Neue Regierung für die Palästinenser

Nach monatelangen Verhandlungen einigen sich Fatah und Hamas auf ein gemeinsames Kabinett. Der designierte Premier Hanijeh hofft auf ein Ende des internationalen Boykotts. Doch Israel will auch mit der neuen Regierung nicht zusammenarbeiten

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Am meisten überrascht über den Kompromiss der Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas war gestern der künftige Innenminister. „Es hat sich niemand an mich gewandt“, meinte der von beiden Fraktionen akzeptierte Hani al-Kawasmeh, der von seiner Nominierung aus dem Radio erfuhr. In der Nacht zum Donnerstag einigten sich der designierte Premierminister Ismael Hanijeh (Hamas) und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas (Fatah) über das seit Wochen umstrittene Amt. Die Ministerliste der neuen Regierung der Nationalen Einheit soll am Samstag dem Parlament zur Verabschiedung vorgelegt werden.

„Das ist ein sehr ernsthafter Posten“, kommentierte Kawasmeh. Der palästinensische Innenminister ist in vorletzter Instanz vor dem Präsidenten für die Kontrolle der Sicherheitsdienste zuständig. Kawasmeh steht vor der schweren Aufgabe, die uniformierten Palästinenser unter ein Kommando zu bringen. In den vergangenen Wochen hatten sich Angehörige der Hamas-Sondertruppen mit von der Fatah kommandierten Sicherheitsleuten offene Schlachten geliefert. „Wir sind auf den guten Willen des Volkes angewiesen“, meinte Kawasmeh gestern gegenüber al-Dschasira, um „den rechten Weg einzuschlagen.“

Wenige Stunden vor der Einigung geriet in Gaza ein Vater mit zwei Kindern zwischen Fronten von Hamas und Fatah. Alle drei trugen Schusswunden davon. Bis gestern hielten die verfeindeten Gruppen je vier Geiseln der gegnerischen Seite fest. Anfang der Woche war der Machtkampf zwischen den beiden politischen Bewegungen erneut eskaliert. Der internationale Boykott führte zur Steigerung der Armutsrate im Gazastreifen auf deutlich über 70 Prozent.

Der künftige Finanzminister Salam Fajad von der weltlich-liberalen Partei Der dritte Weg, die bei den jüngsten Wahlen mit Parolen gegen die Korruption angetreten war, soll nun helfen, die internationale Blockade aufzuheben. Fajad, der unter Palästinenserpräsident Jassir Arafat Finanzminister war, gilt im Westen als anerkannter Ökonom.

Israels Premierminister Ehud Olmert kündigte bereits an, die palästinensische Regierung, inklusive der Fatah-Minister, zu boykottieren, solange die Bedingungen des Gewaltverzichts, der Anerkennung Israels und aller bisherigen Abkommen nicht erfüllt sind. Allerdings zitierte der britische Rundfunksender BBC gestern einen „hohen israelischen Ministerialbeamten“, der angeblich direkte Kontakte zur künftigen Palästinenserregierung in Aussicht stellte, sollte der im Juni 2006 entführte israelische Soldat Gilad Schalit wieder auf freien Fuß kommen. Abbas hatte bislang stets versichert, die neue Regierung werde ihre Arbeit erst nach einem Geiselaustausch aufnehmen.

Auch wenn Abbas sein Versprechen nicht hält, will sich die Nationale Einheitsregierung für eine rasche Lösung der Affäre Schalit starkmachen. Eine Anerkennung Israels steht indes unverändert außer Frage. Die Einheitsregierung will lediglich die zwischen Israel und der PLO getroffenen Abkommen „respektieren“. Darauf hatten sich Hanijeh und Abbas bereits vor gut einem Monat in Mekka geeinigt. Basis für die Regierungsleitsätze ist das sogenannte Gefangenendokument, das inhaftierte Mitglieder aller Fraktionen im Sommer letzten Jahres ausgearbeitet hatten. Darin wird das Recht der Palästinenser zum Widerstand gegen die Besatzung festgehalten. Die Regierungsleitsätze beinhalten zudem das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge, was Israel ablehnt.

Gegenüber Journalisten in Gaza erklärte Hanijeh gestern, er habe „Signale“ empfangen, die darauf hindeuteten, dass die EU mit der Einheitsregierung kooperieren werde. Der künftige Regierungschef sah gleichzeitig ein, dass „bei den Amerikanern und den Israelis eine andere Haltung besteht“. Dennoch werde er nichts unversucht lassen, um die Blockade zu beenden und die Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft wiederzubeleben.

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