Eine Branche macht Wind

Weil sich auch mit Ökologie Profite machen lassen, hat die Hannover Messe die erneuerbaren Energien entdeckt: Erstmals lockt ein Schwerpunkt zur Windenergie die Besucher der Industrieschau

Bei der 60. Ausgabe der Hannover Messe ist die Türkei Partnerland und – mit 276 Ausstellern – nach Italien und China die drittgrößte ausländische Ausstellernation. Insgesamt zeigen in diesem Jahr 6.400 Aussteller aus 60 Nationen fünf Tage lang ihre Produkte – nach Angaben des Veranstalters 1.436 Aussteller mehr als im Vorjahr. Schwerpunkte sind Energie, Klimawandel und die wachsende Automatisierung aller Industriebereiche. Mit 225.000 Quadratmetern vermieteter Ausstellungsfläche ist das Gelände in Hannover erstmals seit Jahren wieder ausgebucht.  TAZ

AUS HANNOVER KAI SCHÖNEBERG

„Wir haben kein emotionales Verhältnis zur Kohle“, sagt Moritz Köpke. Aber weil der Markt es so wolle, plane Vattenfall zurzeit den Bau von zwei Kohlekraftwerken in Deutschland: eines in der Lausitz, das andere in Hamburg-Moorburg. In Halle 13 der Hannover Messe ist das zur Zeit eine etwas kontroverse These: Während der schwedische Energiekonzern auf die CO2-Schleudern setzt, wuseln um den Vattenfall-Stand jede Menge Firmen herum, die Biogas, Solaranlagen oder Windenergie im Angebot haben. Dass sich mit Ökologie Geld verdienen lässt, hat inzwischen auch die weltgrößte Messe für Industriegüter erkannt: Erstmals hat die Schau der Maschinenbauer und Elektrotechniker in diesem Jahr einen Windenergie-Schwerpunkt, über 300 Firmen aus der Branche stellen aus.

Aufbruchstimmung ist untertrieben: Bis 2020 sollen sich die Arbeitsplätze im Sektor der erneuerbaren Energien in Deutschland von derzeit rund einer knappen Viertelmillion mehr als verdoppeln, jubelte gestern der Vizepräsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, Hermann Albers. Bis 2010 verdoppeln will die Branche auch ihre Exporte im Wert von aktuell 8,5 Milliarden Euro. In ein paar Jahren könne das Exportvolumen sogar die Werte der deutschen Automobilindustrie erreichen, träumt Albers – das wären 170 Milliarden Euro. Gerade bei der Windkraft sind die Deutschen vorn: Hiesige Hersteller halten derzeit etwa ein Drittel des Weltmarktes. Aber auch zu Hause wehen die Turbinen. Zurzeit produzieren Windkraftanlagen 30,5 Milliarden Kilowattstunden Strom. Etwa 5,1 Prozent des Strombedarfs – Tendenz steigend.

Ein russischer Stand preist in Hannover „Innovationen des Kleinunternehmertums“ an, die Teknik Üniversiteri aus Istanbul stellt ein flunderähnliches Solarmobil vor. Aber es locken auch die Big Shots der Branche. „Das ist so etwas wie unser VW Golf“, sagt Ruth Brand vom Windradbauer Enercon. Die Gondel der E 82 sieht aus wie ein liegendes graues Riesen-Ei, man kann von einer Treppe aus in das Innere des Maschinenhauses schauen. Flügel und Stelze sind abmontiert – schließlich hat die E 82 eine Spannweite von 82 Metern. Das Ei hat eine Leistung von bis zu zwei Megawatt, kann also 2.500 Haushalte mit Strom versorgen und ist bereits 500-mal verkauft worden. Und natürlich weist Brand darauf hin, dass Enercon weltweit die Nummer drei sei und allein in der Auricher Zentrale 2.500 Menschen beschäftige.

Damit das auch so bleibt, geht der Trend bei Enercon derzeit Richtung Aufrüstung. Weil die Fläche bereits voll mit Telespargeln gestellt ist, sollen künftig alte Anlagen durch neue, stärkere ersetzt werden. Ein modernes Windei leistet so viel wie drei alte und kostet etwa 2,8 Millionen Euro. Bei einer Zukunftstechnologie allerdings ziehen die Auricher nicht mit: Offshore-Anlagen, also Windräder weit draußen im Meer. Die sind Brand zufolge „zu teuer“.

Hier ist dafür Vattenfall aktiv: Bis Ende kommenden Jahres wollen die Schweden gemeinsam mit den Versorgern Eon und EWE 40 Kilometer vor Borkum zwölf gut 100 Meter hohe Riesenwindräder aufstellen – als Pilotanlagen. Die Technik ist noch nicht ausgereift: Vor der dänischen Küste haben Offshore-Parks mit Rost zu kämpfen.

„Keine Frage“, sagt Annette Polkehn-Appel von Vattenfall: „Das ist zurzeit noch ein Zuschussgeschäft.“ Dennoch plant der Konzern bereits weitere gigantische Windparks in Nord- und Ostsee. Allein vor Borkum sollen sich eines Tages 128 Windmühlen mit einer Leistung von 600 Megawatt drehen – das entspricht etwa der Hälfte der Leistung eines Atomkraftwerks. Die Inselbewohner würden die Kraftwerke nicht sehen, beruhigt Polkehn-Appel: „Die Erde ist ja gekrümmt.“