: Video statt Vorlesung
FERNLERNEN Dank moderner Formen des E-Learnings muss heute für berufliche Weiterbildung niemand mehr die Schulbank drücken. Doch Lernen im Netz braucht viel Disziplin
VON BIRK GRÜLING
Betriebswirtschaftslehre auf dem Tablet-PC im Zug, Rechnungswesen für den Rückweg. Eine Online-Vorlesung am Abend, wenn die Kinder schlafen. Lernalltag für viele Online-Studenten an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven. „Die meisten sind berufstätig, haben eine Familie und wollen sich mit dem Studium weiterbilden. Auch bei Müttern in Elternzeit ist das Onlinestudium beliebt“, sagt Nina Paul, an der Fachhochschule verantwortlich für den E-Learning-Bereich.
Neben Betriebswirtschaft kann man dort Tourismuswirtschaft und Wirtschaftsingenieurwesen online studieren. Seit 2003 gibt es das Angebot, gelernt wird virtuell, von ein paar Präsenzveranstaltungen in der Küstenstadt abgesehen.
Eine halbe Million Fernlerner im Jahr
Ein Modell, das sich wachsender Beliebtheit erfreut, wie die Zahlen des Fachverbands „Forum DistancE-Learning“ verraten. Fast eine halbe Million Deutsche lernt jährlich fern, als Studierende oder für einzelne Kurse. Außerdem nutzen mehr als zwei Drittel der Top 500 Unternehmen inzwischen E-Learning-Angebote für die Weiterbildung der Mitarbeiter. Die Themen reichen von kaufmännischen Weiterbildungen, über Fremdsprachen bis zu Gesundheitsthemen. Der Aufbau und die Inhalte sind oft dieselben wie bei „normalen“ Studiengängen oder Seminaren.
Nur das Lernen ist anders. In den Anfängen des E-Learning wurden noch anderthalbstündige Vorlesungen abgefilmt und ins Netz gestellt, dazu ein paar digitalisierte Buchseiten. Inzwischen haben sich die meisten Anbieter didaktisch auf das Lernen im Netz eingestellt. Die einfachste Form ist dabei das Lernvideo. Im Internet gibt es eine schiere Flut davon, oft kostenlos und von schwankender Qualität. Trotzdem gibt es einen Vorteil: Der Lernende kann sich das Video zeitlich unabhängig und mehrfach ansehen. Zur Wiederholung vor einer Prüfung ideal.
Doch Lernvideos sind im Prinzip ein alter Hut, man erinnere sich an Telekolleg-Zeiten im Fernsehen. Moderne Formate gehen weit darüber hinaus. „Wir setzen auf kompakte Lerneinheiten mit hoher Interaktivität. Dazu gehören Lernvideos genauso wie kleine Übungen oder Material zur Vertiefung“, erklärt Paul. Die Aufteilung in kleine Lernhappen schafft Unabhängigkeit von Lehrplan. Ort und Zeit kann sich jeder Teilnehmer frei einteilen, auch bei Abgabeterminen, Hausaufgaben und Prüfungen.
Ein neues Webformat ist auch das „Webinar“. Im Prinzip ist das ein virtuelles Klassenzimmer. Der Dozent und die Teilnehmer sind gleichzeitig online, tauschen sich im Chat oder per Video-Konferenz aus und arbeiten gemeinsam an Dokumenten. Wer keine Zeit hat, kann sich eine Aufzeichnung ansehen.
Jeder Anbieter, der für seine Kurse Geld verlangt und Prüfungen abhält, wird von der Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) geprüft. Online-Studiengänge unterliegen sogar dem Hochschulgesetz. Ein erstes Qualitätsmerkmal. Zulassungskriterien sind eine gute pädagogische Betreuung, umfangreiche Lehrmaterialien sowie reguläre Geschäftsbedingungen. „Wer sich für einen Fernlehrgang oder ein Studium interessiert, sollte bei der Wahl definitiv auf eine staatliche Zertifizierung achten“, rät Mirco Fretter, Präsident des Forums „DistancE-Learning“.
Nicht das einzige Kriterium: Wichtig ist es, dass der Anbieter genaue Angaben über Inhalte, die Gestaltung und den Lernaufwand der Weiterbildung macht. Der Dozent sollte bekannt sein und über ausreichende Qualifikationen verfügen. „Ich würde außerdem zu einer gründlichen Beratung bei dem Anbieter raten. Auch das ist ein Qualitätskriterium“, sagt Fretter.
Fast alle seriösen Anbieter am Markt geben außerdem die Möglichkeit eines Schnupperkurses oder einer zweiwöchigen Testversion. Solche Angebote sollte man nutzen, um die Zuverlässigkeit des Anbieters zu testen. Kommt es beispielsweise beim Aufrufen von Lektionen oder Start von Videoclips zu längeren Wartezeiten, ist das ein Hinweis für unzuverlässige Technik. Lange Wartezeiten machen auch beim Online-Lernen keinen Spaß.
Austausch in der Online-Community
An der Jade Hochschule ist die Technik kein Problem. Man hat sich dort in den letzten elf Jahren stark auf E-Learning eingestellt. Inzwischen kümmern sich vier Mitarbeiter. Für alle neuen Studierenden gibt es Selbstmanagementkurse und andere Hilfen ins Online-Studium. Bei Fragen und Problemen stehen Mentoren zur Verfügung. Die Teilnehmer können sich außerdem über eine Online-Community austauschen und Lerngruppen bilden.
Die enge Betreuung ist gerade beim E-Learning wichtig. Immerhin verlangt es große Selbstdisziplin, sich jeden Tag neben dem Beruf noch zum Lernen zu motivieren. „Wir suchen gezielt den Kontakt mit den Studierenden und versuchen so die Auseinandersetzung mit den Inhalten zu fördern“, sagt Paul.
Eine nicht immer ganz einfache Aufgabe. Die motivierenden Aspekte eines echten Campusleben zwischen Mensa und Lerngruppen in der Bibliothek lassen sich rein virtuell kaum nachstellen. An der Jade Hochschule setzt man auf „Präsenzphasen“, zum Beispiel als Vorbereitung auf die Prüfung. Man lernt seine Kommilitonen persönlich kennen, schüttelt den Professoren die Hand, geht zusammen in die Mensa, lernt in der Bibliothek. Ein bisschen wie im richtigen Studium.
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