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Eine risikoreiche Revolution

Grundeinkommen? Eine gute Idee – und finanzierbar, meint das marktgläubige Hamburger Weltwirtschaftsinstitut

DAS GRUNDEINKOMMEN

Folgende Modelle zum Grundeinkommen werden derzeit diskutiert: Götz Werner, Chef der dm-Drogeriemärkte, will Hartz IV und alle übrigen Sozialleistungen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen von mindestens 800 Euro pro Monat ersetzen. Diesen Betrag soll jeder Bürger erhalten, auch wenn er nicht arbeiten will. Finanzierung: hohe Mehrwertsteuer. Im Modell von Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) bekäme jeder 800 Euro, Kinder 500 Euro. 200 Euro davon flössen ins Gesundheitssystem. Finanzierung: Einkommensteuer, Lohnsummensteuer für Unternehmen. Manuel Emmler und Thomas Poreski haben eine Grüne Grundsicherung entwickelt, bei der jeder 500 Euro Minimum erhielte. USA, Großbritannien und Brasilien haben Sozialsysteme mit Elementen des Grundeinkommens. KOCH

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Das Grundeinkommen ist finanzierbar – so lautet das Ergebnis einer Studie, die gestern in Berlin vorgestellt wurde. Ihr Hauptautor ist Thomas Straubhaar, Chef des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts. Er ist jeglicher Sozialromantik unverdächtig. Linke Kritiker sagen, es sei ein Vorreiter des Neoliberalismus. Wenn das, was Straubhaar da errechnet hat, Wirklichkeit würde – es wäre eine Revolution unseres Sozialsystems.

Der Wissenschaftler schlägt nicht mehr und nicht weniger vor, als jedem Menschen in Deutschland monatlich Geld zu überweisen. Egal, ob Baby oder Greis, ob arm oder reich. In seinen Berechnungen geht er von 600 Euro als Untergrenze aus, in einer anderen Variante sind es 800 Euro. Darin ist eine Gutschrift von 200 Euro für die Krankenkasse enthalten. Im Gegenzug würden alle anderen Sozialleistungen gestrichen: Rente, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld. So jedenfalls lautet die radikalste Version seiner Berechnungen. In einer abgemilderten Form wären Wohngeld und Hilfe in besonderen Lebenslagen weiterhin möglich.

Finanziert werden soll das Ganze über Einkommensteuern. Alle würden gleich behandelt: 50 Prozent soll der einheitliche Steuersatz betragen. Jeder selbstverdiente Euro würde versteuert. Das Grundeinkommen gliche einer Steuergutschrift: Wer gar nichts zusätzlich verdient, behält das Geld in voller Höhe. Wer arbeitet, verrechnet seine Steuerschuld mit dem Grundeinkommen. Bei bis zu 1.200 Euro im Monat erhält man vom Staat einen Zuschuss. Ab 1.200 Euro zahlt man de facto Steuern. Wer 10.000 Euro pro Monat verdient, käme auf 5.600 oder 5.400 Euro netto. Heute sind es für einen kinderlosen Alleinstehenden knapp 5.200 Euro.

Straubhaar geht es dabei weniger um den linken Traum der Befreiung des Menschen von Erwerbsarbeit. Auch will er nicht das Gute im Menschen freisetzen – ein Argument, das etwa der Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) benutzt. Straubhaar ist aus ökonomischen Gründen überzeugt: Ein „Systemwechsel“ ist nötig. „Die Fundamente des heutigen Sozialstaats wurden in den Fünfzigerjahren gelegt, einer Zeit der Vollbeschäftigung und des Wachstums.“ Heute dagegen seien „Arbeitslosigkeit, gebrochene Lebensläufe, schwaches Wachstum“ die Regel.

Damit auch keiner glaubt, er übertreibe, zählt der gebürtige Schweizer all die Übel unseres Sozialstaats auf: Dass die Sozialabgaben so hoch sind – seit 1970 stiegen sie von 40 auf 60 Prozent der gesamten Ausgaben Gleichzeitig sanken die Investitionen von 12 auf 3 Prozent. Dass die hohen Sozialabgaben fast nur von denen finanziert werden, die einen versicherungspflichtigen Job haben. Dass dies dazu führt, dass immer weniger Menschen solch einen Job haben, weil Arbeit immer teurer wird. Dass Arbeitslose wenig Anreiz haben, eine Stelle anzutreten, wenn zusätzliches Einkommen fast vollständig angerechnet wird.

Das Grundeinkommen könnte laut Straubhaar da helfen: Jobs würden entstehen, weil Arbeitgeber von hohen Sozialabgaben befreit wären. „Die Arbeitslosigkeit könnte beseitigt werden“, glaubt er gar. Noch dazu herrschte endlich eine „Lohnflexibilität“, wie sie in VWL-Hörsälen herbeigeträumt wird. Tarifverträge gehörten der Vergangenheit an. Kündigungsschutz, ade – wer seinen Job verliert, ist ja abgesichert.

Die Folge: Das Lohnniveau würde zunächst sinken – bei schlechtbezahlten Jobs bis auf 584 Euro monatlich. Das aber würde durch das Grundeinkommen auf 1.184 Euro aufgestockt. Abzüglich der 200 Euro Krankenversicherung blieben knapp 1.000 Euro übrig – mehr, als manch Geringverdiener heute erhält. Und es entstünden viele neue Stellen – klar: Bei etwa 4 Euro die Stunde müssen Arbeitgeber nicht lange rechnen. Putzfrauen, Babysitter und Gärtner hätten Konjunktur. Gutsituierte Privathaushalte würden profitieren. Auch würden mehr Leute Teilzeit arbeiten.

„Revolutionen haben es schwer, denn zu hoch sind die Risiken“, sagte Straubhaar gestern zum Schluss seines Plädoyers. „Manchmal ist jedoch erkennbar: Ein Festhalten an den alten Strukturen führt in den Abgrund.“

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