: „Unterwandert das System!“
Erste Gespräche mit Politikern führte der Moderator und Sänger 1998 beim Musiksender Viva. Von 2004 bis Mai diesen Jahres gehörte er dem „Rat für nachhaltige Entwicklung“ an, der die Regierung berät. Im Interview spricht der 29-Jährige über Jugend und Widerstand
INTERVIEW SUSANNE LANG
taz: Herr Schlegl, Sie sitzen nicht mehr im Rat für Nachhaltigkeit. Haben Sie aufgegeben?
Tobias Schlegl: Nein, mein Ausscheiden war abzusehen, ich bin ja bereits die zweite Legislaturperiode dabei. Gerhard Schröder hatte mich 2004 bei der Gründung ja als Quotenjugendlicher nachnominiert – und alle anderen Jugendgruppen und Attac waren sauer, dass nicht ihr Vorstand drin saß, sondern ein Moderator. Aber eigentlich fand ich die Entscheidung mutig.
Wurde Ihre Stimme denn ernst genommen?
Erstaunlicherweise ja. Die anderen waren sogar ganz glücklich, wenn ich mich eingemischt habe.
Und was haben Sie bewirkt?
Generell habe ich gemeinsam mit unserer Geschäftsstelle die Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit angestoßen. Wir haben zum Beispiel Helden der Nachhaltigkeit ausgezeichnet, nichtprominente Menschen, die sich im Stillen engagieren – zwei Jahre später macht Bild jetzt das Gleiche. Daran sieht man, dass Nachhaltigkeit sehr wohl ein emotionales Medien-Thema ist. Lange Zeit galt es ja als dröge.
Manche sehen sich beim Thema Klimawandel bereits einer Medienhysterie ausgesetzt. Gibt es die?
Hysterie finde ich gerade gut. Wie oft ich versucht habe, das Thema in den Medien zu platzieren ...
… vergeblich?
Insbesondere im Fernsehen ist das immer noch fast unmöglich. Bei mir im Keller liegt zurzeit zum Beispiel eine Pilotfolge für ein junges politisches Fernsehformat, die kein Sender kaufen will. Früher gab es ja noch Sendungen wie „Live aus dem Schlachthof“ oder „Moskito“, mit denen ich groß geworden bin – Magazine mit Haltung, die etwas authentischer waren.
Vermutlich scheitert es an der Sorge um Quote?
Klar. Dazu kommt, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender aus der Affäre gezogen haben, seit es Viva und MTV gibt, weil die ja jetzt Jugendarbeit machen würden. Stimmt aber nicht – obwohl MTV den Piloten sogar finanziert hat. Das fand ich ja schon mal mutig.
Wie sieht denn die Sendung aus, die uns fehlt?
Es ist eigentlich nichts Geheimnisvolles, eine Art Aktionsformat. Wir sind davon ausgegangen, dass es Jugendliche gibt, die sich keiner politischen Bewegung anschließen wollen – das hat ja immer diesen Öko-Klassensprecher-Touch. Deshalb haben wir den Zugang über Aktionen gewählt: Wir haben in einer Gruppe überlegt, wie wir zum Thema Konsum Symbole schaffen können, um die Leute einerseits aufzurütteln, andererseits ihnen aber auch Hintergrundinfos zu liefern. Kein purer Aktionismus also. Das haben wir dokumentiert. Ganz authentisch.
Wurde die Gruppe gecastet?
Nein, die Jugendlichen kannte ich bereits von meiner Tätigkeit im Rat. Insgesamt ergab die Gruppe einen Querschnitt aus Leuten mit Halbwissen, die sich engagieren wollen, und Experten. Die braucht man, weil die Welt eben nicht schwarz und weiß ist, sondern viele Grauzonen hat.
Kein Gut und Böse mehr?
Nein. Leider kann man nicht immer mit dem Finger auf die großen Konzerne zeigen. Die engagieren sich mittlerweile auch. Einflussreiche Vertreter der Deutschen Bank, von Siemens oder der Münchner Rück-Versicherung sitzen etwa auch im Rat.
Ist das nicht Teil von deren Öffentlichkeitsarbeit geworden?
Letztendlich ist es doch so: Durch den Bericht von Nicholas Stern, dem ehemaligen Chefökonom der Weltbank, sind die Unternehmen aufgewacht. Und warum? Weil er ihnen vorgerechnet hat, wie viel der Klimawandel kosten wird. Wenn es an die Geldbörse geht, steigt der Zwang, dagegenzusteuern. Umwelt wird dann als ein Kapital gesehen. Wenn genügend Druck gemacht wird, und es natürlich ums Image geht, dann handeln auch Unternehmen.
Früher hat man diese Regeln des kapitalistischen Systems bekämpft, heute spielt man sie aus?
Das ist ja das Spannende an diesem sperrigen Begriff der Nachhaltigkeit. Es geht darum, nicht nur Ökologie, sondern auch Soziales und Ökonomie zusammenzubringen. Es muss für beide Seiten eine Win-win-Situation sein, sonst gelingt es nicht.
Wie engagiert sich denn nach dieser Logik etwa die Deutsche Bank?
Sie hat mit anderen ein CSR-Papier erstellt für unternehmerische Verantwortung. Und sie ist in einem Verbund, der Entwicklungsländern Mikrokredite ermöglichen möchte, damit auch arme Menschen eine Existenz aufbauen können. Blind auf sie einzuschlagen bringt nichts. Man muss es geschickter machen.
Also wie?
Man muss die Medien nutzen, um die Botschaft zu verbreiten, Druck zu machen und möglichst viele Jugendliche mitzureißen. Um deren Zukunft geht es schließlich. Da muss man aber Herzblut zeigen.
Wie lassen sich Jugendliche noch mobilisieren?
Ich glaube, das klappt nur über die Vorbilder-Funktion. Man muss eben Prominente ins Boot holen, was ja jetzt auch zum G-8-Gipfel passiert. Ich fände es ja spannend, auch die ungewöhnlichen Leute anzusprechen: nicht nur Jan Delay, der politische Texte macht, sondern auch Rapper wie Bushido oder Sido.
Gerade Prominenten unterstellt man ja gerne, sie engagierten sich für ihre eigenen Publicity. Ist das egal?
Natürlich ist das immer etwas unangenehm. Ich selbst werde auch oft angegriffen, warum ich nun meine, mich engagieren zu müssen. Was man uns aber zugestehen muss: Auch Prominente machen sich dabei angreifbar. Bono, der Sänger von U2 zum Beispiel. Der macht sich ja eigentlich auch nackig. Und mal ehrlich, wer will schon von den South-Park-Machern für sein Gutmenschentum verarscht werden?
Der Hauptvorwurf an Bono lautet ja, dass er die gute Sache verrate, weil er sich bei den mächtigen Politikern anbiedere. Sie sind ja auch im Rat an der Seite der Wichtigen gesessen …
Aber dieser Vorwurf ist doch quatsch. Ich finde, es macht genau die Stärke aus, mit am Tisch zu sitzen. Denn da kannst du Einfluss nehmen. Wenn du alle Drähte kappst und nur auf „anti“ machst, dann werden sie nicht mit dir reden. Du musst mit denen spielen, das System unterwandern und probieren, sie zu knacken.
Dafür sein statt dagegen?
Ich finde es gut, dagegen zu sein, wenn man weiß, warum. Aber man kann nur etwas verändern, wenn man Politiker an den Tisch holt. Außer man ginge selbst in die Politik …
Was spricht dagegen?
Generell nicht so viel, nur: Im Rat habe ich viele engagierte Politiker erlebt, sie hatten auch ein ganz gutes Standing. Sobald sie aber zurück in ihre Partei kommen, können sie sich nicht durchsetzen, weil es eben nicht konsensfähig ist. Deshalb könnte ich nicht Politiker werden. Ich will lieber Symbole setzen und keine faulen Kompromisse eingehen.
Das ist doch Demokratie?
Es ist der einzige Weg, wie es funktioniert, klar. Aber dieser Parteienhickhack und die Personaldebatten, das interessiert mich nicht.
Wollen Sie denn bei G 8 auch Symbole setzen?
Ich wäre gerne mit meiner kleinen Punkband für ein Konzert angefragt worden. Ist aber nicht passiert. Da sind wir immer noch ein wenig beleidigt …
… Sie setzen auf Musik als symbolischen Protest?
Punk hat ja immer schon die Attitüde: Wir sind auf jeden Fall dagegen. Man weiß als Punk-Musiker immer, was man nicht will, aber nie so richtig, was man will. Wir haben zwar politische Anleihen, aber wollen nicht als Protestmusiker eingeordnet werden.
Wie ein Dagegen-Punk wirken Sie aber nicht.
Ich bin ja ein großer Freund von Nicht-bekehren-Wollen. Jeder soll für sich rausfinden, was er machen will, denn jeder kann etwas tun. Dieses „Ich bin total hilflos“ stimmt ja nicht. Man hat Macht, auch wenn es eine kleine ist.
Wo denn?
Na, Stichwort Konsumkultur. Die Frage lautet doch: Brauchst du all das Zeug, das du da kaufst. Überleg mal, wo die Sachen herkommen.
Da wird es aber schon schwierig.
Klar, gerade bei Klamotten. Aber es gibt eben auch Firmen wie American Apparel oder in Berlin kleinere Modeläden, die mit fair gehandelten Produkten arbeiten. Sieht gut aus, ist auch nicht viel teuerer. Das ist nicht viel, aber etwas.
Für Konsum kann man Jugendliche leichter interessieren – wie steht es um andere Themen der Nachhaltigkeit?
Das hängt davon ab, wie man sie abholt. Mit einem Aktionstag konnten wir zum Beispiel auch Jugendliche aus dem Berliner sozialen Brennpunkt Neukölln ansprechen. Wir haben zuerst erklärt, worum es bei Nachhaltigkeit eigentlich geht, dann sollten sie überlegen, was sie machen können. Und ich finde, sie haben etwas sehr Schlaues gemacht: Sie haben am Brandenburger Tor ihre Probleme verkauft. Alles, was bei ihnen falsch läuft, haben sie versucht, den Leuten anzudrehen – im Austausch mit deren Problemen. Das heißt, ein Problem wird kleiner, wenn man Leute dazuholt und ihre Probleme kennen lernt. Das waren echt kleine Buschidos zum Teil, die man dafür gewinnen konnte.
Der Vorwurf, diese Jugendlichen seien völlig unpolitisch, stimmt also nicht?
Sie sind politisiert, die wissen, dass was schief läuft, brauchen aber noch so den letzten Tritt. Jemand muss ihnen sagen: Ihr könnt was machen. Das passiert zu wenig.
Werden Sie sich auch ohne den Rat weiter engagieren?
Im Thema Nachhaltigkeit und Medien bin ich jetzt so tief drin, da werde ich weiterkämpfen. Wir planen zum Beispiel gerade „Social Kinospots“ zum Thema Jugendarbeitslosigkeit, die bestimmte Kinos selbstverpflichtet zu einer gewissen Anzahl im Jahr zeigen. Da will ich auch nicht locker lassen.
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