mitarbeiten zu können. „Paragraph 218 oder eine natürliche Geburt, bei der nicht der Arzt alles macht: Was heute selbstverständlich ist, gab es damals nicht“, sagt sie. „Die Frauen wurden richtig schlecht behandelt“.
Es ist schon lange nicht mehr exotisch, dass sie als Frau Ärztin wird, aber die Gynäkologie ist noch weitgehend ein Männerfach. Auf der gynäkologischen Station der Klinik, an der Gudrun Schittek ihren Facharzt macht, gibt es bereits drei Frauen. Der Chefarzt ist Assistenzärztinnen gewöhnt, nur beim Oberarzt hat sie das Gefühl, bei der Verteilung der Operationen zu kurz zu kommen. Beim ersten Sohn bleibt ihr Mann ein halbes Jahr zu Hause, dann setzt sie ein halbes Jahr aus. Er wäre auch ganz zu Hause geblieben, aber das möchte sie nicht: „Ich will schließlich auch etwas von den Kindern haben“. Beim zweiten Kind setzt sie kurz aus, danach behelfen sie sich mit Au-Pair Mädchen. Es fällt ihr schwer, die Kinder morgens zu verlassen, aber sobald sie in der Klinik ist, macht ihr die Arbeit Spaß.
Heute erlebt sie es immer öfter, dass ihre Patienten in der Klinik ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt bringen, nicht länger auf die natürliche Art, für die sie kämpfen wollte. Es ist für die Krankenhäuser finanziell vorteilhaft und einige der Frauen haben Angst mit ausgeleiertem Beckenboden sexungeeignet zu sein. Sie haben wieder Angst und das macht Gudrun Schittek zornig, so wie sie Unselbständigkeit der verschleierten Patientinnen zornig macht, für die der Ehemann, der sie aus dem Ausland hat kommen lassen, dolmetscht.
Als Marie Schittek ein Grundschulkind ist, gibt es keine anderen Väter, die als Hausmann zu Hause bleiben. „Mein Papa ist Zahntechniker“, sagt sie lange Zeit. Und bei den Elternabenden ist es ihr, zumindest in der Pubertät, wichtig, dass ihre Mutter mitkommt. Die ist Lehrerin und abends viel unterwegs und manchmal hätte sich Marie gewünscht, mehr von ihr zu haben. Später ist sie stolz auf den Vater. Als sie beginnt, Jura zu studieren, will sie vor allem Karriere machen, mittlerweile denkt sie über Kinder nach. Am einfachsten wäre das im Staatsdienst, aber sie glaubt nicht mehr, dass Jura zwangsläufig etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat. Sie kann sich eher eine Arbeit bei den NGOs vorstellen. Es ist keine Frage für sie, dass sie berufstätig bleiben möchte. Statt dessen fragt sie sich, warum sie noch immer von Vorstellungsgesprächen hört, in denen die Kindergefahr abgeklopft wird. Und warum Männer noch immer mehr verdienen, so dass es nahe liegt, dass die Frau zu Hause bleibt.