: „Radikal ist, mich selbst in die Pflicht zu nehmen“
Bishof Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, warnt vor gesinnungsetischer Globalisierungskritik. Kirche müsse gangbare Wege zeigen
Bischof Wolfgang Huber hat ein volles Programm auf dem Kirchentag. Den Samstag beginnt er um 9.30 Uhr mit Bibelarbeit (Messegelände, Halle 7). Von 11 bis 13 Uhr diskutiert er u.a. mit dem TV-Moderator Reinhold Beckmann über „Glauben im Scheinwerferlicht“ (Messegelände, Halle 6). Und von 15 bis 18 Uhr debattiert er über die Frage „Religionen – Friedensstifter oder Brandstifter“ (Rheinparkhalle 3.2). Mit dabei sind neben Muslimen und Katholiken auch der Kabarettist Matthias Deutschmann und Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD).
Er will die Entwicklungshilfe nach den Bedürfnissen der Ärmsten ausrichten. Er will die Macht der internationalen Konzerne begrenzen. Doch mit radikalen Globalisierungs- kritikern will Bischof Wolfgang Huber nichts zu tun haben. Die würden nur eine vermeintlich allgegenwärtige Weltmacht dämonisieren, hätten aber keine Lösungen zu bieten
Interview Philipp Gessler
taz: Herr Huber, eigentlich könnten Sie ohne Probleme Mitglied von Attac sein, oder?
Wolfgang Huber: Nein, könnte ich nicht, denn es ist meine Aufgabe, die eigenständige Stimme der Kirche zur Geltung zu bringen.
Dabei ist die Nähe zu Attac da. So hat etwa der Lutherische Weltbund 2003 in Winnipeg erklärt: „Wir müssen der falschen Ideologie der neoliberalen wirtschaftlichen Globalisierung so begegnen, dass wir dieser Realität und ihren Auswirkungen Widerstand entgegen setzen, sie grundlegend umwandeln und verändern.“ Besser hätte das Attac nicht sagen können, oder?
Es stimmt, dass es einen Überschneidungsbereich gibt zwischen Positionen von Attac – zumal Attac mittlerweile eine recht plurale Organisation ist – und Positionen der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie wissen aber auch, dass der zitierte Satz des Lutherischen Weltbunds und ähnliche Formulierungen des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) 2006 in Porto Alegre zu lebhaften Diskussionen geführt haben.
Warum?
Weil es nach der Sicht vieler christlicher Kirchen nicht genügen kann zu sagen, wir müssten der Globalisierung Widerstand entgegen setzen. Die schwierigere und wichtigere Aufgabe heißt: Wir müssen die Globalisierung so gestalten, dass sie in ihren Auswirkungen verantwortbar ist. Globalisierung ist ja kein Vorgang, von dem wir uns aussuchen können, ob wir ihn haben wollen oder nicht.
Man muss ihn gestalten.
Ja, und wir arbeiten in der Evangelischen Kirche in Deutschland schon Jahre daran, dafür Kriterien und Instrumente zu entwickeln. Dies in die Ökumene einzubringen, darum habe ich mich persönlich auch 2006 in Porto Alegre bemüht. Es ist aber noch nicht gelungen, die Perspektive von Kirchenvertretern aus der südlichen Hemisphäre und von Globalisierungskritikern aus dem Norden zusammen zu bringen. Diese Diskussion muss deshalb weitergeführt werden.
Wenn man aber so einen konkreten und scharfen Satz hat wie den aus Winnipeg: Wo bleiben da die Folgen für Luthers Kirchen in Deutschland?
Der Satz ist nicht so konkret, wie er scheint. Er klingt radikal, aber was konkret daraus folgt, ist nicht klar. Wir als EKD haben unsere Überlegungen zur Globalisierung unter dem Schlagwort „Gerechte Teilhabe“ in bezug auf unsere eigene Gesellschaft wie auf die weltweite Entwicklung ausformuliert. Weltweit betrachtet geht es uns vor allem darum, die Millenniumsziele der Vereinten Nationen konsequent zu unterstützen, die Entwicklungshilfe nach den Bedürfnissen der Ärmsten der Armen auszurichten, die Macht der internationalen Finanzkonzerne zu begrenzen und von ihnen einen angemessenen Beitrag – etwa in der Form der Tobin-Steuer – für Gemeinschaftsaufgaben in Anspruch zu nehmen.
Die auch Attac fordert.
Ja. Aber auch bei Attac gibt es Gruppen, denen das nicht reicht. Und auch in den Kirchen hat man sich weltweit leider noch nicht über solche konkreten Maßnahmen verständigt, sondern eher große Grundsatzerklärungen formuliert. Mein Bemühen aber geht dahin, auch bei den konkreten Konsequenzen Fortschritte zu erreichen.
Aber müsste die EKD nicht, wie es die Kirchen des Südens schon des öfteren gemacht haben, die neoliberale Globalisierung klarer verurteilen?
In der ökumenischen Sozialethik ist ganz zu Recht die Frage in den Vordergrund getreten, wofür Kirchen eintreten wollen: Die vorrangige Option für die Armen ist die eigentlich radikale Aussage – und weniger die Überlegungen, die allerdings bei manchen ökumenischen Treffen zu hören sind, wenn eine vermeintlich allgegenwärtige Weltmacht, genannt „neoliberale Globalisierung“, dämonisiert wird. Es geht um die Aufgabe, Prozesse der Globalisierung so zu humanisieren, dass ihre entwürdigenden Effekte für die Menschen umgekehrt werden.
Angesichts schwacher weltweiter politischer Institutionen ist es doch sehr schwierig, den neoliberalen Kapitalismus weltweit so zu zähmen wie etwa die Marktwirtschaft in Deutschland. Braucht es da nicht radikalere Ansätze?
Aber da bietet doch die radikale Globalisierungskritik erst recht keine Lösungen an. Denn die, die sagen „Wir verurteilen die neoliberale Globalisierung!“, haben keine Instrumente in der Hand, mit denen sie ihre radikale Kritik an der Globalisierung umsetzen können. Die internationalen Institutionen werden durch solche Formeln, die nur eine Verurteilung aussprechen, auch nicht stärker. Da sitzen wir alle im gleichen Boot. Wir formulieren wenigstens Ansätze für Änderungen. Beispielsweise geht es darum, die Hedge-Fonds zu domestizieren, so wie es die deutsche EU-Präsidentschaft derzeit versucht. Man muss seinen Respekt für einen solchen Versuch ausdrücken dürfen. Man darf nicht jeden konkreten politischen Ansatz dadurch zudecken, dass man sagt, das sei alles viel zu wenig. Man muss nach meiner Meinung aufpassen, dass die Globalisierungskritik nicht in ein gesinnungsethisches Muster verfällt.
Das ähnelt Debatten der Kirche in den 80er Jahren zur Nachrüstung.
Ja. Die damals diskutierten Grundfragen sind auch nach wie vor aktuell. Ich habe in den Diskussionen der 80er Jahre gelernt: Auf lange Sicht muss man bei den großen Herausforderungen unserer Zeit eine verantwortungsethische Konzeption verfolgen. Das mussten wir angesichts der atomaren Waffen, das müssen wir jetzt angesichts der Globalisierung – und erst recht angesichts des Klimawandels. Wir sind als Kirchen, und hoffentlich gilt das auch für Attac, dazu verpflichtet, gangbare Wege zu beschreiben.
Verantwortungsethik hat ja etwas für sich, aber Jesus war auch zu anderen, radikalen und klaren Urteilen bereit – Aussagen, die man auch von der Evangelischen Kirche in solchen Situationen erwarten könnte.
Es fehlt doch nicht an klarer Sprache. Es ist radikal zu sagen: „Ich trete ganz und gar auf die Seite der Ärmsten der Armen.“ Dies ist radikaler als die scheinbar radikalen Sätze von Globalisierungskritikern, weil dieser Satz mich selber in die Pflicht nimmt und nicht nur andere verurteilt.
Und die Sprache Jesu?
Er hat genauso gesprochen. Jesus hat sich auf die Seite der Leidenden gestellt, hat ihre Situation verwandelt und hat auch in den Aussagen der Bergpredigt, die in einer langen und verhängnisvollen Geschichte nur gesinnungsethisch interpretiert wurden, Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, die die Situation verändern. Man darf die Bergpredigt nicht gesinnungsethisch einengen und sie so in eine Ecke stellen, durch die sie völlig unpraktikabel wird.
Nun hat der Rat der EKD 2005 eine globalisierungskritische Vorlage seiner Kammer für nachhaltige Entwicklung abgelehnt, was selten passiert. Da wurden recht konkret Schutzzölle für Entwicklungsländer oder eine globale Quellensteuer gefordert. Warum hat die EKD das abgelehnt?
Der Rat der EKD hat die Vorlage zu den Milleniumszielen zur Veröffentlichung freigegeben. Eine spätere Vorlage zur Globalisierungsdebatte hat er nicht deshalb zurückgestellt, weil sie etwa zu radikal gewesen wäre. Er vermisste jedoch eine innere Stimmigkeit zwischen den konkreten Vorschlägen, den theologischen Begründungen und den Optionen für die Kirche. Wir wollten aber nicht nur ein Schlagzeilenproduzent sein: „Die Kirche schlägt A oder B vor“, ohne dies theologisch ausreichend begründen zu können.
Das war der Grund: Die fehlende theologische Begründung?
Auch. Wir wollen nicht in die Lage kommen, dass wir als Kirche nur politische Vorschläge verdoppeln, die bereits in der Welt sind – unabhängig davon, ob sie radikal oder gemäßigt sind. Wir sind nicht ein politischer Akteur neben anderen. Unsere Aufgabe ist nicht, Politik zu machen, sondern Politik möglich zu machen. Dafür ist es wichtig, dass wir auch die spirituellen Quellen beschreiben, aus denen wir unsere Ziele nachhaltig verfolgen.
Das hat das Papier ja auch versucht.
Bei dem zweiten Papier waren wir der Meinung, dass es unter dem Druck der Umstände nicht so weit gekommen ist, wie wir gewünscht hätten.
Die EKD war bereit, die neoliberale Globalisierung zu kritisieren und konkrete Maßnahmen einzufordern. Bei der neoliberalen Entwicklung in Deutschland – Stichwort Hartz IV – relativ war sie aber zurückhaltend.
Nein, da besteht keine Diskrepanz. Man kann auch nicht unterschiedliche Vorgänge dadurch in einen Zusammenhang bringen, dass man jeweils das Etikett „neoliberal“ drauf klebt. Das hilft überhaupt nichts. Dieses Wort, mit dem auch Äußerungen der EKD etikettiert wurden, kann auch verschleiern. Wir waren in Bezug auf Hartz IV die Institution, die am frühesten auf den Reformbedarf hingewiesen hat, den Hartz IV selbst erzeugen wird. Und der Vorschlag des Ombudsrates ist auch auf Grund von Vorschlägen der EKD umgesetzt worden.
Ist die Hartz-IV-Reform also geglückt?
Nein, sie ist nicht geglückt. Das liegt daran – auch das haben wir frühzeitig gesagt –, dass die Hoffnung, unter der Hartz IV allein hätte glücken können, vor allem ältere Langzeitarbeitslose verstärkt in Arbeit zu vermitteln, trügerisch war. Da waren die Fristen gerade in Ostdeutschland viel zu kurz. Vor allem im Osten führt die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zu einem sozialen Abstieg, der hoch problematisch ist.
Bei Hartz IV scheint es ähnlich zu sein wie beim Thema Globalisierung: In der Evangelischen Kirche urteilt die Basis viel schärfer als die Führungsebene, die meistens bremst.
Den Luftballon „Basis-Führungsebene“ will ich nur zu gern zum Platzen bringen. Wir und so lobenswerte Aktivitäten wie Attac können sich in Ruhe die Frage stellen, wo die Basis breiter ist. Die 26 Millionen Protestanten der EKD, die unsere Basis sind, sind doch nicht alle radikale Kritiker der „neoliberalen Globalisierung“. Und auch nicht alle meinen, die Reformen hierzulande müssten noch viel rasanter weiter gehen. Wir müssen die ganze Basis im Blick haben und einbeziehen. Insofern haben wir die wunderbare Aufgabe, nahe bei der Basis insgesamt zu sein – und nicht nur bei denen, die ohnehin schon so denken wie wir selbst.