Farben für Bad Gastein

KUNST Bad Gastein in der Nähe von Salzburg war einst ein mondäner Kurort. Jetzt erfindet sich die Stadt neu als Ort der Kunst

VON BRIGITTE WERNEBURG

Am Anfang war das heilsame heiße Wasser. Deswegen kamen Könige und Kaiser. Dann kam der Wintersport und mit ihm der internationale Jetset. Heute kommen Künstler und Sammler. Schuld an Letzterem ist Andrea von Goetz und Schwanenfliess, auch eine Sammlerin. Sie fördert die Kunst, wo sie kann, und sie besitzt ein Haus in Bad Gastein. Vor vier Jahren warb sie in der Gemeinde dafür, das historische Wasserkraftwerk am Ende des grandiosen 250 Meter hohen Wasserfalls im Zentrum des Kurorts der Kunst zur Verfügung zu stellen.

Das Gebäude mit seinen schönen Anklängen an den Jugendstil ist 1914 von Leopold Führer entworfen worden, einem Schüler des Wiener Architekten Otto Wagner. Die Turbinenhalle ist ohnehin ein Technikmuseum, die Wohnungen für die Angestellten konnten ohne viel Aufwand renoviert werden. Sie bieten nun Platz für Ateliers und einen Ausstellungsraum.

Die Kurdirektorin Doris Höhenwarter war von Anfang an begeistert, und auch die Hoteliers des „Regina“ und des „Miramonte“ erkannten die werbewirksame Chance, Künstlern kostenfreies Logis anzubieten. So entstand das internationale Artist-in-Residence-Programm von Bad Gastein, genannt „sommer.frische.kunst“.

Die Stipendien werden von einer Jury vergeben. In diesem, nunmehr vierten Jahr war sie besetzt mit den Journalisten Heiko Klaas und Nicole Büsing, der Kuratorin Valeria Schulte-Fischedick, dem Sammler Rik Reinking und der Direktorin des Hamburger Kunstvereins Bettina Steinbrügge. Acht Künstler aus Deutschland, Österreich, Japan und dem Libanon sind eingeladen worden, ausgerechnet hier zu arbeiten, in der verblassenden Welt eines einst mondänen Kurorts.

Zum Abschlusswochenende des Programms mit der Eröffnung der Gruppenausstellung aller Stipendiaten reisten dann auch die Sammler, Journalisten und anderen Kunstfreunde an. Die Ausstellung selbst läuft noch bis Oktober. Es lohnt sich, sie anzuschauen. Man steht im Wasserkraftwerk und sieht den Film „A Tragic Tale of Water, Fire and Radon“, den das deutsch-libanesische Künstlerpaar Franziska Pierwoss und Siska auf Filmmaterial gedreht haben, dessen Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen ist. Durch die daraus herrührenden Verfremdungseffekte und Farbveränderungen entsteht eine geheimnisvoll-melancholische Szenerie des Verfalls.

Draußen im Ort ist Ähnliches zu beobachten. Das 1791 bis 1794 von Hieronymus Graf Coloredo erbaute Badeschloss verfällt ebenso wie das wuchtige Kongresszentrum, das Gerhard Garstenauer 1968 bis 1974 ins Zentrum des Ortes hineinbetonierte. Neben den riesigen acht- bis zehnstöckigen Hotelpalästen aus der Belle Époque prägt es heute das Bild von Bad Gastein. Durch seine getönten Fenster kann man ehemals ultramoderne Designermöbel im Staub versinken sehen.

Zufällig ist der Gleichklang natürlich nicht. Denn dass sich die eingeladenen Künstler durch den Ort inspirieren lassen, ist gewünscht. Die Hamburgerin Susanne Stroh kam darauf, sich mit dem österreichischen Nationaldichter Franz Grillparzer auseinanderzusetzen, der zwischen 1818 und 1831 mehrmals in Gastein kurte. Stroh kodiert in ihrem Werk Schriften, Spiele und Übersetzungen neu. Worte können dann bestimmte Linien oder auch Steine werden. So wie nun diese einzelnen in den aufgesammelten Stein geschlagenen Worte ein Naturgedicht von Grillparzer ergeben, so werden die Dinge auf den Fotografien, die Stephan Panhans unter dem Titel „Untitled (props Gastein)“ in seinem Atelierraum zeigt, sich in nächster Zeit zu einem dieser besonderen Videofilme fügen, für die der Berliner bekannt ist. Auch die elf Minuten lange Erkundung eines im nächtlichen Kurort geparkten SUVs zeichnet aus, dass noch das unscheinbarste Requisit und die minimalste Geste bedeutungsvoll sind.

Die Abstraktionen von Nick Oberthaler, Dirk Meinzer und Michael Conrads lassen sich natürlich nicht so einfach dem Ort zurechnen. Mit ihnen kommen schon ausgereifte Positionen ins Spiel. Und doch wird der Ort auch für sie wichtig, etwa wenn Michael Conrads seine fertigen Rautenbilder am Ende übermalt, mit rechteckigen Farbfeldern, die an Mark Rothko gemahnen, oder auch die Flaggenbilder des frühen amerikanischen Abstrakten, Marsden Harley.

Gastein wolle „ein Impuls“ sein, sagt Andrea von Goetz. Bei manchen zündet er schnell wie bei Conrads, der mit einer ganzen Serie von Arbeiten aufwarten kann. Bei anderen muss die Anregung erst noch keimen wie bei der japanischen Künstlerin Aiko Tezuka, deren dekonstruierten Stickbildern und sinnfälligen Trachtenschürzen-Montagen noch ein bisschen das Moment des Recherchematerials anhaftet.

Vier Wochen sind nicht viel Zeit, das Erlebnis eines so komplexen Ortes zu verarbeiten. Aber Bad Gastein scheint sich neu erfinden zu wollen. Der vielleicht wichtigste Beitrag dazu brauchte denn auch sechs Jahre. So lange arbeitete der Youtube-Star Friedrich Lichtenstein an seinem Konzeptalbum „Bad Gastein“ mit den ebenso zutreffenden wie verrückten Kurbad-Chansons, die er Ende Juli im großartig dahindämmernden „Grand Hotel d’Europe“ vor den im Hintergrund lässig federnden Elektro-Beats vortrug.

■ Bis 24. Oktober, Bad Gastein, www.sommerfrischekunst.de