Zwölf Singles mit Kleber und Schere

SPEEDDATING Die neueste Variante der schnellen Partnersuche kommt aus dem Neuköllner Wostel: Erst wird im Sechsminutentakt zu zweit geredet, dann in der großen Gruppe an einem runden Tisch gebastelt

Mir gegenüber sitzt nun eine sympathische Französin und wartet auf die Eröffnung des Dialogs

VON MAX BÜCH

„Einmal im Leben sollte man so was gemacht haben.“ Nicht vom Häuserbau ist die Rede, auch nicht von Fallschirmspringen oder der Besteigung eines Berggipfels. Alles Firlefanz! Die Dame, die an einem der kleinen Holztische im Neuköllner Wostel sitzt, bezieht sich auf Verwegeneres, das mehr Risikobereitschaft, Zielstrebigkeit und Wagemut abverlangt als sportliche Extrembetätigung: Speeddating.

Der Speeddater, erklärt die Frau, nehme ein Wagnis in Kauf, das all die anderen Punkte auf der Zehn-Dinge-die-man-im-Leben-gemacht-haben-sollte-Liste wie Kinderkram aussehen lasse: Er begebe sich blindlings auf unbekanntes Terrain. Beim Speeddating sitzt sich eine gleiche Anzahl von männlichen und weiblichen Singles in organisiertem Rahmen paarweise gegenüber. Die Teilnehmer haben wenige Minuten Zeit, sich kennen zu lernen, dann wird durchgewechselt, bis jede sich mit jedem einmal unterhalten hat. Der kalifornische Rabbi Yaacov Deyo war einer der ersten, der diese Methode der Partnervermittlung professionalisierte, um etwas mehr Effizienz ins sonst so zeitraubende Dating-Wesen zu bringen.

An diesem Abend in Neukölln haben sich sechs Frauen, unter ihnen eine echte Extremsportlerin, und sechs Männer zum „Kreativ Speeddating“ zusammengefunden, einer neuen Spielart des Schnellflirts. Im Anschluss an die Zwiegespräche sollen die Kennenlernwilligen gemeinsam basteln. Mit Schere, Kleber und allem, was dazugehört.

Die kleine Runde steht seit ein paar Minuten etwas verlegen vor der Eingangstheke des Wostel herum und hält sich an einem Glas Aperol-Prosecco fest. Alle sind etwa zwischen 30 und 40 Jahre alt, die Nationalitäten sind bunt gemischt, mit einem starken französischen Anteil. Man beäugt sich heimlich.

Marie Jacobi vom Wostel erlöst das verkrampfte Grüppchen und erklärt die Regeln. Je sechs Minuten verbringt man mit den sechs Vertretern des jeweils anderen Geschlechts. Die Frauen werden in den Nebenraum geführt. Auf den Tischen stehen Leselampen und liebevoll angerichtete Teller mit Pizzahäppchen und Mozzarella-Spießchen. Jedes Detail im Raum scheint bewusst gesetzt und durchdacht – wie in einem stilvollen Heim, auf das einige der Teilnehmer vielleicht im Stillen hoffen.

Tagsüber ist das Wostel ein Ort zum Arbeiten, an dem man einen temporären Schreibtisch anmieten kann. Marie Jacobi, die eine Hälfte des Leitungsteams, ist Textildesignerin – was den charmanten Einrichtungsstil des Hauses erklärt. Ihre Geschäftspartnerin Chuente Noufena kümmert sich um den organisatorischen Teil.

Mit einer Glocke bewaffnet, läutet Jacobi mit gekonnter Unnachgiebigkeit das Ende der Gesprächsrunden ein und fordert die Männer zum Tischwechsel auf. Die Extremsportlerin wird verabschiedet. Mir gegenüber sitzt nun eine sympathische Französin Ende zwanzig und wartet auf die Eröffnung des Dialogs. Auf die Frage, wie sie zu der Veranstaltung gekommen sei, deutet sie etwas verlegen auf ihr Notizbuch und erzählt, dass sie als freie Journalistin für ein französisches Magazin über den Abend schreibe. Eine echte Urneuköllnerin berichtet von den gemischten Gefühlen, die sie dem Wandel in ihrem Kiez entgegenbringt, eine polnische Informatikerin von ihrer Heimat – sie kann Krakau wärmstens empfehlen –, und eine Mutter von zwei Kindern erläutert, wie sie und der Vater seit der Trennung den neuen Alltag managen. Was man aus seinen sechs Minuten macht, bleibt jedem selbst überlassen, es läuft mal gut, mal stockend.

Anderswo ist’s teurer

Erstaunlicherweise haben sich die meisten Teilnehmer in erster Linie vom begleitenden Bastelprogramm anziehen lassen. Die Idee, das etwas peinliche Thema „Singletreff“ mit einem spielerischen Element aufzulockern, leuchtete vielen ein. Ein Mann reiste dafür sogar fast eine Stunde aus Spandau an. Die 19 Euro seien für den Abend mit Essen und Getränken in dieser entspannten Atmosphäre gerechtfertigt, ist man sich einig. Woanders sei es teurer.

Nach dem Gesprächsmarathon hätte man die Möglichkeit, an die durchaus interessanten Unterhaltungsfetzen – mehr ist in sechs Minuten nicht möglich – anzuknüpfen. Beim Basteln gestaltet sich das Anbandeln aber eher schwierig. Am großen runden Tisch zu sitzen erschwert die intime Konversation. Außerdem muss ja gebastelt werden: bunte Objekte aus Streichholzschachteln, Schnüren und Stoffresten. Erstaunlich konzentriert sitzt die Gruppe vor ihren Schachteln. Alle hoffen wohl im Stillen, im Speeddating-Formular mindestens ein Kreuzchen bekommen zu haben, das einen Wiedersehenswunsch ausdrückt. Wer leer ausging, hatte immerhin reichlich Gelegenheit zum Reden. Und ein selbstgemachtes Deko-Objekt zur Verschönerung der Single-Wohnung.

Nächster Termin: 6. April ab 19 Uhr, Anmeldung unter info@wostel.de