Abhängig beschäftigt

LOBBYISMUS Arbeitgeberverbände leisten sich für 55 Millionen Euro drei Lehrstühle an der Universität München

■  Der Aufruf: Am 1. Juni berichtete die taz darüber, wie die Deutsche Bank sich mit einem „Sponsoren-und Kooperationsvertrag“ Einfluss auf zwei Berliner Universitäten erkauft hatte. Die Bank erhielt für ihr Geld eine Mitsprache in der Lehrkonzeption, Lehraufträge für Bankmitarbeiter, ein Vetorecht bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen sowie gesonderte Werberechte an der Universität. Die taz rief ihre Leser dazu auf, weitere Fälle von Unternehmenseinfluss auf Unis zu melden.

■  Der Hinweis: Mit einem anonymen Brief an die Redaktion meldete sich jemand, die oder der die Bedingungen der Kooperation zwischen der Universität München und den Arbeitgeberverbänden kennt. Wir haben die Informationen daraufhin selbst nachrecherchiert – das Ergebnis lesen Sie auf dieser Seite.

■  Der Weg: Haben auch Sie Informationen über problematische Kooperationen zwischen Unternehmen und Universitäten? Oder wissen Sie sonst etwas über einen Vorgang, der ans Licht der Öffentlichkeit gehört? Mailen Sie an open@taz.de oder schicken Sie einen Brief an die tageszeitung, Sebastian Heiser, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.

VON BERND KRAMER

Wenn der Münchener Arbeitsrechtsprofessor Volker Rieble sich öffentlich äußert, dann setzt er sich auffällig oft für die Sache der Arbeitgeber ein. Etwa im Fall der Kaisers-Kassiererin, die als „Emmely“ bekannt wurde. Die Einzelhandelskette wollte der gewerkschaftlich engagierten Frau kündigen, weil sie Pfandbons in Höhe von 1,30 Euro, die vermutlich ein Kunde in ihrer Filiale verloren hatte, mit einem privaten Einkauf verrechnet hatte. Rieble bezeichnete die Kassiererin als „notorische Lügnerin“ und forderte zusätzlich zur fristlosen Kündigung auch die Einleitung eines Strafverfahrens. Aktuell setzt er sich für ein Unternehmen ein, das Detektive als verdeckte Ermittler angeheuert hatte, die dann Mitarbeiter und Betriebsratsmitglieder bespitzelten.

Als Professor an der renommierten Universität München gilt Rieble vielen a priori als unabhängig. Doch seine Professorenstelle wird direkt von Unternehmensvertretern finanziert: Die Arbeitgeberverbände der bayerischen und baden-württembergischen Metallindustrie sowie der Bundesarbeitgeberverband Chemie hatten im Jahr 2004 das Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht, kurz Zaar, an der Ludwig-Maximilians-Universität gestiftet – wohl auch als eine Art verlängerte Rechtsabteilung der Arbeitgeber mit dem Siegel einer staatlichen Universität. Wissenstransfer zwischen Praxis und Forschung heißt das im Förderdeutsch. Und so steht es auch in den Statuten des Zaar.

Denn das Zentrum wurde mit einer klaren inhaltlichen Vorgabe gegründet. Die drei Arbeitgeberverbände haben per Stiftungssatzung zementiert, dass die Forschung dort das Ziel verfolgen solle, „das Arbeitsrecht in eine ökonomische Folgenanalyse einzubetten und ordnungspolitisch zu strukturieren“.

Bei der Institutsgründung haben die Geldgeber ziemlich klar erklärt, was darunter zu verstehen ist. Arbeitsrecht sei heutzutage „in erster Linie Arbeitnehmerschutzrecht“ mit „kontraproduktiven Wirkungen“ für den Standort, monierte Eggert Voscherau vom Bundesarbeitgeberverband Chemie damals. Der Verbandsvertreter sah sogar „ernsthaften Anlass zur Sorge um Deutschland“ und hoffte auf Rettung aus der akademischen Welt. Die drei Professoren des Zentrums werden denn auch beraten von einem Beirat aus „herausragend qualifizierten Persönlichkeiten“ – die allesamt von Unternehmen oder Unternehmensverbänden kommen.

Der Fall Rieble ist symptomatisch für den zunehmenden Einfluss der Wirtschaft auf die Wissenschaft. Nach Angaben des Stifterverbandes gibt es bundesweit derzeit weit über 600 so genannte Stiftungslehrstühle, die von privaten Geldgebern auf Zeit finanziert werden. Das sind bereits doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Wie stark die Wissenschaft dabei geknebelt werden kann, zeigt das Beispiel zweier Berliner Universitäten, die sich in einem Vertrag mit der Deutschen Bank sogar verpflichteten, Forschungsveröffentlichungen vorab abzustimmen. Kooperationen mit der Wirtschaft sind für Hochschulen immer eine Gratwanderung, die schnell zum Eiertanz wird. Kann man der Pflicht zur Dankbarkeit gegenüber seinen Gönnern je ganz entkommen? Es ist ein Grundkonflikt. Und ein besonders heikler, wo es um ein so umkämpftes Gebiet wie das Arbeitsrecht geht.

55 Millionen Euro Stiftungsvermögen stellten die drei Verbände zur Verfügung. Aus den Zinsen finanziert sich der Institutsbetrieb. Der laufe aber vollkommen unabhängig von den Stiftern. Sagt Rieble. Die Geldgeber hätten ihr Vermögen gewissermaßen für immer an die Wissenschaft verloren. Ein nahezu selbstloser Akt, wie Rieble lobt: „Den Stiftern ist die Freiheit der Wissenschaft ein besonderes Anliegen.“

Die Ansichten der Arbeitgeber fließen auch gleich in die Ausbildung der künftigen Arbeitsrichter ein

So einfach?

Der emeritierte Konstanzer Arbeitsrechtsprofessor Bernd Rüthers hat da so seine Zweifel: „Die Arbeitgeber werden nicht einfach 55 Millionen Euro zu karitativen Zwecken geben“, sagt er. „Ich kann nicht verstehen, wie eine renommierte Universität es hinnehmen kann, dass sich Interessensverbände Einfluss auf die universitäre Forschung verschaffen.“

Schaut man sich die Kooperationsbedingungen an, entdeckt man allerlei Hintertürchen für die Geldgeber. Dadurch ist sichergestellt, dass sich das Münchner Institut nicht zum Vorkämpfer für die Rechte der Arbeitnehmer entwickelt. „Der Fehler“, sagt Rüthers, „liegt in der Grundkonstruktion.“

In der praktischen Arbeit des Instituts behalten die Stifter einen Blick auf das, was mit ihrem Geld passiert: Den Haushalt genehmigt nicht etwa die Universität, sondern der Stiftungsrat, ein Gremium, dem allein Vertreter der Arbeitgeberverbände angehören. Und „wissenschaftliche Veröffentlichungen, die den Bereich der Vertraulichkeit berühren“, müssen abgestimmt werden. Was das heißt, wird nirgendwo näher geklärt. Rieble zufolge fallen darunter nur Publikationen über die „innere Zusammenarbeit“ zwischen Universität und Zaar, also Dokumente über Prüfungstätigkeiten oder Raumnutzungen. „Normale wissenschaftliche Veröffentlichungen unterliegen keinerlei Vorbehalten.“

Der brisanteste Punkt jeder Kooperation ist die Frage, wer darüber bestimmt, wer Professor in dem Institut werden darf. „Es ist extrem wichtig, dass die Besetzung eines neuen Lehrstuhls in der Hand der Hochschule bleibt“, betont Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, gegenüber der taz. Vordergründig ist das auch in München der Fall.

Der Vertrag sieht ein „koordiniertes Berufungsverfahren“ vor, bei dem zunächst die Hochschule nach ihren Regeln Arbeitsrechtsprofessoren beruft. Die Professoren werden dann sofort beurlaubt und gewissermaßen als Leiharbeiter an die Stiftung weitergereicht, die sie wieder anstellt. Zu welchen Konditionen, darüber verhandelt der Kandidat allerdings ausschließlich mit dem Stiftungsrat. Weitergedacht heißt das: Selbst wenn die Universität der abwegigen Idee verfallen sollte, einen arbeitnehmerfreundlichen Professor zu berufen, könnten die Stifter ihm die Stelle mit einem unattraktiven Vertrag madig machen. „Es wurden natürlich von vornherein nur Leute berufen, die der Arbeitgeberseite nahestehen“, sagt der Arbeitsrechtsprofessor Wolfgang Däubler von der Universität Bremen.

Die Zahl der Lehrstühle, die private Geldgeber finanzieren, hat sich in zehn Jahren verdoppelt

Das Ergebnis ist also ähnlich wie bei den theologischen Fakultäten – auch dort darf als Professor nur arbeiten, wer sich eindeutig zum entsprechenden Glaubenssystem bekennt. Allerdings ist dies auch durch die Namensgebung transparent. Vom Professor einer katholisch-theologischen Fakultät kann man keine Aufklärung etwa über die Frage erwarten, ob die Muttergottes eine Jungfrau war: Die Kirche verkündet es so, also muss es so gewesen sein. Der Glaube ist eben – anders als die Wissenschaft – nicht an der Wahrheit interessiert.

Der bayerischen Politik war dabei bewusst, welche Gefahr droht, wenn Universitäten mit Unternehmen kooperieren Als das Zaar 2004 gegründet wurde, sagte der damalige bayerische Wissenschaftsminister der CSU Hans Zehetmaier: „Eine Einrichtung, die sich in den Verdacht bringt, Sprachrohr oder verlängerter Arm einseitiger Interessen zu sein, wird nicht die gewünschte Akzeptanz und kein Gehör finden.“

Doch die Verlockung des Geldes war offenbar einfach zu groß. Die Münchener Universität hat durch das Zaar drei zusätzliche Professoren bekommen, die das Land nicht bezahlen muss und die zudem unvergütete Lehraufträge in der Juristenausbildung wahrnehmen. Die Nachwuchsförderung war den Stiftern so wichtig, dass sie sie direkt in der Satzung verankerten: Die „gewonnenen Erkenntnisse“ des Instituts sollen „in der universitären Lehre durch Vorlesungen, Seminare und Symposien vermittelt“ werden. Das nutzt den Arbeitgebern doppelt: Ihre Positionen verbreiten sich damit nicht nur durch die Fachliteratur und durch öffentliche Äußerungen von Professoren. Sondern ihre Ansichten fließen auch gleich in die Ausbildung künftiger Arbeitsrichter ein.