Militärische Wende in Kobani

TÜRKEI US-Flugzeuge werfen Waffen ab, die Türkei ermöglicht Nachschub von Kämpfern: Die Dschihadisten sind in der Defensive

Ankara hofft, dass Kämpfer aus dem Nordirak die PKK in Syrien schwächen

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

In der seit Wochen von Milizen des Islamischen Staats (IS) belagerten syrisch-kurdischen Grenzstadt Kobani deutet sich eine Wende an. Sah es bis vor wenigen Tagen noch so aus, als könnten die Dschihadisten binnen Kurzem die Stadt vollständig in ihre Gewalt bringen, sind nun die Kämpfer der kurdischen Miliz YPD auf dem Vormarsch.

Entscheidend dafür ist, dass vor allem die USA ihre militärischen Anstrengungen zur Rettung Kobanis deutlich verstärkten. Nach immer wirksameren Luftangriffen warfen US-Transportflugzeuge am Montagmorgen auch den für die Verteidiger Kobanis so dringend benötigten Nachschub ab. Und nur wenige Stunden später bestätigte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, was kurdische Quellen schon in der Nacht verkündet hatten: Die türkische Regierung ist jetzt bereit, Kämpfer der kurdischen Peschmerga aus dem Nordirak über türkisches Territorium nach Kobani zu lassen.

Damit erleben die Verteidiger von Kobani an einem Tag, worauf sie wochenlang vergeblich gehofft hatten: den Nachschub an Waffen, darunter auch Panzerabwehrwaffen und Munition, und gleichzeitig Kämpfer, die die Reihen der erschöpften kurdischen Milizionäre auffüllen können. Beobachter vor Ort berichteten am Montagnachmittag, die Lage sei ruhig, nachdem IS-Milizen die Stadt am Wochenende noch einmal massiv beschossen hatten.

Allerdings war es den kurdischen Verteidigern zuvor schon gelungen, die IS-Milizen aus einem Teil der Stadt wieder hinauszudrängen, den sie zuvor in einem verlustreichen Häuserkampf erobert hatten. Außerdem wurden die US-Angriffe präziser. Am Montag vergangener Woche hatte es erstmals einen direkten Kontakt zwischen Vertretern der DYP, der politischen Vertretung der syrischen Kurden, und Vertretern der US-Regierung in Paris gegeben. Das Ergebnis war eine bessere Koordination zwischen den kurdischen Kämpfern am Boden und der US-Luftwaffe. Offenbar konnten die Kurden den US-Piloten danach konkrete Zielkoordinaten durchgeben.

Am Wochenende setzte sich US-Präsident Barack Obama dann auch über türkische Bedenken hinweg und gab grünes Licht für direkte Waffenlieferungen an die Kurden in Kobani. Noch in der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan während eines Rückflugs aus Afghanistan gegenüber mitreisenden Journalisten bekräftigt, dass die Türkei die mit der PKK verbündeten YPD-Kämpfer in Kobani niemals mit Waffen beliefern würde oder die Lieferung durch Nato-Verbündete tolerieren werde. Wenig später hatte Erdogan Obama am Telefon, der ihn davon in Kenntnis setzte, dass die USA genau das nun tun würden. Erdogan und die türkische Regierung kommentierten das am Montag nicht, sondern kündigten stattdessen an, das sie nun ihrerseits bereit seien, irakische kurdische Kämpfer nach Kobani zu lassen.

Man kann das als einen Versuch der Regierung sehen, nicht völlig das Gesicht zu verlieren. Dahinter steht aber auch eine konkrete politische Erwartung. Die türkisch-kurdische PKK und die nordirakische Autonomieregierung von Massud Barsani haben lange um Einfluss unter den Kurden im Nordirak konkurriert. Zuletzt hatte sich aber die mit der PKK verbündete DYP weitgehend durchgesetzt.

In der Stunde der Not ist nun die DYP aber froh über die Unterstützung aus dem Nordirak, und die Türkei ist bereit, die Peschmerga der Barsani-Regierung nach Kobani zu bringen, weil sie hofft, damit den Einfluss der PKK in Nordsyrien einschränken zu können.