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Arbeit wird billiger

VON RICHARD ROTHER

Allen Klagen der Wirtschaftsverbände zum Trotz: Unternehmer kriegen Arbeitskräfte in Deutschland immer billiger. Saison- und kalenderbereinigt sanken im ersten Quartal dieses Jahres die Kosten je Arbeitsstunde im Vergleich zum Vorquartal um 0,1 Prozent, wie das statistische Bundesamt in Wiesbaden gestern mitteilte. Gegenüber dem ersten Quartal des Vorjahres stiegen sie geringfügig an, und zwar um 0,4 Prozent. Die Arbeitskosten setzen sich aus den Bruttolöhnen und den so genannten Lohnnebenkosten zusammen, das sind die Ausgaben für die notwendigen sozialen Absicherungen der Arbeitnehmer wie Arbeitslosen-, Renten-, und Krankenversicherung.

Lohnenswert ist der Blick ins europäische Ausland: Während die Arbeitskosten in Deutschland stagnierten, stiegen sie in allen anderen EU-Ländern im Vorjahresvergleich an – in Ländern wie Lettland und Rumänien sogar um mehr als 20 Prozent. Dieser hohe prozentuale Anstieg erklärt sich allerdings auch aus der geringen Ausgangsbasis, lagen doch in beiden Ländern im Jahr 2005 die Arbeitskosten je geleistete Stunde unter drei Euro (siehe unten).

Der leichte Rückgang der Arbeitskosten je geleistete Stunde zu Beginn dieses Jahres – im Vergleich zum vierten Quartal 2006 – hat mehrere Ursachen. Während die Arbeitgeber für Bruttolöhne und -gehälter nicht mehr ausgeben mussten, wurden sie bei den Lohnnebenkosten um 0,5 Prozent entlastet. So sank der Beitragssatz der Arbeitgeber zur Arbeitslosenversicherung von 3,25 auf 2,1 Prozent. Diese Entlastung kompensierte die Beitragssatzanstiege in der Renten- und der gesetzlichen Krankenversicherung.

Beim Niveau der Arbeitskosten in der Privatwirtschaft lag Deutschland 2006 mit 28,70 Euro je Stunde auf Platz 6 in der Europäischen Union – hinter Dänemark, Schweden, Luxemburg, Belgien und Frankreich. Allerdings gibt es auch innerhalb Deutschlands erhebliche regionale Unterschiede, so liegen die Arbeitskosten in Ostdeutschland deutlich unter denen im Westen. Innerhalb der EU hatte Bulgarien mit 1,80 Euro die niedrigsten Arbeitskosten, die höchsten wies mit 33,80 Euro Dänemark auf.

Ein internationaler Vergleich der absoluten Lohnkosten sei allerdings wenig aussagekräftig, kritisierte DGB-Chefökonom Dirk Hirschel die in Wirtschaft und Politik beliebten Zahlenspiele gestern gegenüber der taz. Bei der Betrachtung der Lohnkosten müsse auch immer die Produktivität berücksichtigt werden; die Länder mit geringen Arbeitskosten verfügten auch über eine sehr geringe Produktivität, etwa Rumänien und Bulgarien, betonte Hirschel.

Dass die deutschen Arbeitskosten stagnieren, begründet Hirschel auch mit der Lohnentwickung. „Seit Mitte der 90er Jahre kommen die Löhne nicht mehr hinterher.“ In diesem Jahr hätten die Gewerkschaften tarifpolitisch endlich die Wende hingekriegt und für Lohnsteigerungen gesorgt. Allerdings erreichten diese etwa ein Drittel der Beschäftigten kaum, die unter prekären Bedingungen arbeiten müssten. „Wir haben zu viele weiße Flecken in der Tariflandschaft.“

Weil die Gewerkschaften diese weißen Flecken aus eigener Kraft kaum noch beseitigen können, fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde. Seine Einführung würde den derzeitigen Trend der Löhne nach unten stoppen, der trotz des Aufschwungs in einigen Wirtschaftsbranchen anhält. Zudem würde ein gesetzlicher Mindestlohn das gesamte Lohnniveau stabilisieren oder sogar etwas anheben. Das dürfte wohl der Grund dafür sein, warum die Unternehmer und die ihnen nahestehenden Parteien so vehement dagegen sind.

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