: Abfluss de luxe
ARBEIT Uwe Zimmermann ist Klempner. Er fräst verstopfte Rohre auf, muss die Hitze in Heizkörpern gluckern hören, erzählt viel und wird sprachlos, wenn es um seine Geschichte geht
VON ANNABELLE SEUBERT (TEXT) UND CHRISTIAN THIEL (FOTOS)
Uwe sitzt mit Dirk am Kiosk, da liegt die Stadt noch im Dunkeln. „Wir sind so der alte Stamm“, sagt Dirk. „Die Zugpferde“, sagt Uwe. „Oder wie sagt man?“ Einer raucht, der andere lacht.
Früher haben sie sich morgens vor der Firma getroffen, aber da, sagt Uwe, haben sie zu laut gelacht für die Uhrzeit. Jetzt bleibt ihm bis zum Sonnenaufgang mit Dirk der Kiosk, dann gehen sie rüber zur Firma Lamprecht, ganz im Westen Berlins, wo beide als Monteure arbeiten, über vierzehn Jahre schon. Eine halbe Stunde ist das, aber für Dirk und Uwe vielleicht die wichtigste halbe Stunde am Tag. Die, bevor sie getrennt in ihre schwarzen Handwerkerbusse steigen, um Rohre aufzubrechen. Die, in der Uwe immer mal was einfällt.
Einmal lief er mit einem Riesenseil und einem Edelstahlrohr durch ein Treppenhaus. Im Schornstein sollte ein Abgasrohr neu verlegt werden. Er war also mit dem Rohr unterwegs zum Dach, als plötzlich zwei Dobermänner vor ihm standen und die Zähne fletschten. Auf dem Treppenabsatz machte er kehrt, ließ das Seil fallen, ein verdammtes Riesenseil war das! Seine Füße verhedderten sich. Er stolperte ein Stockwerk runter.
„Gibt schon dolle Leute“, sagt Dirk. „Jaja“, sagt Uwe. „Von null bis hundert alles dabei.“ Vor drei Wochen erst war er in einer Wohnung voller Fliegen, in der „richtig Fäkalien rumliegen und Katzenkot“. Stell dir vor. Wer würde irgendwen so reinlassen, sagt er.
Wie Schüler beim Pausengong trotten sie los, als der Himmel hell wird, Dirk und Uwe; Uwe Zimmermann, 51 und blond, der Klempner werden wollte, als die anderen Kinder, mit denen er Fußball im Hof spielte, ganz im Osten Berlins, noch Kosmonauten werden wollten. „Tschüss, Uwe“ – „Tschüss, Dirk“, sagen sie, und ein bisschen tut es weh, dass beim Sanitär-Sofortdienst gleich viel los und jeder für sich beschäftigt ist.
„Na, Großer.“ Im Büro tratschen die Lehrlinge. „Alles fit?“ An der Wand hängt der Notdienstplan und ein Plakat mit Badewannen. Weil Faschingsanfang ist, der Elfte Elfte, hat einer Pfannkuchen gekauft mit Streuseln, Smarties und Glasur. Zimmermann packt eine „Spirale, um die Küchenabflussleitung freizufräsen“, und zwei Rippenheizkörper in seinen Sprinter, eine Medaille hängt am Sitz, „Bester Handwerker“ steht darauf, „stark!“ – „Du bist super!“, dann gibt er Gas.
Er zeigt auf den rechten Ellenbogen: „Ich hab Gummihandschuhe, die gehen bis hier.“ Ekel kennt keine Routine, findet Uwe Zimmermann. Er muss zur argentinischen Botschaft, im Keller gebe es eine Verstopfung. Wenn er über Herbstlaub fährt, die Alleen entlang, ein BMW vor sich, ein Porsche Cayenne, fällt ihm wieder mal was ein.
Einmal kniete er bei einer älteren Dame im Bad. Er sollte ihr Klo auswechseln. Die Dame ließ ihren Nymphensittich aus dem Käfig und ins Bad fliegen, wo er mit der Zange hantierte. Zweimal bat er sie, damit aufzuhören, er wolle in Ruhe arbeiten, und mit dem Geflatter um ihn rum sei das schlecht möglich. Beim dritten Mal sagte er: „Wissen Sie was, ich hab ein Klo zu Hause“, griff seinen Werkzeugkoffer und ging.
Er parkt, schiebt eine vierzig Kilo schwere Fräsmaschine an der argentinischen Flagge vorbei. In der Küche der Botschaft liegen zwei Gugelhupfformen auf der Spüle, unter der er kurz darauf liegt. Mit Plastikfolie hat er den Boden ausgelegt, seinen Metallkasten mit dem Bohrkopf und dem Rückholkopf aufgeklappt. Er hat den Geruchsverschluss abgeschraubt, der verhindert, dass „die Kanalisation die Hütte vollstinkt“. Er hat die Spirale aus der Fräsmaschine gezogen, die er jetzt ins Ungewisse entlässt – in ein Rohr, das unter die Erde reicht. Etwa nach fünf Metern wird seine Spirale „träge“, wie Uwe Zimmermann sagt, er weiß dann, dass dort eine „Inkrustierung“ vorliegt, Gebilde aus Kalk, Fett und Essensresten. „Zunge“ sagt er auch dazu, sechzig Meter bis zur Verstopfung hat er schon erlebt.
Einmal warf ein Kind Bauklötze in den Abfluss und legte ein komplettes Hotel damit lahm. Und einmal, beim Notdienst, standen fünfzehn Handwerker vor der Tür einer Kundin. Die Kundin hatte ihren Mann rausgeworfen und ihr Mann aus Wut, mitten in der Nacht, Pizzalieferanten, Elektriker, Schlosser und, was weiß er, noch alles bestellt. Damit sie die alle bezahlen musste. Die Frau lud zu Kaffee und Keksen, und Uwe Zimmermann brachte es nicht fertig, seinen Einsatz zu berechnen.
Bald kommt die Spiralspitze, die sich durch die Fettzunge gefressen hat, schwarz aus dem Loch zurück. Nach Teer riecht sie. Scharf. Er habe den Grünen seinen Job zu verdanken, sagt Uwe Zimmermann, weil die Biospülmittel phosphat- und tensidfrei sind – Inkrustierungen mögen das. Mit Küchenpapier wischt der Klempner die Schmiere ab und lässt heißes Wasser mit Pril durch die Spüle rauschen. Ein Strudel bildet sich, der Flüssigkeit und Schaum eher verschlingt als verschluckt. Richtig so, findet Uwe Zimmermann. „De luxe“ nennt er das.
„Maestro, verstehen Sie Deutsch?“, fragt er einen Angestellten des argentinischen Botschafters. Er füllt ihm Zettel aus, erklärt, was repariert wurde und noch repariert werden sollte – dann schiebt er die Maschine zurück in den Wagen, in den Helme und Kanister gestopft sind, Verkehrshütchen, Felgenreiniger, Schilder, „Vorsicht, frisch geölt“. Ihm ist was eingefallen.
Damals hieß dort Energiekombinat, was hier Gasag heißt. 1981 hatte er ausgelernt, 1986 den Ausreiseantrag aus der DDR gestellt. Er hatte Angst um seine beiden kleinen Töchter und darum nie „Scheißsozialismus“ gesagt. Aber er wusste, dass es im Westen schönere Dinge gab. So oft ging er zum Ministerium für Staatssicherheit in Hohenschönhausen, dass die sich wegdrehten, wenn er klopfte. Der schon wieder.
Zwei Fragen stellte er dem Parteisekretär, als der vorbeikam: Wie er an den Mazda gelangt sei, mit dem er ihn besuche? Und warum am antifaschistischen Schutzwall der Stacheldraht nach innen zeige und nicht zum Feind? Ob das etwa bedeute, der Feind sei innen zu suchen?
Uwe Zimmermann sagte: „Sie können mir Zucker in den Arsch blasen, aber ich will hier nicht leben.“
Flecken und Fussel trägt er am Pulli, den Tieflochmarker ständig bei sich. Zwei Kärtchen mit Sprüchen kramt Zimmermann aus einem Fach unter dem Tacho. Laminiert, beide. „Lesen Sie.“
„Wasser macht wird jut“ und „Jeder tut Wasser kann.“
Am Mittag wartet er, bis ein Heizkörper nicht mehr tropft. Er wickelt Hanf um Anschlussteile und presst Gewindekitt darauf, eine cremige Masse wie Zahnpasta. Er schleppt den neuen Rippheizkörper, Metall splittert, der Hammer knallt, Uwe Zimmermann drückt ein Ohr ans Gerät und lauscht: Er muss die Hitze gluckern hören. Am Nachmittag hakt er den Glockenmechanismus eines Spülkastens ein, tauscht ein Ventil, acht Liter sollten sich in so einem Kasten schon stauen. Uwe Zimmermann läuft hoch, runter, hoch. Nie gibt es Aufzüge. Er riecht Braten, sehnt sich, weil er Hunger hat, nach Kartoffelpuffern mit Zucker. Er sieht seine Mädchen zu selten. Parkett sieht er. Dielen. Sandstein. PVC. Aber wie ging es weiter mit ihm und der DDR?
Jemand legte ihm einen Umschlag in den Briefkasten, er konnte den Mann vom Fenster aus sehen. Um 11 Uhr des nächsten Tages müssten sie bei der Polizei sein, las er. Zingster Straße 1, Hohenschönhausen. Er müsse den Ausweis abgeben, erhalte eine Identitätsbescheinigung sowie die Entlassungsurkunde aus der Staatsbürgerschaft der DDR. „Um 13 Uhr müssen Sie das Land verlassen haben.“
Er fuhr mit seiner Familie in der S-Bahn zur Mauer und passierte die Grenze.
Dieses Gefühl kann er nicht nacherzählen, sagt Uwe Zimmermann und isst, weil er Hunger hat, einen Pfannkuchen im Stehen.
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