: Alles neu in Mitte
KULTURHAUS Das Acud erfindet sich nach einem Eigentümerwechsel gerade neu. Heute ist Tag der offenen Tür
■ Heute am Samstag präsentiert sich das Acud als „offenes Haus“, das in Führungen samt „anekdotischer Geschichten von damals“ erkundet werden kann. Ideen und Projekte für das Kunsthaus sollen vorgestellt und diskutiert werden, dazu gibt es ein Kulturprogramm, bei dem unter anderem die taz-Autoren Helmut Höge und Ulrich Gutmair in einer Lesung einen Blick auf vergangene Kulturszenen Berlins werfen. Außerdem Konzerte von Justine Electra bis Justus Köhncke, ein DJ-Marathon, ein Kinderprogramm und mehr.
■ Der Tag unter dem Motto „Der lange Weg zurück nach Mitte“ startet um 14 Uhr, der Eintritt ist frei. Veteranenstraße 21, Programm www.acudmachtneu.de.
VON NINA APIN
Aus dem Innenhof des Acud an der Veteranenstraße schallt um die Mittagszeit klassische Musik. Aus der Kneipe kommt der leicht quäkige Sound nicht – die macht erst abends auf. Klangquelle ist das Radio eines Handwerkers, der im Hof Bretter streicht. Es wird wieder gewerkelt im Acud. Um den Handwerker herum führen Julie Gayard und Johannes Braun ein paar Besucher. Journalisten, Schaulustige, die wissen wollen, was sich hier tut. Und Künstler und Konzertveranstalter auf der Suche nach Auftrittsmöglichkeiten und Kontakten.
„Das Acud erfindet sich gerade neu“, sagt Julie Gayard ganz unbescheiden. Die junge Designerin und ihr Kollege gehören zu einer kleinen Gruppe von Leuten, die im Januar das insolvente alternative Kulturhaus übernahmen – und jetzt wiederbeleben wollen. Genau genommen aber war die Kultur nie weg im Acud – das Kino im zweiten Stock zeigte Filme, im Theatersaal präsentierte sich die Off-Szene. Und im Vorderhaus malten, probten, schrieben die Kreativen, die sich dort eingemietet hatten. Nur fehlte irgendwann das Geld: Eine aufwendige Renovierung hatte den Trägerverein des Hauses 2010 in die Pleite gerissen, auch bei der Suche nach Investoren hatte man kein Glück.
Als 2014 die Zwangsversteigerung drohte, klagte ein Acud-Vereinsmitglied Gayard und Braun sein Leid. Die beiden, selbst Zweidrittel einer Design-Agentur, die gerade eben der hohen Mieten wegen ihre Büroräume in der Brunnenstraße verlassen mussten, dachten: „Da muss man was tun.“ Mit dem Acud war ein Projekt in Gefahr, das nach dem Ende des Tacheles als letztes größeres selbst verwaltetes Nachwendeprojekte von Mitte übrig geblieben ist – in einer Nachbarschaft, die längst durch Bars, Hostels und „Concept Stores“ geprägt ist. Als der Entschluss gefällt war, ging alles ganz schnell, wie Johannes Braun erzählt: „Wir gründeten mit anderen zusammen eine GmbH, bekamen einen Kredit von der GLS-Bank – und sind jetzt Eigentümer.“ Braun scheint selbst immer noch darüber zu staunen, wie schnell er zum Kulturentrepreneur wurde.
Die nächsten 22 Jahre
Das neue Konzept sieht so aus: Für die nächsten 22 Jahre bleibt das Acud als Kulturhaus erhalten, Wohnen bleibt, wie auch bisher, untersagt. Das sind Auflagen der Investitionsbank Berlin, die dafür die Mieten im Haus subventioniert. So können die Künstler, Schriftsteller, Musiker, die Musik- und die Sprachschule, die zum Teil seit vielen Jahren im Gebäude sind, bleiben. Und neue Mieter kommen hinzu. Vor Kurzem ist, berichtet Gayard, das Organisationsbüro des CTM-Festivals eingezogen, bald kommt ein Community Radio. Auch das vom weiter bestehenden Altverein betriebene Kino und das Theater bleiben, ebenso wie die Kneipe im Vorderhaus.
Dass die Fusion des Alten und des Neuen, von Do-it-yourself-Nachwende-Spirit und hippem Neu-Kulturunternehmertum noch im Fluss ist, zeigt sich vielleicht am besten im Internet: die Acud-Website ist im altmodisch orange-blauen Design gehalten und sieht arg selbst programmiert aus. Wenn man auf „Galerie & Club“ klickt, wird man zu einer aufgeräumt-schicken neuen Seite geleitet: „Acud macht neu“ heißt es da, Bands, Ausstellungen, Symposien und Workshops werden angekündigt. Die „Neuen“ betonen, das Haus gemeinsam mit den bisherigen Betreibern „als einen zentralen unabhängigen Ort für die Künste in Berlin“ etablieren zu wollen.
„Wir wollen niemanden verdrängen und auch nicht alles besser wissen“, betont Gayard. Sie selbst sei auch zu kurz in Berlin, um sich an die glorreichen Jahre des Acud erinnern zu können, die Drum-’n’-Bass-Partys in der Remise, die Siebdruckfestivals. Oder gar an die legendären Anfänge, als die Wohnungsbaugesellschaft Mitte 1991 den Besetzern einer Ruine in der Rykestraße als Ausgleich eine beliebige Immobilie in Mitte anbot, woraufhin sie sich mit dem Acud in der Veteranenstraße niederließen.
Was die neuen Eigentümer aber unbestritten mitbringen, ist ein Draht zum Zeitgeist in der europäischen Kulturszene. Eine Verbindung, die dem alten Kulturhaus Acud zwischenzeitlich abhandengekommen war: Events im ganzen Haus beschränkten sich in den Jahren nach der Renovierung auf ein Minimum, das Haus wirkte – bis auf den laufenden Theater- und Kinobetrieb – nach außen abgeschottet.
Das soll jetzt anders werden: Im August führte das Theater ein Open-Air-Stück im Innenhof auf, auch beim Torstraßenfestival brummte das ganze Haus vor Leben.
Gayard und Braun zeigen bei einem Rundgang die Orte, an denen sie das Acud wieder zurück auf die Landkarte der Clubgänger und Kunstgucker holen wollen. Club und Bar im Erdgeschoss sind frisch renoviert, riechen aber bereits gut abgehangen wie ein altgedienter Amüsierschuppen. Die Band-Auswahl besorgen kleine Booking-Agenturen wie Am Start, Puschen oder Eine Welt aus Hack. Das Studio im ersten Stock mit rotem Lineoleumboden und freiliegenden Rohren an der Wand dient als Multifunktionsraum für Lesungen, Workshops und Performances. Der Projektraum im Erdgeschoss zeigt gerade unter dem Titel „Data & Disaster“ Werke der Grafikerin und Malerin Katrin von Maltzahn.
Wie weit das alte und das neue Acud bereits zusammengewachsen sind, können Besucher am heutigen Samstag beim „Offenen Haus“ erleben. Das Tagesmotto klingt schon mal vielversprechend geschichtsbewusst: „Der lange Weg zurück nach Mitte“.