: Keine sichere Bank
WOHNEN Auf der Großbaustelle der Genossenschaft Möckernkiez herrscht Stillstand. Es fehlt die Finanzierungszusage der Banken. Gebaut wurde bisher nur mit Eigenkapital
■ Die 2009 gegründete Genossenschaft hat 1.426 Mitglieder, 2014 gab es 24 Austritte und 266 Neueintritte. Um Mitglied zu werden, muss man zwei Genossenschaftsanteile zu je 500 Euro zeichnen. Wer eine Wohnung möchte, muss 920 Euro pro Quadratmeter als zinslose Einlage zahlen. Diese erhält man bei Auszug zurück. Damit bildet die Genossenschaft das nötige Eigenkapital von 40 Prozent der Bausumme.
■ Die Baukosten sollen 124 Millionen Euro betragen, dies entspricht etwa 2.750 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche – inklusive eines Puffers. Ausgegangen war man 2007 noch von 2.000 Euro.
■ Im Januar 2014 begann nach jahrelangem Vorlauf und Verzögerungen der Bau der ersten vier Wohnhäuser von insgesamt 15 Gebäuden des Quartiers. Für Mitte 2016 ist der Einzug geplant. (vil)
VON CHRISTOPH VILLINGER
Die Kräne sind eingemottet, die vier großen Rohbauten winterfest gemacht. Nichts bewegt sich mehr auf der Baustelle der Möckernkiez-Genossenschaft am südlichen Rand des Gleisdreieck-Parks in Kreuzberg. Allerdings ist nicht die nahende Kälte der Grund für den Baustopp: Vielmehr fehlt eine konkrete Finanzierungszusage der mit der Genossenschaft in Verhandlung stehenden Banken. Bis jetzt wurden alle Arbeiten aus dem bereits eingesammelten Eigenkapital bezahlt. Weil jedoch aus dem Kreis der Banken, die das 124 Millionen Euro teure Projekt finanzieren sollten, ein Institut überraschend ausstieg, muss der Vorstand der Genossenschaft Ersatz suchen.
Um zum Stand der Dinge „endlich Klartext zu hören“ waren rund 200 Genossenschaftsmitglieder am Dienstagabend in die Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche gekommen. Doch schon bei den Namen der beteiligten Banken bat Vorstand Ulrich Haneke während seines Vortrags um Stillschweigen, „um die aktuellen Verhandlungen nicht zu gefährden“.
Angesichts des offensichtlichen Ernsts der Lage wirkte die Stimmung überraschend entspannt. Die meisten der Zuhörenden waren um die 50 Jahre alt, typische Kreuzberger, alternativer Mittelstand. Durch eine Wohnung in der Siedlung erhoffen sie sich unter anderem „stabile Mieten“ und eine konkrete Altersvorsorge.
Geplant ist an der Kreuzung Yorck-/Möckernstraße ein Modellprojekt, „eine gemeinschaftliche und Generationen verbindende Wohnanlage, die ökologisch, nachhaltig, barrierefrei und sozial ist“, wie die Genossenschaft auf ihrer Homepage schreibt. Konkret geht es um ein ganzes Stadtquartier aus 15 Gebäuden mit 464 Wohnungen, Gemeinschaftsräumen und Gewerbeflächen, darunter ein Biosupermarkt. Vorgesehen war bis vor Kurzem auch noch ein Hotel als Integrationsbetrieb der Spandauer Johannis-Stiftung. Doch der Stiftung wurde die Wartezeit zu lang. Allgemein werden die Pläne der mehr als 1.400 Genossenschaftler als „ambitioniert eingestuft – je nach Standpunkt hat dies einen anerkennend-wohlwollenden oder kritisch-warnenden Unterton.
Warum sich einzelne Banken mit ihrer letzten Finanzierungszusage so schwer tun, ging aus den Vorträgen von Ulrich Haneke und Claudia Boerger, ebenfalls Mitglied im dreiköpfigen Vorstand, nur ansatzweise hervor. Dazu zählen die neuen Vorgaben durch die europäische Bankaufsicht („Basel III“), die auch kleinere Banken bei der Risikoabwägung ins Schwitzen bringen. „Denn die Möckernkiez-Genossenschaft ist eben keine alteingesessene Genossenschaft, sondern gilt eher als Start-up“, wie Haneke betonte. Auch der hohe Anteil an KfW-Fördermitteln mit ihren zu geringen Margen stört offenbar einige Banken. Ob das Risiko eines Hotel-Betriebs für die Banken eine Rolle spielt, blieb unklar.
Klar ist: Die Banken wünschen sich mehr Spielraum bei der Höhe der Miete. Die liegt aber bei geplanten durchschnittlichen 9,30 Euro pro Quadratmeter schon an der Schmerzgrenze der meisten Genossen. Der Genossenschaft wird deswegen bereits vorgeworfen, dass sie trotz ihrer wiederholt geäußerten guten Absichten die Gentrifizierung im Viertel vorantreibe. Auf der anderen Seite wurde auf der Versammlung mehrfach angedeutet, dass es im professionellen Immobilienbereich in der Stadt durchaus Interessenten gäbe, die sich über ein Scheitern der Kiez-Initiative freuen würden.
Bei den Diskussionsbeiträgen in der Kirche war deutliche Kritik am Handeln der Genossenschaft und des Vorstands zu hören. Doch der Vorschlag eines Mitglieds, die noch nicht vergebenen Wohnungen als Eigentumswohnungen zu verkaufen, um damit Geld in die Kasse zu spülen, bekam wenig Beifall. Eine große Mehrheit will an den Idealen eines ökologischen Quartiers und von Gemeinschaftseigentum statt individuellen Eigentumswohnungen festhalten – „auch wenn es was kostet“, wie es ein Teilnehmer nach der Versammlung formulierte. Denn: „Wenn wir hier scheitern, ist die Alternative die Bebauung an der Flottwellstraße auf der Schöneberger Seite des Parks.“ Dort bieten Immobilienunternehmen „Luxus pur“ für knapp 4.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche an.
Um dieses zu verhindern, „kommt in den kommenden Wochen ein erfahrener Betriebswirt und eine Projektsteuerin zum Team hinzu“, erklärte Boerger. Zudem will man „politisch in die Offensive kommen“: In den nächsten 14 Tagen trifft sich der Vorstand mit dem designierten Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD). Am Ende gab sich Vorstand Haneke optimistisch, dass „in den kommenden Wochen doch noch ein konkretes Angebot der Banken auf dem Tisch liegt“. Und die Baukrähne sich wieder drehen werden.
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