Exdiktator Ben Ali im Visier der Justiz

TUNESIEN Die Justiz der Übergangsregierung und verschiedene Kommissionen ermitteln wegen Menschenrechtsverbrechen, Korruption und gegen die Nutznießer der gestürzten Diktatur

VON REINER WANDLER

MADRID taz | Tunesiens Übergangsregierung fordert von Saudi-Arabien die Auslieferung von Expräsident Zine El Abidine Ben Ali. Dort hält sich der frühere Diktator seit seinem Sturz am 14. Januar auf. Justizminister Lazhar Karoui Chebbi lässt den 74-Jährigen per internationalen Haftbefehl suchen. Ben Ali, der Tunesien 23 Jahre beherrschte, machte sich demnach neben der „unrechtmäßigen Aneignung von Gütern“ auch der „Verschwörung gegen die Sicherheit des Staates, des Mordes und des Konsums und Handels von Drogen“ strafbar. Gegen Ben Alis Familie und seine Frau Leila Trabelsi laufen 44 weitere Klagen. Hinzu kommen dutzende Verfahren gegen Exminister und Vertreter der aufgelösten Staatspartei RCD.

Die nach der Revolution eingesetzte Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen während der einmonatigen Jugendrevolte, die zum Sturz des Diktators führte, stellte 979 Dossiers zusammen. Bei 106 geht es um Menschen, die von der Polizei getötet wurden. Beim Rest handelt es sich um Verletzte und Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Vergewaltigungen. „Die Liste wird sicher noch länger“, sagt Kommissionspräsident Touafik Bouderbala.

Ben Ali wollte im Januar sogar die Protesthochburg Kasserine bombardieren lassen. Die Armee weigerte sich. Das Präsidentenpaar und sein Umfeld haben sich – so die Ermittlungen einer zweiten Kommission, die sich mit Korruption beschäftigt – in großem Ausmaß bereichert. Ihnen gehörten alle wichtigen Unternehmen des Landes. Außerdem besaßen sie die Importlizenzen für wichtige Konsumgüter. Auch in den Drogenhandel seien sie verstrickt gewesen. Allein Ben Alis Vermögen wird auf 5 Milliarden Euro geschätzt. Laut Justizminister Karoui Chebbi wurden bisher 360 Immobilien der Familie beschlagnahmt.

Tunesien fordert Länder wie die Schweiz, die USA und Kanada auf, dort eingefrorene Guthaben zu überführen. In Kanada läuft zudem ein Auslieferungsverfahren gegen den Bruder der First Lady, Belhassen Trabelsi. Mancher, der nicht rechtzeitig ins Ausland floh, steht bereits vor Gericht. So wurde Anfang April der Bruder des Exdiktators, Slah Ben Ali, verhaftet. Den Schwager, Mohammed Naceur Trabelsi, traf das gleiche Schicksal. Er wurde wegen Zollvergehen zu zwei Monaten Haft und 23 Millionen Euro Geldstrafe verurteilt. Auch mehrere Exminister sind in Haft oder wurden vorgeladen.

Justizminister Karoui Chebbi will jetzt zur Interpol-Zentrale nach Lyon reisen, um die Suche nach Ben Ali zu beschleunigen. Die im Februar gestreute Nachricht, Ben Ali sei schwer krank in einem Hospital in Saudi-Arabien, erwies sich als falsch.